Mundo grua
Doch so lange damit Dienstleistungen zu verkaufen sind und das Gewissen von Arbeitgebern zu beruhigen ist, macht man weiter. Sich persönlich mit dem Altern auseinandersetzen und grundsätzlich über die Arbeit nachdenken, wäre wirksamer. Der Film «Mundo grua» (Die Welt der Kräne) könnte dabei helfen.
Der Mensch ist ein Wesen, das in vielfältige Netze eingebunden ist. Im Netz der Familie, das zu seinen Wurzeln führt; im Netz von Raum und Zeit, das beispielsweise die Arbeit beinhaltet; im Netz der Mitmenschen, das Kommunikation erst schafft. – «Mit 'Mundo grua' wollte ich zeigen, wie die sozialen Bedingungen einschneidend in das Leben eines Mannes hineinspielen, der eigentlich nur eines möchte: ruhig leben mit seiner Familie, seinen Freunden und seiner Freundin», meint der Filmemacher Pablo Trapero.
«Zeige mir deine Arbeit, und ich sage dir, wer du bist», möchte man gelegentlich alternden Menschen, vor allem Männern zurufen. Ihr seelisches, aber auch körperliches Befinden resultiert vor allem am Anfang und am Ende der Erwerbsarbeit aus der Art und Weise, wie Arbeit ist, wie sie erlebt wird, aus der Rolle und Funktion, welche sie im Leben einnimmt. – Man müsste, so meine ich, die vertiefte Diskussion über die Arbeit, das ganze Arbeitsleben zum Kerngeschäft jeder ehrlichen und wirksamen Berufs- und Altersvorbereitung erklären.
Der junge Argentinier hat in seinem ersten langen, mehrfach preisgekrönten schwarz-weissen Low-Budget-Film einen faszinierenden dokumentarischen Spielfilm zu dieser existentiellen Situation gedreht. Filmisch gestaltet in einer grobkörnigen Schwarzweiss-Ästhetik und einem scheinbar improvisierenden Erzählstil, der an Jarmusch und Kaurismäki erinnert. «Ich wollte eine Geschichte erzählen, die vom Intimen der Betroffenen ausgeht, und nicht ein Pamphlet machen.»
Der Film moduliert, wie ein Musikstück, gleichnishaft aus einer dokumentarischen in eine fiktionale und schliesslich fantastischen Form. Diese filmische Transformation bietet sich auch als Struktur an für die Diskussion über die vielfältigen Aussagen zum Thema des Alterns und des Alters. Auch im Leben zählen anfänglich die Fakten (der Job, der Lohn), dann die menschlichen Beziehungen (Partner, Freunde, Kameraden, Nachbarn) und schliesslich die Fragen nach dem Sinn (der Arbeit, des Lebens und des Sterbens).
Rulo (gespielt von einem Laien, dem Elektriker und Bastler Luis Margani), die Hauptperson, ist um die fünfzig, gutmütig und ziemlich beleibt. Früher war er Bassist in einer bekannten Rockband. Nun schlägt er sich mit Gelegenheitsarbeiten auf Baustellen durch. Mit Hilfe seines Freundes Torres bereitet er sich auf die Prüfung als Kranführer vor. Voller Zuversicht geht er eine Beziehung mit Adriana ein, die eine Sandwichbude betreibt. Sie kann es kaum glauben, dass er in der Band spielte, für die sie vor Jahrzehnten schwärmte. Zugleich aber bereiten ihm sein Sohn, ein erfolgloser Musiker, und seine Exfrau Sorgen. Als es mit dem Traumjob nicht klappt und ihm auch die Gesundheit Probleme macht, ist er gezwungen, eine Stelle in Südargentinien, tausend Kilometer von Buenos Aires entfernt, anzunehmen.
Rulo ist ein Held, der nach und nach alles verliert, was er besitzt. Er war früher einmal eingebettet im «Ballett der Kräne», war selbst ein Teil dieses «Symbols für den Fortschritt». Am Schluss sind es die stillstehenden Bagger und Laster, die wie urzeitliche Saurier in den Himmel ragen und dafür stehen, dass Rulo jetzt ohne Arbeit, dass er «out» ist, bis ihn die Nacht umfängt, es um ihn und in ihm dunkel wird. Er wirkt verloren in der steinigen, kahlen, leblosen Landschaft Patagoniens. Die Kamera von Cobi Migliora malt «Seelenlandschaften», die in jeder und jedem von uns andere eigene Bilder auslösen dürften. Der Protagonist ist «trotz der Schläge, die er erhält, kein Besiegter, aber er taugt auch nicht zum Helden der kämpfenden Arbeiterklasse. Er macht einfach das, was in seiner Reichweite liegt.» Der Film zeigt die Innenseite von dem, was man einen «politischen» Film nennt: das Bild einer «condition humaine» zwischen Gelingen und Misslingen.
«Mundo grua» kann verglichen werden mit zwei Chaplin-Filmen: mit «Modern Times» bezüglich der Einbettung der Existenz in die Arbeitswelt, mit «Limelight» bezüglich der Vernetzung in der Menschenwelt. Dies mag die Thematik nochmals ausweiten.
Trapero erzählt seine Geschichte in einer anrührenden, liebenswürdigen Ironie, respektiert aber dennoch die stumme Unausweichlichkeit des Schicksals als letzten Grund unserer Existenz. Sich damit auseinander zu setzen, dürfte sich für Professionelle aus der Altersarbeit wie für älter werdende Menschen, die wir alle sind, lohnen.