Franz K.

Ein Film über Kafka, wie von ihm gemacht: Die 76-jährige polnische Regisseurin Agnieszka Holland hat mit «Franz K.» ein Meisterwerk über den Jahrhundertdichter, gleichzeitig ein Selbstporträt und ein Pamphlet über unsere Welt geschaffen und löst vielleicht auch bei uns Selbstreflexionen aus.
Franz K.

 

Als letzten Film von Agnieszka Holland, der in Warschau geborenen, oscarnominierten Cineastin und Vorsitzenden der Europäischen Filmakademie, haben wir bei uns wohl den Film «Green Border» über eine Reise in die Hoffnungslosigkeit gesehen: Eine syrische Familie macht sich auf, verführt von den Politikern, um über Weissrussland und Polen zu Verwandten nach Schweden zu kommen. Doch alles war Lug und Trug an den hilflosen Flüchtlingen. «Ich kann nicht mehr schweigen, ich muss darüber einen Film machen!»

 

Nicht viel anders dürfte es ihr mit Kafka ergangen sein, was das folgende Gespräch bestätigt.

 

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Gespräch mit Agnieszka Holland

 

Warum brauchen wir noch einen Film über Kafka?

Als ich mich zu diesem Versuch entschloss, gab es keinen anderen Film über Franz Kafka, ausser Steven Soderberghs «Kafka», der eigentlich nicht wirklich von Franz handelt. Wir haben einige Jahre gebraucht, um das Konzept zu schreiben und umzusetzen, das ich seit Jahrzehnten im Kopf hatte. In den letzten Jahren kam es mir wieder verstärkt in den Sinn, vielleicht weil sein Geheimnis und seine Botschaft in vielerlei Hinsicht immer relevanter geworden sind, während sein Leben unter Bergen von Interpretationen, Gadgets und Klischees begraben wurde. Nach zwei Jahren Arbeit an diesem Film bin ich mir ziemlich sicher, dass unsere Vision unseren Ambitionen treu geblieben ist und es sich gelohnt hat.

Ihr Film ist kein rein biografisches Porträt, sondern taucht tief in die psychologische Verfasstheit von Franz Kafka ein: seine Ängste, Wünsche, inneren Konflikte. Wie sind Sie an diese komplexe Figur herangegangen? Was hat Sie an seiner Biografie und seinem Werk besonders fasziniert?

Das ist schwer zu erklären, denn ich wollte keine weitere intellektuelle Interpretation seines Lebens und seines Werks liefern, davon gibt es schon so viele! Ich nähere mich meinem Franz, zusammen mit dem Drehbuchautor Marek Epstein, auf sehr intuitive Weise. Wir haben in ihm einen zeitgenössischen jungen Mann gesehen, verloren, unsicher, entfremdet, vielleicht neuroatypisch, und gleichzeitig fest davon überzeugt, dass er das tun muss, was er tut: schreiben. Und sein Schreiben, seine Vision sind immer noch die ständige Inspiration und Herausforderung.

Sie beschreiben Franz Kafka «wie einen Bruder, zerbrechlich und stark zugleich». Woher kommt diese tiefe emotionale Verbindung zu ihm?

Ich habe schon sehr früh angefangen, Kafka zu lesen. Ich war 14, als ich «Das Schloss» las, dann «Der Prozess«, die Kurzgeschichten und die kurzen philosophischen Prosatexte. Gleichzeitig las ich einige seiner Briefe, insbesondere die Briefe an Milena, und Max Brods biografisches Buch. Ich fühlte sofort eine sehr starke Verbindung. Seine Sicht auf die Welt war für mich in jeder Hinsicht relevant, entsprach meinen Ängsten und meiner Intuition, und ich bewunderte seinen künstlerischen und intellektuellen Mut und empfand Mitgefühl für seine Unfähigkeit, ein «normales», erfülltes Leben zu führen. Seine gemischte Identität, seine ständige Einsamkeit machten ihn zu jemandem, der mir sehr nahestand. Ich hatte wirklich das Gefühl, er sei mein Bruder, und ich wolle mich um ihn kümmern. Einer der Gründe, warum ich mich für ein Studium an der Filmakademie in Prag entschied, war die Tatsache, dass es Kafkas Heimatstadt ist. 1981 adaptierte ich «Der Prozess» für das polnische Fernsehen, das war für mich eine der spannendsten intellektuellen Erfahrungen. Seit dieser Zeit spiele ich mit der Idee, einen Film über Franz zu drehen.

Kafka ist bekannt für seine komplexen, oft schwer fassbaren Werke. Wie haben Sie diesen Spagat zwischen seinen literarischen Aspekten und der filmischen Umsetzung geschafft? Welche filmischen Techniken haben Sie verwendet?

Zusammen mit Marek Epstein haben wir uns entschieden, die Geschichte fragmentarisch zu erzählen und dabei eher assoziativ als linear vorzugehen. Zusammen mit dem Kameramann Tomasz Naumiuk und dem Szenenbildner Henrich Boráros haben wir uns von Kafkas Bildsprache und von seinem traumhaften Realismus inspirieren lassen. Kafkas Welt wird auf sehr realistische, aber dennoch irgendwie traumhafte Weise beschrieben. Es handelt sich nicht um klassischen Surrealismus, sondern um etwas Brutaleres. Wir wollten auf keinen Fall viele Spezialeffekte verwenden, alles in unserem Film, die Kulissen, Kostüme, Farben, ist real, aber leicht «verzerrt».

Ihr Film beschäftigt sich auch mit Kafkas schwieriger Beziehung zu seiner eigenen Identität und seiner Umgebung. Welche Themen, die Kafka in seinen Werken behandelt, halten Sie heute für besonders relevant?

Viele junge Menschen, insbesondere junge Männer, können sich in Franz' Kämpfen und Unfähigkeiten im Umgang mit der Aussenwelt, in den Schwierigkeiten in Beziehungen zu Frauen, zu anderen Menschen und zu Eltern wiedererkennen. Seine Texte beschreiben auf sehr moderne und eindringliche Weise die Entmenschlichung unserer Gesellschaften, die Grausamkeit und Entfremdung, und nehmen eine mögliche Zukunft vorweg, in der totalitäre Regime erneut die Macht übernehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg Kafkas Ruhm, er galt als Prophet der Konzentrationslager. Heute klingt sein kalter Pessimismus leider wieder sehr aktuell.

Idan Weiss' Darstellung wirkt fast wie eine Reinkarnation von Franz Kafka. Wie schwierig war es, ihn und die anderen Figuren so passend zu besetzen?

Es war die unvergessliche Casting-Direktorin Simone Bär, die, bevor sie starb, meines Wissens die Idee hatte, Idan zu besetzen. Nach ihrem Tod stellte uns ihr Team Idan bei unserer ersten Casting-Session vor. Ich war sofort überzeugt und beeindruckt, nicht nur von seiner physischen Ähnlichkeit mit Franz, sondern auch von seinem tiefen Verständnis für die Figur und seiner spirituellen Nähe zu ihr. Der Casting-Prozess war also überraschend einfach. Ich war dankbar, dass die beiden vorherigen Regisseure, die 2024 einen Film und eine Miniserie über Kafka drehten, Idan nicht gefunden hatten! Er wartete auf uns.

Für viele Zuschauer ist Kafka ein eher schwer zugänglicher Autor. Welche Wirkung hoffen Sie, dass Ihr Film auf das Publikum haben wird, insbesondere auf diejenigen, die sich bisher noch nicht intensiv mit ihm beschäftigt haben?

Wir haben alles getan, um einen lebendigen Franz zu zeigen, er unterscheidet sich nicht von einem jungen Mann unserer Zeit. Wir haben auch das Paradox seiner kommerziellen, populären Wahrnehmung gezeigt, er ist insbesondere in Prag zu einer Art Ikone und Marke geworden. Diese beiden Ebenen und der Humor, den sie erzeugen, machen den Film, zumindest hoffen wir das, für das heutige Publikum attraktiv. Und wenn wir den Schlüssel zu Franz Kafka als Person finden, sind wir auch dem Schlüssel zu seinem Werk näher.

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Tipps des alten Medienpädagogen, von Agnieszka Hollands Leidenschaft bewegt

 

Agnieszka Hollands Film und Ausführungen machen bewusst, dass es ein lineares und ein intuitives Verstehen gibt. Nur wer Leben und Werk von Franz Kafka ganz kennt, wird den Film linear verstehen. Die andern, die die Bücher vor Jahren gelesen haben, können ihn in seiner cineastischen und persönlichen Grösse intuitiv verstehen und machen sich vielleicht auf, wieder Kafka zu lesen.

Auch den Text im Anhang, «In der Strafkolonie der Gegenwart: Warum Franz Kafka heute aktueller ist denn je» zu lesen, lohnt sich.

Ich hoffe, meine Deformation professionelle hat Sie nicht behindert, sondern motiviert.

Regie: Agnieszka Holland, Produktion: 2025, Länge: 127 min, Verleih: Frenetic