Paper Dolls

Nach dem Beginn der zweiten Intifada schloss Israel seine Grenzen für Arbeiter aus den palästinensischen Gebieten, welche zuvor meist schlecht bezahlten Tätigkeiten in Haushalt und Altenpflege ausübten.

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Um die vakant gewordenen Stellen neu zu besetzten, ermutigte die Regierung Arbeitskräfte aus anderen Teilen der Erde zur Einreise. Zu ihnen gehörten auch philippinische Transsexuelle. Um deren Leben dreht sich der Dokumentarfilm «Paper Dolls» des israelischen Regisseurs Tomer Heyemann.

Unmittelbar und ungeschönt porträtiert der Regisseur die Drag-Queens-Gruppe «Paper Dolls» in ihrem Alltag. Er begleitet sie tagsüber bei der körperlich und seelisch anspruchsvollen Pflege der alten Menschen und zeigt sie nachts in ihrer Verwandlung zu den schillernden Paper Dolls im Nightlife von Tel Aviv.

Auf der Hinterbühne des Lebens

Der Film zeigt nicht die der breiten Öffentlichkeit bekannte Welt im heutigen Israel, sondern begibt sich auf die «Hinterbühne» (Erwing Goffman) und zeigt das «Inoffizielle», das nur die Eingeweihten und Beteiligte kennen, wo man sich unbeobachtet fühlt und gelegentlich aus seiner Rolle fällt. Doch gerade das Ausleuchten dieser Hinterbühne macht Verborgenes, Verdrängtes, Verleugnetes sichtbar und erlebbar, bringt es in den öffentlichen Diskurs.

Ganz allgemein gilt doch, dass man die schwächsten Glieder einer Gesellschaft beobachten muss, um zu erfahren, wie es um eine Gesellschaft steht. Es können dies die Kinder, die Alten oder die Menschen mit Behinderungen sein – oder eben jene Männer-Frauen oder Frauen-Männer, die sich irgendwo im Niemandsland der Geschlechtlichkeit – und auch der Geschichtlichkeit – aufhalten.

Details dieses «documentaire romancé» wirken gerade durch die gelungene künstlerische Umsetzung des gefilmten Materials mit der Montage und der Musik widersprüchlich und provokativ. Doch eigentlich ist er ein berührendes Plädoyer für mehr Mitmenschlichkeit für Menschen «ganz unten».

Man hat Arbeitskräfte geholt, und es kamen Menschen

Diese ins Land geholten fremden Arbeitskräfte, besitzen nur solange ein Visum, wie sie ihre Jobs ausüben. Eine Entlassung oder der Hinschied eines Arbeitgebers kommt einem Landesverweis gleich. Hier wiederholt sich, was Max Frisch in den Sechziger Jahren über die Situation der Italiener in die Schweiz geschrieben hat: «Man hat Arbeitskräfte geholt, und es kamen Menschen.»

In unzähligen kleinen Beobachtungen und filmischen Anmerkungen erhalten wir hier – ähnlich wie es Ernest Goldberger in seinem wissenschaftlichen Standardwerk «Die Seele Israels» leistet – über den Zugang der Kunst ein eindrückliches Bild der Befindlichkeit eines Teils des israelischen Volkes.

Der israelisch-schweizerische Film wurde in Berlin, Los Angeles und Israel mit Preisen ausgezeichnet.