Ghostlight
Als der melancholische und aufbrausende Bauarbeiter Dan (Keith Kupferer) sich von seiner Frau Sharon (Tara Mallen) und seiner Tochter Daisy (Katherine Mallen Kupferer) etwas entfremdet, in eine örtliche Theatergruppe hineingerät, bei deren Inszenierung von «Romeo und Julia» mitwirkt und dabei in einer multikulturellen Gemeinschaft Verständnis und neue Sinnhaftigkeit für sein Leben entdeckt, entsteht ein Drama auf der Bühne und im Alltag – mit Dan als Romeo und Rita (Dolly de Leon) als Julia.
Auf diesem Hintergrund...
In den englischsprachigen Ländern bezeichnet «Ghostlight» jene Lichter, die nachts auf den Theaterbühnen eingeschaltet bleiben. Sie sollen der Sicherheit dienen und verhindern, dass jemand, der das Dunkel eines Theaters betritt, von der Bühne stürzt.
«Ghostlights» haben auch noch eine symbolische Bedeutung. Der Volksglaube sagt, dass sie die Geister besänftigen, die angeblich in Theatern spuken, indem sie ihnen ermöglichen, nachts auf der Bühne zu spielen und so tagsüber keine Aufführungen der Lebenden stören.
Während des Covid-19-Lockdowns wurden die leuchtenden «Ghostlights» weiter zum Sinnbild für den Widerstand gegen den Virus und die Verbote und gleichzeitig für die Resilienz der Menschen durch die Kunst.
Beim Rollenlesen
... beginnt ein grosses Theater im Film
Kennen wir ihn nicht, den grossen Shakespeare? Und eines seiner bedeutendsten Theater, «Romeo und Julia»? Der Film «Ghostlight» zeigt uns eine Inszenierung in einer nicht originellen Form. Als Gedankenstütze unten ein Kurzinhalt.
Haben wir nicht alle schon Theateraufführungen erlebt, die unter die Haut gingen, weil sie von uns gehandelt haben: von unseren Sorgen, Ängsten, Verzweiflungen, Hoffnungen? Bei den Griechen sprach man von der Katharsis, der Reinigung, die ein Theater leisten kann. Auch das gilt auch für «Ghostlight».
Wie das Künstlerpaar Kelly O’Sullivan & Alex Thompson mit der Geschichte aus dem 16. Jahrhundert in England und der Geschichte im heutigen Chicago, Illinois, umgehen, darf als sensationell bezeichnet werden: Sie erschaffen aus den zwei eigenständigen Werken ein drittes, neues, originelles.
Die tote Julia
«Romeo und Julia», zusammengefasst mit KI
«Romeo und Julia» ist eine tragische Liebesgeschichte von William Shakespeare, die im italienischen Verona spielt. Die beiden Hauptfiguren, Romeo Montague und Julia Capulet, stammen aus verfeindeten Familien, deren jahrzehntelange Feindschaft das Leben der beiden Liebenden überschattet. Trotz der gegenseitigen Abneigung ihrer Familien verlieben sich Romeo und Julia ineinander und heiraten heimlich. Eine Reihe von Missverständnissen und unglücklichen Umständen führt zu ihrem tragischen Tod, was schliesslich zur Versöhnung ihrer Familien führt.
Dan und Sahron
Bevor wir selbst in den Film eintauchen, hören wir das Regieteam, auszugsweise aus einem Interview aus dem «Filmmaker Magazine».
Interview mit Kelly O’Sullivan und Alex Thompson, den Schöpfern des Films
Trauer ist für jede Person ein ganz individueller Prozess, und ihr greift das in eurem Film bei jeder Figur sehr differenziert auf.
O’Sullivan: Das ist etwas, womit wir alle in irgendeiner Form zu tun haben. Es ist eine Mischung aus eigenen Erfahrungen und Dingen, die ich bei Menschen in meinem Umfeld beobachtet habe. Für den Film habe ich viel recherchiert, unter anderem las ich oft in Internetforen, in denen Menschen ihre spezifischen Verlusterfahrungen teilen. Ich machte mir Notizen, was sie sagen, wie sie sprechen, wie sie trauern.
Wie kam es dazu, dass ihr eine echte Familie – Keith Kupferer, Katherine Mallen Kupferer und Tara Mallen – besetzt habt?
O’Sullivan: Die Rolle von Dan im Film war von Anfang an für Keith gedacht. Ich hatte vor zehn Jahren mit ihm ein Theaterstück gemacht. An seine Familie dachte ich dabei zunächst nicht. Dann fragte er, ob seine Tochter Daisy im Film, vorsprechen dürfe, sie sei Schauspielerin und würde ihn umbringen, wenn er nicht frage. Sie kam zum Vorsprechen, trat ein und war ein selbstbewusster Teenager mit echter Bühnenpräsenz. Wir wussten sofort: Die müssen wir besetzen. Tara, Sahron Müller im Film, ist eine hochgeschätzte Theaterschauspielerin, ich kannte ihre Arbeit. Alex meinte nur: «Lass uns sie ansehen.»
Thompson: Wir arbeiten schnell und mit begrenzten Ressourcen. Wenn wir jemanden einfach ins Bild setzen können und das allein schon funktioniert, ist das ein grosser Vorteil. Drei Menschen mit echter, familiärer Chemie, das war ein Glücksfall. Aber es war keine geplante Entscheidung, sie kam erst spät.
Dan, Daisy und Sahron
Die Harmonie zwischen euch spiegelt sich im Ensemble: Die Chemie innerhalb der Filmfamilie und der Theatergruppe ist grossartig. Wie habt ihr diese Energie auch hinter den Kulissen aufgebaut?
O’Sullivan: Viele der Schauspieler:innen kennen sich seit Jahren, weil sie Teil der Chicagoer Theaterszene sind. Diese Vertrautheit war spürbar, viele von ihnen haben schon oft zusammen auf der Bühne gestanden. Wir legen grossen Wert auf die Gemeinschaft: Die Spielszenen im Film sind echte Spiele, das Lachen war nicht gespielt, sondern echt.
Dan ist eine faszinierende Figur – fast wie eine kleine Fallstudie über Männlichkeit. Er hat sich nie erlaubt, offen zu trauern.
O’Sullivan: Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nur Geschichten über Frauen zu schreiben. Dann kam die Idee zu dieser Figur, einem Mann mittleren Alters. Ich fragte mich: Kann das auch eine Frau sein? Aber es wurde schnell klar: Nein. Denn es geht hier ganz spezifisch um eine Generation von Männern, die so sozialisiert wurden, dass sie nur Wut zeigen dürfen, sonst nichts. Mir war wichtig, dass Dan auch später im Film kaum über Gefühle spricht. Sogar in der Anhörung sagt er: «Ich bin altmodisch. Ich versteh das nicht mit der Therapie und dem vielen Reden.» Er lernt nicht plötzlich, über seine Emotionen zu sprechen, doch er beginnt, sie zuzulassen. Ich wollte toxische Männlichkeit zeigen, ohne sie zu benennen. Einfach durch die Figur sichtbar machen, wie schädlich es ist, wenn Männer keinen Zugang zu ihren Gefühlen haben, für sich selbst und für ihr Umfeld.
Ein Epilog ins Schweigen
Noch nie habe ich ein Stück des Theater-Gottes William Shakespeare derart genial in die Siebte Kunst übertragen erlebt wie mit Kelly O’Sullivan & Alex Thompsons «Ghostlight»! Hier erlebt man nicht einfach Filmkunst, sondern Lebenskunst, was weder der Philosophie noch den Kirchen gelingt glaubhaft zu vermitteln.
«Ghostlight» ist ein Film, der beim ersten Schauen interessiert und berührt, beim zweiten erschüttert und uns weiterbringt, ein Film voll emotionaler Intelligenz und intellektuellem Weltverständnis, ein Film, der wie in einer Eruption über uns kommt und demonstriert, dass es sich gelohnt hat, vor mehr als hundert Jahren das Kino erfunden zu haben.