Die Schwalbe

Ein welthaltiger Schweizer Film: Auf der Suche nach ihren Wurzeln begibt sich die junge Schweizerin Mira ins irakische Kurdistan. Im Film «Die Schwalbe» von Mano Khalil ist die Schweiz und gleichzeitig die ganze Welt enthalten.
Die Schwalbe

Mira, im Land angekommen

Auf ihrer Reise in den Norden von Kurdistan wird Mira mit Waffengewalt, Willkür und Selbstjustiz konfrontiert, aber auch mit der Liebe. Begleitet vom deutsch sprechenden Kurden Ramo versucht sie ihren verschollenen Vater wiederzufinden und durchquert ein zerrüttetes und gespaltenes Land. In der rauen Schönheit der weiten Landschaft kommen sich Mira und Ramo näher. Doch die dunkle Vergangenheit und die politische Aktualität holen sie ein in dieser von Konflikten gebeutelten Region. Im Spielfilm «Die Schwalbe» sucht Mira nach ihrer verdrängten, Ramo nach seiner schwierigen Identität und das ganze Land nach der in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten sich entwickelten Identität des geschundenen Landes, stellvertretend für andere Länder des langsam verschwindenden Nahen Ostens.

Aufbruch von Bern ...

Mira, die junge Schweizerin mit kurdischen Wurzeln, hat bisher ein Leben voller Kompromisse und Illusionen geführt. Als Tochter einer Schweizerin ist sie in Bern aufgewachsen, hat ein Leben lange versucht, dem überhöhten Bild ihres kurdischen Vaters als vermeintlicher Held gegen Saddam Hussein nachzueifern. Gleichzeitig lebt sie in einer oberflächlichen Beziehung mit dem Schweizer Stefan, und beruflich hat sie sich immer vor grossen Entscheidungen gedrückt. Nach dem Studium der Fotografie hat sie darum den erstbesten Job angenommen. Als sie eines Tages, beim Befreien einer Schwalbe auf dem Dachboden ihrer Mutter, zufällig Briefe ihres tot geglaubten Vaters findet, konfrontiert sie die Mutter, erschüttert über den Fund und beschliesst, auf eigene Faust ihren Vater zu suchen und damit zu ihren eigenen Wurzeln zu kommen. Als ihr Freund Stefan ihr seine Unterstützung verweigert, macht sich die junge Frau alleine auf den Weg.

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Suchen auf verschlungenen Pfaden

... nach Kurdistan ...

In Kurdistan angekommen trifft Mira auf Ramo, einen charmanten Kurden, welcher ihr seine Dienste als Chauffeur und Übersetzer anbietet. Dieser hat jedoch seine eigenen Gründe, warum er Miras Vater finden will, doch davon ahnt Mira nichts. Sie nimmt sein Angebot gerne an und lässt sich von ihm auf ihrer Suche begleiten. Schon bald zeigt sich, dass auch Ramo auf der Suche nach Erlebnissen seiner Kindheit in einen Konflikt zwischen Tradition und persönlicher Freiheit gerät. In den Weiten des Landes von wilder Schönheit kommen die beiden sich näher. Je länger aber die Fahrt dauert, desto klarer wird, dass nicht alles so ist, wie es scheint, und dass ihr junges Glück nur von kurzer Dauer ist. Als sie Miras Vater schliesslich finden, holt die harte Realität die Tochter ein. Sie entdeckt, in Duhok angekommen, dass ihr Vater Osman nicht der Held ihrer Kindheitsfantasien ist, sondern ein Kollaborateur des brutalen Saddam-Regimes, heute reich und angesehen. Er hatte ursprünglich den Auftrag, diesen zu liquidieren. Die Liebe zu Mira bringt ihn jedoch von seinem blutigen Vorhaben ab, und er verschont ihn – mit tragischen Folgen.

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Ramo, auch er in einer kritischen Situation

... und kommt als eine andere heim

Als Ramo nicht ins Hotelzimmer zurückkehrt, macht sich Mira auf die Heimreise. Sie kommt in die Schweiz, gestärkt und reif, als junge, jedoch älter gewordene Frau. Erschüttert zwar durch die Wahrheit über ihren Vater, gestärkt durch das Wissen um die Wahrheit über die Vergangenheit. Der Film erzählt von zwei Tragödien: der Nichterfüllung eines Herzenswunsches und der Erfüllung an Erkenntnis. Die existenzielle Suche nach Identität, darin enthalten nach persönlicher Freiheit und Liebe in einem von politischen Konflikten zerrütteten Land. Der Film öffnet einen Blick auf die faszinierende Kultur und widersprüchliche neuere Vergangenheit in einem vielfältigen, doch wenig bekannten Land. Obwohl «Die Schwalbe» ein Spielfilm ist, enthält er viele fast dokumentarische und authentische Szenen. Die Trennlinie zwischen Fiction und Non-Fiction verschwindet.

Mano Khalil, ein Übermittler ...

Geboren 1964 in syrisch Kurdistan, studierte er in Damaskus und an der Film- und Fernsehakademie Bratislava. Daneben arbeitete er 1990 – 1995 als Regisseur für das Tschechoslowakische und später das Slowakische Fernsehen. Seit Ende der 90er Jahre ist er als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Bern tätig. Als Autor wurde er 2001 mit dem Förderpreis für Entwicklung von Drehbüchern der Schweizerischen Autorengesellschaft ausgezeichnet. Danach arbeitete er hauptsächlich für das Slowakische und das Schweizer Fernsehen und realisierte mehrere Dokumentar-, Kurz- und Spielfilme. Mano Khalil ist vor allem bekannt für seine preisgekrönten Dokumentarfilme «Unser Garten Eden, Geschichte aus dem Schrebergarten» (2010), und «Der Imker» (2013). Er lebt und arbeitet in Bern.

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In der Familie von Ramo

... von Botschaften, die zum Nachdenken einladen

«Die Schwalbe», in seiner äusseren Form ein Roadmovie, ein Selbstfindungsfilm, ist in meinen Augen, heute und hier, ein absolut notwendiger Film, der wie ein Seismograf unsere Zeit und unsere Welt akribisch genau abbildet. Er trifft das, was heute auf unserer Erde, in der Politik und in der Wirtschaft, abläuft: eine Welt ohne Vertrauen, voll Lüge, ohne Frieden, voll Kriegen, ohne Güte, voll Hass. Er beschreibt vor allem den Nahen Osten, über den Volker Perthes im brandaktuellen Essay «Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen» (Suhrkamp) noch einen Schritt weiter in die Zukunft schaut.

«Die Schwalbe» kann aber auch anders gelesen werden, so wie es der Philosoph Jean-Luc Nancy kürzlich formuliert hat. Er bezeichnet das «Zusammen-» oder «Mit-Sein» als den «unüberschreitbaren Horizont», der mit den Terroranschläge der letzten Zeit jedoch überschritten wurde und täglich wird. Die blutigen Taten dieser Ereignisse werfen uns auf religiöse, nationale und kulturelle Identitäten zurück und verhindern, dass wir eine «wahre» Gemeinschaft werden, die von einem «gemeinsamen Sein» bestimmt wird.

Weiter ist «Die Schwalbe» ein Entwicklungsroman im 21. Jahrhundert. Aufwachsen, erwachsen werden, beinhaltet Enttäuschungen, Erlebnisse, die einen von Täuschungen befreien. Und diese können schmerzen. Sie sind aber nötig, wenn man nicht im Altbekannten, in Vorurteilen stecken bleiben will: rückwärtsgewandt und zukunftsblind, jede Bewegung, die doch Leben bedeutet, negierend.


Regie: Mano Khalil, Produktion: 2015, Länge: 102 min, Verleih: Columbus