Free Zone

Radio und Fernsehen berichten fast täglich in Kurzform und vor allem mit Szenen äusserer Dramatik über die Situation im Heiligen Land. Doch was Not tut, wollen wir der Wahrheit etwas näher kommen, das sind eingehende Dokumentarberichte über das alltägliche Leben in dieser Region oder Spielfilme über die psychische Situation dieser Menschen.

Ein solcher ist der Film ist «Free Zone» des israelischen Regisseurs Amos Kitai. Rebecca, eine junge Amerikanerin, lebt seit einigen Monaten in Jerusalem und hat gerade ihren Verlobten verlassen. Sie steigt ins Taxi von Hanna, einer Israelin, um irgendwohin gefahren zu werden. Weil die Taxifahrerin eine Reise in die «Free Zone» an der Grenze zwischen Jordanien und dem Irak geplant hat, um eine geschäftliche Angelegenheit zu regeln, nimmt sie Rebecca mit. Angekommen in der Steuer- und Zoll-Oase, eröffnet Leila, eine Palästinenserin, dass der gesuchte Geschäftspartner Hannas nicht da sei und sie die geschuldeten 30 000 Dollar nicht übergeben könne. Damit will sich Hanna nicht zufrieden geben. Doch sie weiss, dass sie Rebecca nicht in Gefahr bringen darf, und lässt von einer weiteren Unternehmung ab. Der Film endet in einem endlosen Wortstreit, einem echten Palaver der Israelin und der Palästinenserin; die Amerikanerin macht sich davon.Eigentlich, so sehe ich es, ist die Geschichte nur der Aufhänger, um in einigen symbolischen Bildern und Szenen Botschaft zu verbreiten. Elfriede Jelinek hat vor kurzem in einem Interview über ihr Arbeiten etwas gesagt, das auch auf diesen Film angewendet werden kann. Sie meint, dass die Figuren in ihren Büchern nur als «Kleiderbügel» dienen, an denen sie die Sprache hänge. Auf unsern Film bezogen, könnte das heissen, dass die Geschichte nur dazu dient, Symbole zu kreieren, die Aussagen über die Befindlichkeit dieser Region und ihrer Menschen machen.

Bilder, die mehr sagen als tausend Worte

Betrachten wir deshalb einige dieser Bilder: Der Film beginnt, provokativ lang, mit einer neun minutigen Naheinstellung von Rebeccas Gesicht, in einem Auto sitzend, weinend, heulend, schluchzend. Aus dem Hintergrund dringen bei geöffnetem Fenster Stadtgeräusche von Jerusalem und Bilder der Klagemauer herein. Dazu hören wir ein hebräisches Volkslied (Had Gadia), das in einer Parabel die Situation im Nahen Osten beschreibt.Eine weitere, die aktuelle Situation abbildende Szene ist jene, in der Anna mit ihrem Mann und Laila mit ihrem Mann telefonieren. Die Frauen sind leibhaft präsent; die Männer unsichtbar im Hintergrund. Die Frauen kommunizieren streitend; die Männer vertreten kompromisslos eine Meinung.Und nochmals beeindrucken die drei Frauen, wie sie auf der Fahrt im Auto miteinander plaudern, was allmählich in gemeinsames Singen übergeht. Und sozusagen als Rahmen zum Lied am Anfang gibt es am Schluss ein echtes Palaver zwischen der Israelin und der Palästinenserin, dessen Inhalt nicht übersetzt wird, und bei dem die Amerikanerin sich aus dem Staub macht. Gitais «Free Zone» ist ein Roadmovie mit einem multikulturellen Frauentrio, das sich in einer Welt voller Misstrauen, bewachter Grenzübergänge und männlicher Machtgehabe zu behaupten vermag, das aus drei verschiedenen Perspektiven die Wirklichkeit im Nahen Osten betrachtet.

Had Gadia

Mein Vater hatte es gekauft
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!
Mein Vater hatte es gekauft
zum Preis von zwei Talern.
So steht es in der Haggada.

Da kam die Katze
und frass das Lamm.
Der Hund erwürgte die Katze,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!

Da kam der Stock,
der den Hund schlug,
der die Katze erwürgt hatte,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte.
Er hatte es gekauft
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!

Da kam ein Feuer und verbrannte den Stock
der den Hund geschlagen hatte,
der die Katze erwürgt hatte,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!

Da kam das Wasser und löschte das Feuer,
der den Hund geschlagen hatte,
der die Katze erwürgt hatte,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!

Da kam ein Ochse und trank das Wasser,
das das Feuer gelöscht hatte,
das den Stock verbrannt hatte,
der den Hund geschlagen hatte,
der die Katze erwürgt hatte,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!

Da kam der Metzger und tötete den Ochsen
der das Wasser getrunken hatte,
das das Feuer gelöscht hatte,
das den Stock verbrannt hatte,
der den Hund geschlagen hatte,
der die Katze erwürgt hatte,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte.

Da kam der Todesengel,
der den Metzger erstach,
der den Ochsen getötet hatte,
der das Wasser getrunken hatte,
das das Feuer gelöscht hatte,
das den Stock verbrannt hatte,
der den Hund geschlagen hatte,
der die Katze erwürgt hatte,
die das Lamm gefressen hatte,
das mein Vater gekauft hatte
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!

Warum singst du also, kleines Lamm? 
Der Frühling ist noch nicht gekommen
und Passah auch nicht.
Hast du dich verändert?
Ich habe mich dieses Jahr verändert.
Und jeden Abend habe ich wie alle Abende
nur vier Fragen gestellt.

Aber heute Abend
fällt mir eine andere Frage ein:
Wie lange hält dieser Teufelskreis an?
Heute Abend habe ich eine andere Frage:
Wie lange hält dieser Teufelskreis an?
Von Verfolger und Verfolgtem,
von Henker und Opfer.

Wann nimmt dieser Wahnsinn ein Ende?
Hat sich etwas verändert?
Ich habe mich dieses Jahr verändert.
Ich war ein zartes Lämmchen
und bin zu einem Tiger
und einem wilden Wolf geworden.
Ich war eine Taube, eine Gazelle.
Heute weiss ich nicht, wer ich bin.

Mein Vater hatte es gekauft
zum Preis von zwei Talern.
Das Lamm! Das Lamm!
Unser Vater hatte es gekauft
zum Preis von zwei Talern.
Und die Geschichte beginnt von vorn.