To Kill a Mongolian Horse

Zwischen Tradition und Moderne: Donnernde Pferdehufe und elegante Akrobatik einerseits, ein Mann und seine Ex-Frau andererseits kreieren uns, aus weiblicher Perspektive, ein intimes und gleichzeitig welthaftes Spannungsfeld der Männlichkeit in der Krise. Die junge chinesische Regisseurin Xiaoxuan Jiang offeriert uns mit «To Kill a Mongolian Horse» ein Gleichnis darüber aus der Mongolei, das weltweite Gültigkeit haben dürfte. Ab 24. Juli im Kino
To Kill a Mongolian Horse


Saina versucht tagsüber, als Pferdehirt über die Runden zu kommen und für seine Familie zu sorgen, während er nachts in atemberaubenden Pferdeshows als majestätischer Ritter auftritt. Die Welt, in der er lebt, die Steppen der Inneren Mongolei, verändert sich dramatisch und unaufhaltbar. Während er sich im Hinterland um seinen mürrischen Vater und die Pferde seiner Familie kümmert, suchen die meisten um ihn herum das erhoffte bessere Leben in der Stadt. Er jongliert zwischen Tradition und Moderne, Stadt und Land, Vater und Ex-Frau mit Kind und versucht, seinen Weg zu finden, ohne seine Wurzeln zu verleugnen.

 

Xiaoxuan Jiang, eine in der Inneren Mongolei geborene Filmregisseurin, drehte nach einem erfolglosen Kurzfilm ihr Spielfilmdebüt «To Kill a Mongolian Horse», hatte damit Erfolg und wurde, unterstützt von der einfühlsamen Kamera von Tao Kio Qiu und der Music von Unur, am Venedig Film Festival 2024 mit dem Preis für das beste Drehbuch und die beste Regie ausgezeichnet.

 

Gerne gebe ich der bei uns noch unbekannten jungen Regisseurin das Wort, die uns mit persönlichen Worten in den Film einführt:

 

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Was hat Sie bewogen, diesen Film zu machen?

 

«Die Idee zu diesem Film entstand in einer seltsamen Situation meines Lebens. Im Sommer 2022, zwei Jahre nach meinem Abschluss an der Filmhochschule, bekam ich ein Angebot für einen Bürojob, während meine Filmkarriere seit einer gefühlten Ewigkeit stagnierte. Zu dieser Zeit hatte ich meinen Abschlusskurzfilm bei Dutzenden von Festivals eingereicht und keine Zusage erhalten, niemand war bereit, ihn zu zeigen, obwohl ich alle mit Mails bombardiert hatte. Gleichzeitig drehte ich weitere Kurzfilme, die ebenfalls ins Leere liefen. Und was noch dazu kam: Ich war in dem Alter, in dem chinesische Eltern anfangen, sich Gedanken darüber zu machen, wann man heiratet und Kinder bekommt.

 

Der Entscheid ist leichtgefallen, ich lehnte den Bürojob ab. Ich war keine gut organisierte Filmemacherin, mir gelang es nur selten, die entscheidenden Momente mit der Kamera einzufangen. Doch ich versuchte weiter, Dinge nach meiner Intuition anzugehen und einzufangen. Nachdem ich als Dokumentaristin ziemlich erfolglos war, führten mich die fehlgeschlagenen Versuche schliesslich im September mit einem Spielfilm zu etwas höchst Interessantem. Saina, ein Freund von mir, ist Hirte und Reiter in der Inneren Mongolei, wo ein grosser Teil der Bevölkerung lebt. Im September sah ich, wie er Videos von seinem neuen Job als Reiter bei einer Pferdeshow postete. Ich war von seiner beruflichen Veränderung überrascht und meldete mich bei ihm. Er lud mich zu seiner Show ein.

 

Ich war begeistert von seinen verschiedenen Persönlichkeiten, die eine hinter der Bühne, die andere auf der Bühne, die ihre atemberaubenden Tricks auf den Pferderücken vorführte. Ausserhalb der Aufführung beklagte Saina sich darüber, wie schlimm die Dürre ihm finanzielle Schwierigkeiten bringt. Doch sobald er und die anderen Reiter verkleidet sind, verwandeln sie sich auf magische Weise in die klassische Schau einer mongolischen Heldenreise. Dies ein erfolgreiches Projekt für ein Publikum hauptsächlich aus Han-chinesischen Touristen.

 

Ich sah Saina auf der Bühne lächeln, wie er im wirklichen Leben nie lächelt. Nach der Darbietung kehrte er nach Hause zu seiner Ranch, um Schafe zu verkaufen, die er sich nicht mehr leisten konnte, gleichzeitig aber bestand er darauf, seine Pferde zu behalten, egal wie sehr er das Geld auch brauchte. Zurück in seiner Jurte unterhielten wir uns stundenlang darüber, warum er diesen Schritt getan hatte, und über alles, was in seinem Leben vor sich ging. Hier begann mein Film.

 

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Wie haben Sie Saina gefunden?

 

Saina lernte ich 2021 kennen, als ich Drehorte für einen Kurzfilm suchte, er uns dabei half und dann unser Produktionsleiter wurde. Zu dieser Zeit war er gerade geschieden worden und kümmerte sich allein um sein einjähriges Baby. Zwischen den Dreharbeiten musste er manchmal zu seinen Eltern zurück und den kleinen Namuuhan füttern. Meine erste Erinnerung an ihn war also die eines sorgenden Mannes, nicht eines stereotypen Macho-Typs.

 

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Wie sehen Sie als Regisseurin die hypermaskuline Umgebung?

 

In meinem letzten Kurzfilm «Graveyard of Horses» ging es um die Erfahrungen einer schwangeren Hirtenfrau, die in der Steppe lebt. Als ich am Drehbuch für «To Kill A Mongolian Horse» schrieb, waren viele überrascht, dass sich meine Erzählung um einen Mann dreht, der in einer hypermaskulinen Umwelt kämpft. Für mich war das nicht überraschend. Ich schreibe intuitiv und folge gern Figuren, deren Erzählungen mich die Schönheit der menschlichen Erfahrung erkennen lassen, unabhängig vom Geschlecht. Denn wir können die weibliche Perspektive erst voll zur Geltung bringen, wenn wir Geschichten von Männern auch aus weiblicher Erfahrung erzählen. Ich würde es begrüssen, wenn der weibliche Blick auch auf männliche Körper, patriarchalische Strukturen und männliche Aussenseiter gerichtet würden.

 

Viele der Probleme in unserer heutigen Welt werden durch die übermässige Ausbreitung männlicher Energie verursacht. Diese manifestiert sich in der Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen, im endlosen Streben nach materiellem Gewinn sowie der Missachtung der Spiritualität und der Kraft der Natur, die eher bei Frauen zu erfahren sind. Vielleicht ist dies ein Signal für uns, die weibliche Seite in uns allen zu respektieren und zu entwickeln, denn niemand kann in einer unfruchtbaren, hypermaskulinen Welt gedeihen.»

 

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Nachbemerkung: Warum dieser Filmtitel?

 

Spontan erinnert «To Kill a Mongolian Horse» an «To Kill A Mockingbird», also das Buch resp. den Film von Harper Lee resp. Robert Mulligan. Etwas ist der Regisseurin erst beim Drehen aufgefallen; dass es in beiden Titeln um das Töten geht, Töten als Verzehr, als Verwertung zur Vergrösserung des Gewinns. Und mit dem Dezimieren und Töten der wilden mongolischen Pferde wird auch eine Tradition mit wertvollen Werten verkleinert, beendet, getötet. Für etwas Neues muss etwas Altes sterben! Und hier spielt der Film von Xiaoxuan Jiang etwas an, was nicht nur die Mongolei betrifft, sondern die ganze Welt, auch uns. Verschiedene Szenen machen dies sichtbar und hörbar, lassen es wahrnehmen. Wenn gelebte Kultur zur toten Show wird, wenn die Kraft und Schönheit der Pferde in Pferdestärke transformiert. Solches kann die Kunst leisten. Sie stellt dazu Fragen. Diese zu beantworten bleibt unsere Aufgabe, wird uns zur Gabe.

Regie: Xiaoxuan Jiang, Produktion: 2024, Länge: 97 min, Verleih: Firsthandfilms