Àma Gloria

Mit Liebe einen Hymnus auf die Liebe gefilmt: Cléo lebt mit ihrem Vater, Gloria ist als Kindermädchen Teil ihres Lebens. Als die Mutter von Gloria stirbt, muss sie zurück in ihre Heimat nach Kap Verde. Mit dem Spielfilm «Àma Gloria» hat Marie Amachoukeli-Barsacq einen ergreifenden und tiefsinnigen Hymnus auf die Liebe zwischen Erwachsenen und Kindern geschaffen.
Àma Gloria

Gloria und Cléo

Die sechsjährige Cléo (Louise Mauroy-Panzani) lebt mit ihrem Vater, und seit dem Tod ihrer Mutter mit der kapverdischen Nanny Gloria (Ilça Moreno Zego), eine glückliche Jugend in Paris. Das Mädchen liebt Gloria über alles, bei ihr findet sie Schutz und Geborgenheit. Als deren Mutter stirbt, muss sie in ihre Heimat zurück und sich um ihre eigenen Kinder kümmern, die bisher in der Grossfamilie lebten. Die Trennung ist für beide schmerzhaft, weshalb Cléo einen letzten gemeinsamen Sommer mit Gloria auf den Kap Verden verbringen darf. Hier aber muss sie lernen, dass sich die Welt nicht allein um sie dreht.

Der Film der 1979 geborenen französischen Regisseurin lässt uns auf wunderbare Weise die Grösse und Schönheit des Lebens und der Liebe erfahren. Cléo ist ein Naturtalent, das alle Facetten kindlicher Freude und Traurigkeit auslebt. Sie ist das Herzstück des Films. Marie Amachoukelis «Àma Gloria» feierte - nach ihrem Erstling «Party Girl», der einfühlsamen Schilderung des Lebens von Frauen im Milieu - , ebenfalls in Cannes seine Premiere.

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Fremd in einer andern Welt

«Àma Gloria»: ein Denkmal für alle Nannys dieser Erde

 

Indem die Regisseurin den neuen Spielfilm ihrer eigenen Nanny widmet, erklärt sie auch, welche Erfahrungen ihm zugrunde liegen (nach einem Interview von Baptiste Etchegaray mit der Regisseurin): «Laurinda ist die Frau, die sich um mich gekümmert hatte, als ich klein war, sie arbeitete als Hausmeisterin im Wohnhaus, in dem ich lebte. Sie war eine portugiesische Einwanderin. Ich verbrachte die meiste Zeit meiner Kindheit mit ihren Kindern in ihrer Wohnung. Als ich sechs Jahre alt war, erzählte sie mir, dass sie mit ihrem Mann in ihre Heimat zurückkehre, um ein Geschäft zu eröffnen und ein neues Leben in der Nähe ihrer Familie zu beginnen. Das war der erste grosse Schock in meinem Leben. Aber noch heute stehen wir miteinander in Kontakt. Wenn ich sie in Portugal besuche, hängen dort immer noch Bilder von mir zwischen ihren Kindern und Enkelkindern, und sie nennt mich immer noch 'meine Tochter'.

Mit diesem Film wollte ich über die Menschen erzählen, die sich beruflich um Kinder kümmern, und darüber, wie die emotionale Bindung manchmal die vorgegebenen Grenzen ihrer Arbeit überschreitet, also von den Nannys oder den Nounous, wie sie bei uns heissen. In unserer Gesellschaft, in der die Mutterschaft heilig ist, halte ich es für falsch, zu glauben, dass nur Eltern ihre Kinder lieben, sondern dass auch Personen, die kein Elternteil sind, tiefe Liebe zu Kindern empfinden können. Doch davon spricht man nicht. Weil diese Liebe verschwiegen wird, wollte ich darüber sprechen.»

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Die Welt mit andern Augen sehen

Die Welt aus einer andern Perspektive

 

Der Kern des Films besteht, nach meiner Meinung, in der Intensität der gezeigten Formen der Liebe zwischen Erwachsenen und Kindern. Diese schimmert durch jede Szene, durchleuchtet jede Episode. Grandios verkörpert durch Cléo in ihrem ersten Film, sprudelnd von Emotionen, ansteckend mit ihrem Lachen. Im ganzen Film erfahren wir die Welt durch ihre Augen. Und Ilça Moreno Zego, die im Film Rosa spielt, ist im wahren Leben ein Kindermädchen. Die beiden Laien-Darstellerinnen sind klug geführt und ergänzen sich grossartig.

Um die Stärke der Emotionen einzufangen, geht Inès Tabarin mit der Kamera nah an die Personen und fokussiert sie, emotional näher bringt uns auch die Musik von Fanny Martin, und die Zwischensequenzen mit den wunderschönen Animationen von Pierre-Emmanuel Lyet und der Regisseurin führen direkt zu den Gefühlen der Protagonistinnen. Doch hinter all dem steht Marie Amachoukeli, die «Àma Gloria» in eine ästhetische und kommunikative Form bringt, die allen viel zu bieten hat.

«Der Look des kleinen Mädchens ist besonders, weil sie eine Brille trägt. Es ist das Erste, was wir über sie erfahren. Es ist eine besondere Art, die Welt zu erfahren und darzustellen. Wer kurzsichtig ist, begreift die Realität weniger durch das Sehen als durch Bewegung, Hören und Kinästhetik. Ich wollte, dass Cléo die Welt auf diese Weise wahrnimmt. Sie hört viel, die Szenen konzentrieren sich auf ihr Gehör und die Gegenstände, die sie berührt. Louise, die Cléo spielte, ist nicht kurzsichtig, sie war stolz, im Film eine Brille tragen zu dürfen, und pflegte sie, als wäre sie ihr wertvollster Besitz. Sobald sie sie aufsetzte, war sie in ihrer Rolle, war sie Cléo.»

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Cléo und Gloria

Hinter der Liebe die Politik

 

Soziale, familiäre, wirtschaftliche, rassistische und religiöse Realitäten werfen ihre Schatten auf die sonnige, heile Unbeschwertheit der Geschichte. Dennoch wird sie nie ausschliesslich ein politisches Drama, sondern bleibt fest verankert in den persönlichen Emotionen: in der Liebe von Gloria, Cléo und der Regisseurin. Der Krebstod der Mutter von Cléo erhält eine Wiederholung im Krebstod der Mutter von Gloria, was von Cléo Mut und Stärke verlangt. Und auf den Cap Verden brauchen Tochter Fernanda (Abnara Gomes Varela) und Sohn Cesar (Fredy Gomes Tavares) in der Erziehung dringend Hilfe von Gloria. Cléo hat nach dem frühen Verlust ihrer Mutter erneut eine Trennung zu verarbeiten. Dies alles basiert offenbar auf einem inhärenten Konflikt der Konstellation, was auch von Gloria einen hohen persönlichen Preis erfordert. Und damit verweist der Film mit der Nähe der Protagonistinnen zueinander auf eine Ferne untereinander im gesellschaftlichen Graben. All dies ein Hinweis auf die unterschwellige Präsenz eines kapitalistischen Szenarios, in dem harsche Realität greifbar wird.

Dafür sei, sagt die Filmemacherin, für das Kind das Kindermädchen die Bezugsperson, für die Frauen mit dem Job als Nanny fehlt oft Hilfe. Was passiert, hier wie dort, wenn die Frauen zurückmüssen? Als Sechsjährige habe sie sich geweigert, sich von der Nounou zu verabschieden, erst Jahre später gefragt, wer diese Frauen eigentlich seien, die sich um «unsere» Kinder kümmerten und von denen nie gesprochen wird. Darauf gibt der Film vielleicht eine erste, eine leise Antwort. Für die Recherchen habe sie in Peru, Thailand und Mexiko viele Nannys besucht. Alle hätten vom gleichen Schicksal erzählt: Sie mussten, um zu überleben, ihre Lieben verlassen und sich in der Ferne um die Kinder anderer kümmern. Aber dennoch spüre ich über dem ganzen Film als Grundhaltung etwas, was vielleicht in einem Satz im «Kleinen Prinzen» von Saint-Exupéry steht: «Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.»

Regie: Marie Amachoukeli-Barsacq, Produktion: 2023, Länge: 85 min, Verleih: Filmcoopi