Die Freiheit des Menschen
Der Film «Die Freiheit des Menschen» von Hans Peter Scheier über das Werk des Pädagogen Marcel Müller-Wieland provoziert; denn der heute 89-Jährige folgt nicht dem Mainstream aktueller Schuldiskussionen. Dennoch – oder gerade deshalb – lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihm. Im besten Fall verhilft sie zu veritablen «pädagogischen Exerzitien».
Marcel Müller-Wieland, nach Heinrich Pestalozzi und Rudolf Steiner einer der wenigen originären Pädagogen unseres Landes, hat ein Leben lang in Schule und Lehre Grundfragen der Pädagogik gestellt und beantwortet. Denn das meiste, was in diesem Bereich ansonsten publiziert wird, besteht aus Rezepten, wie man Schule macht. Müller-Wieland hingegen stellt in seinen Büchern, Filmen und seinem ganzen Wirken Fragen zum Wesen des Menschen, der Gemeinschaftsbildung, der ästhetischen Erfahrung, der Gewissensbildung, der Sittlichkeit und der Würde des Menschen. In seiner Pädagogik geht es darum, den Menschen zum Menschen zu entfalten.
Dazu gibt er Antworten, die dem, was landauf, landab diskutiert und gelebt wird, meist widersprechen. Denn dort geht es doch (vereinfacht) darum, dass unsere Kinder die ersten sind, schon ab Kindergarten aufs Gymnasium getrimmt werden, weil man als Akademiker mehr verdiene, weshalb auch die Wirtschaft das Curriculum bestimmen will, um Menschen zu erhalten, die in der sogenannten freien Marktwirtschaft gut funktionieren, weshalb wiederum die Schweiz an die Pisa-Spitze muss, um mit Europa schliesslich den Fernen Osten zu besiegen. Kaum jemand fragt, was für Menschen dabei herauskommen.
Zwei Pole der Diskussion
Hans Peter Scheier hat den Pädagogen Marcel Müller-Wieland vierzig Jahre lang filmisch begleitet und legt mit «Die Freiheit des Menschen» sozusagen dessen «Summa» vor. Der abendfüllende Dokumentarfilm wird ergänzt durch zweimal so viele Extras zu Einzelfragen. Die mit sanfter Stimme vorgetragene Radikalität des langen Gespräches mit dem Pädagogen, das mit Ausschnitten aus früheren Filmen angespielt und eingestimmt wird, fordert heraus.
Eine Reaktion kann die Abwehr sein: Das geht nicht, was Müller-Wieland verlangt, unsere Klassen sind zu gross, zu heterogen, es fehlen genügend Lehrkräfte und Räume, die Reformlawine und die Bildungsadministration verschlingen die Ressourcen der Lehrpersonen und schliesslich wünschen die Eltern keine solche Schule. Eine andere Antwort kann eine selektive Annahme seiner Vorschläge sein: Einzelne Aussagen sind auch bekannt, werden praktiziert, bestätigen das eigene Denken und Handeln. Man bricht einzelne Ideen, die der Pädagoge zwar vorlebt, die aber dennoch oft wie Leitbilder wirken, auf die eigenen Kinder, Klasse, Schule herunter. Und eine dritte Reaktion ist möglich: In das Denken und Tun des Pädagogen eintauchen, sich mit dem Film, all seinen Extras und seinen Büchern, im Sinne von «pädagogischen Exerzitien» auseinandersetzen. Wer sich in diesem Sinne mit Müller-Wieland auseinandersetzt, wird sicherlich einen Gewinn daraus ziehen und mit seiner Botschaft die eigene Schule «mit sehender Liebe» (Pestalozzi) neu wahrnehme, für wahr nehme.
«Die Freiheit des Menschen» Film von Hans Peter Scheier, 2 DVD mit dem Hauptfilm (90 Minuten), 3½ Stunden Extras und einem Booklet mit Inhaltsangaben zu den einzelnen Sequenzen, die wahlweise gespielt werden können. Das Ganze basiert auf 14 Stunden Gesprächen und 4 abendfüllenden Dokumentarfilmen. Kaufpreis Fr. 49.- zuzüglich Fr. 4.- Porto. Bestellungen beim Filmemacher: h.p.scheier@bluewin.ch oder 052 624 33 57. Für öffentliche Aufführungen in Schulen oder andern Kreisen muss vorher beim Autor eine Erlaubnis eingeholt werden. Er kann auch als Referent oder Berater für Diskussionen beigezogen werden.