One To One: John & Yoko

Von John Lennon und Yoko Ono zu Nemo & Co: Kevin Macdonald beschreibt im Film «One To One: John & Yoko» das Leben von John Lennon und Yoko Ono von Mitte 1971, als das Paar nach New York zog, bis es sich dort Ende 1972 im Dakota Building niederliess, vor dem Lennon 1980, vierzigjährig, erschossen wurde. Ab 12. Juni im Kino
One To One: John & Yoko

Yoko Ono, Sean One Lennon, John Lennon

 

Zwei persönliche Vorbemerkungen, auf die ich gegen Schluss zurückkommen werde: 1. oder 2. Einen unerwarteten Zugang zu Nemo, Zoë Më, CC und zur aktuellen Popkultur lieferte mir der Film «One To One» über John Lennon und Yoko Ono. 2. oder 1. Einen unerwarteten Zugang zu den Beatles lieferte mir die Auseinandersetzung mit dem Eurovision Song Contest, empfehlenswert zum Einstieg ein Gespräch von Yves Bossart mit Jens Balzer in der «Sternstunde Philosophie» vom 8. Mai 2025 auf SRF.

 

Der britische Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Kevin Macdonald («Marley», «Whitney») hatte quasi unbeschränkten Zugang zu den Bild- und Tonaufnahmen von John Lennon und Yoko Ono. In dieser Zeit lag auch Lennons berühmt-berüchtigtes Lost Weekend, das bei ihm einen eineinhalb Jahre dauernden Drogen- und Alkoholexzess und eine Affäre mit einer Assistentin seiner Frau umfasste. Dass der Film vorzeitig endet, mag einerseits an der Tatsache liegen, dass Macdonald als Regisseur ein autorisiertes Bild des Paares, Sean One Lennon, der Sohn des Paares, als Produzent ein schönes Bild seiner Eltern wollte.

 

Der Film enthält neben TV-Spots und News faszinierende Konzertaufnahmen, bei denen John unter anderem Klassiker wie «Imagine», «Come Together» und «Mother» sang. Ein klassischer Porträtfilm ist nicht entstanden, stattdessen ein moderner Historienfilm in der Form einer hinreissenden Collage.

 

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Soundtrack als Zeitzeugnis eines zerrissenen Amerikas

 

«One to One: John & Yoko» funktioniert als Dokument einer Ära der amerikanischen Geschichte, die voller Konflikte zwischen der konservativen älteren und der liberalen jüngeren Generation war. Eine Ära, in der mehr demonstriert und protestiert wurde als vorher und nachher: Richard Nixon war Präsident, der Vietnamkrieg tobte, der Kalte Krieg drohte, die Angst vor kommunistischen und sozialistischen Sympathisanten hing über allem. Lennon geriet als ausgewiesener Friedensaktivist schnell ins Visier des Geheimdienstes, zumal die Japanerin Ono an seiner Seite stand, die als Kind die amerikanischen Luftangriffe auf Tokio überlebt hatte. In gewisser Weise schrieb John Lennon den Soundtrack zum Bild des Amerika der 70er-Jahre.

 

Johns und Yokos Aus- und Einstieg

 

August 1971. Die Trennung der Beatles liegt ein Jahr zurück, doch die Wunden sind noch tief. Das Interesse der Öffentlichkeit ist weiter enorm, vor allem in New York, wo Lennon mit seiner zweiten Frau in ein eher bescheidenes Appartement im Greenwich Village einzieht. Vorher hatten die beiden auf dem Land gelebt, wo es dem umtriebigen Paar zu ruhig geworden war. Jetzt sind sie kaum jemals allein. Kameras und Mikrofone zeichnen fast jede ihrer Bewegungen und Bemerkungen auf. Und das berühmte Paar nutzt diese Aufmerksamkeit, um sich zu politischen und gesellschaftlichen Missständen zu äussern: zum Vietnamkrieg, der Bürgerrechtsbewegung, aber auch den katastrophalen Bedingungen in einem Heim für behinderte Kinder. Um für dieses Geld zu sammeln, gab Lennon am 30. August 1972 im Madison Square Garden ein Benefizkonzert. Das bisher unveröffentlichte Archivmaterial, persönliche Telefongespräche, private Videos und die restaurierten Konzertaufnahmen bilden den rote Faden zu «One to One».

 

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Yoko Ono, Vermittlerin über alle Grenzen

 

Yoko Ono, die in der Öffentlichkeit und auch im Film im Hintergrund steht, verdient eine respektvolle Erwähnung. Was wurde ihr doch alles vorgeworfen! Sie habe die Beatles zerstört, John Lennon verhext, sie sei eine Schamanin, sie wurde als Asiatin zusätzlich rassistisch attackiert. Inzwischen hat sich das Bild dieser Frau in der Öffentlichkeit weltweit radikal geändert. Noch mit mehr als 90 Jahren ist sie aktiv und kreativ, vor allem als bildende Künstlerin. Grossartig war beispielsweise ihre vielbeachtete Ausstellung von 2022 im Kunsthaus Zürich. Wieder einmal steht eine Frau an der Stelle, wo es mit den Männern nicht mehr weiter ging.

 

Vielleicht ist hier der Sprung in die Moderne angebracht: zum Eurovision Song Contest, ins Jahr 2024 und 2025, nach Malmö und Basel, um zu prüfen, was in den 69 Jahren des ESC sich in der Musikszene verändert hat, was uns mit dem Vergangenen das Kommende besser verstehen lässt.

 

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Nemo, ESC 2024

 

Nemo, Zoë Më und CC: die Nachgeborenen

 

ESC 2024. Dieses Jahr wollte ich es wissen und stürzte mich hinein in das grösste Musikereignis der Welt, das der Schweizer Nemo mit «The Code» gewonnen hatte. Vorbereitet und eingestimmt habe ich mich über die Beatles, John Lennon und Yoko Ono. Doch im Gegensatz zur Radikalität von Nemo und den aktuellen Mitstreitern waren die Beatles ruhig, bedächtig, zurückhaltend, fast schon wie der «pränatale» Zustand einer künstlerischen Produktion. Zugegeben, das ganze Abstimmungsbrimborium am ESC ist auch für mich trivial und rein kommerziell. Die wahre Bedeutung des ESC besteht für mich im weltumspannenden Event von mehrheitlich jungen Menschen, die singen, tanzen, mit neuen Techniken performen und damit eine Utopie leben, ähnlich wie die 68er und doch anders. Mit «The Code» trifft Nemo die Herzen der Menschen, die bereit sind, sich zu öffnen! Hier wird aus einem Niemand ein Jemand, findet eine Menschwerdung statt.

 

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Zoë Më, ESC 2025

 

Im Umfeld des ESC 2025 erzählte Nemo von der Arbeit am neuen Album, das wohl «Casanova» heissen wird. Dieser Name allein schon wird von jedem und jeder anders und doch ähnlich wahrgenommen. Casanova war bekannt als Liebhaber, Frauenheld und Reisender. Und auch nach 300 Jahren stehen seine Eigenschaften noch für Abenteuer, Romantik, Exzess und Tiefe. Mit 116 Affären wurde der Adelige aus Venedig schon als «Vater aller Playboys» gekürt und wühlt der Name noch heute Unterwelt und Unterbewusstsein vieler auf.

 

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Nemo

 

Am Ende des 25er-ESC brachte Nemo, als Zugabe oder Vorschau, den Song «Unexplainable», nachdem Zoë Më mit ihrem verinnerlicht gesungenen, fast gebeteten Lied «Voyage» die Fachjury, nicht aber die Masse überzeugt hatte und nachdem CC (Johannes Pietsch) mit «Wasted Love» Sieger wurde. Nemo trägt in seiner Show provozierende Kleidungsstücke, singt und schreit ins Mikrofon, wirft sich auf den Boden, reisst seine Perücke vom Kopf ̶ und verwirrt und provoziert viele Zuschauerinnen und Zuschauer. Auch das gehört dazu, angesichts des Zustandes unserer Welt.

 

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CC, ESC 2025

 

«Müssen wir uns um Nemo Sorgen machen? Oder eher um uns?», fragt Ane Hebeisen im Tages-Anzeiger. Nach meiner Meinung trifft das Zweite zu. Denn Nemo fordert uns heraus, wirft uns auf uns zurück.

 

Mit Nemo, Zoë Më und CC geht der ESC weiter. Wohin? Das weiss niemand. Die heutigen und morgigen Bilder und Töne, Songs und Shows entwickeln sich weiter, wie es auch jene der Beatles gemacht haben: Neue Bilder, Abbilder, Vorbilder, Sinnbilder entstehen, werden verbreitet und verlangen von uns Rückmeldungen und Antworten.

 

 

Regie: Kevin Macdonald, Produktion: 2024, Länge: 101 min, Verleih: xenixfilm