Thorberg

Menschen hinter Gefängnismauern: Sieben Insassen aus sieben Nationen stehen im Zentrum des Films «Thorberg» von Dieter Fahrer: Schwere Jungs, sagt man. Wie schwer wiegt das Schwere? Wieso tut Mann Böses? Wird Mann hier besser? Fragen, die der Film stellt.

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Stellvertretend für 180 Männer aus 40 Nationen, die in der Strafanstalt Thorberg einsitzen, berichtet der Film eindringlich von Entgleisungen, Verzweiflung, Reue und Hoffnung. Enge und Beklemmung sind spürbar, die Kamera verlässt das Gefängnis nie. Das Publikum stellen sich Fragen, Zweifel werden wach und Vorurteile brüchig, denn hinter den einzelnen Schicksalen brechen Abgründe auf, werden Wunden, Konflikte und Gewalt sichtbar. Die Gefangenen erhalten in diesem Film ein Gesicht. Da, wo die Gesellschaft längst auf Distanz gegangen ist, wird Nähe möglich.

Leider gehört es zu den Eigenheiten der Massenmedien, dass sie – sowohl im fiktionalen wie im non-fiktionalen Bereich – vornehmlich Verbrechen ohne das Danach und Davor abbildet. «Tote beleben die Medien», hat man diese Situation schon zynisch beschrieben. Nur selten wird gezeigt – obwohl dies politisch wichtig wäre –, wie es dazu kam und wie es nachher ist. Der Film von Dieter Fahrer (1958 in Bern geboren, Autor von «Que sera?» und «Jour de nuit») zeigt eindringlich das Danach: den Täter nach dem Verbrechen im Gefängnis, und etwas vom Davor, in seinen Aussagen. Das Opfer ist hier nicht das Thema, der Film ist bewusst einseitig. Und gerade dadurch ein wichtiger Beitrag zum öffentlichen Diskurs über das Thema «Strafe und Humanität».

Der Filmemacher war gegen 200 Tage und einige Nächte selbst im Gefängnis, hat sich dort auch einschliessen lassen. Erst so erhielt er, nachdem er sie bereits von der Direktion und den Mitarbeitern erhalten hatte, auch von den Gefangenen das Vertrauen, ohne welches solche Porträts nie hätten gedreht werden können. Aus 150 gedrehten Stunden hat er einen beklemmenden und aufwühlenden Dokumentarfilm von 105 Minuten geschaffen.

Folgende im Gefängnis Einsitzende werden vorgestellt, kommen uns als Menschen näher:

Ismet (Türkei)

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Verurteilt zu 8 Jahren Freiheitsstrafe. Seit 2008 in Haft. Im Januar 2012 erfuhr Ismet, dass er bei Haftende in der Schweiz bleiben kann. Er wurde in eine offene Anstalt verlegt. Im September 2012 kann er mit einer elektronischen Fussfessel das Gefängnis verlassen.

Ilaz (Kosovo)

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Verurteilt zu 7 1/2 Jahren Freiheitsstrafe. Seit 2005 in Haft. Die Fachkommission wollte seinen Fall nicht neu beurteilen. Ilaz gilt weiterhin als gemeingefährlich und muss seine Haftstrafe vollumfänglich verbüssen. Er wird im Dezember 2012 ausgeschafft.

Luca (Schweiz)

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Verurteilt zu 14 Jahren Freiheitsstrafe und zu stationärer psychotherapeutischer Behandlung. Seit 2008 in Haft. Luca wurde in eine geschlossene psychiatrische Anstalt in der Ostschweiz verlegt.

Andrij (Ukraine)

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Verurteilt zu 12 Monaten bedingter Freiheitsstrafe. 2010/2011 in Haft. Anfangs 2012 kam Andrij vor Gericht. Da er die Haftstrafe im vorzeitigen Vollzug schon verbüsst hatte, wurde er nach dem Prozess ausgeschafft.

Maiga (Elfenbeinküste)

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Verurteilt zu 3 Jahren Freiheitsstrafe. 2008 – 2011 in Haft. Auf dem Migrationsamt wurde ihm ein Platz in einem Luftschutzkeller angeboten. Er verzichtete darauf und fand bei Freunden Unterschlupf.

Janis (Lettland)

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Verurteilt zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Seit 2001 in Haft. In der neuen Anstalt kam er anfangs 2012 zu ersten begleiteten Freigängen. Er wird vermutlich innerhalb der nächsten Monate bedingt entlassen und ausgeschafft.

Timothy (Grenada)

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Verurteilt zu 12 Jahren Freiheitsstrafe. Seit 2010 in Haft. Timothy wurde in eine andere geschlossene Strafanstalt verlegt.

Materialien zur Vertiefung und Ausweitung

Ein Film wie «Thorberg», der bewusst einseitig ist – kein Opfer und keine Angehörigen von Opfern kommen vor oder werden befragt –, verlangt eine Auseinandersetzung: das Gespräch und die Analyse. Die offizielle Website des Films www.thorberg.ch enthält interessante Informationen dazu. In einem Booklet, das der Verleiher www.looknow.ch abgibt, und im medienpädagogischen Begleitmaterial, das bei www.achaos.ch gratis herunterzuladen ist, gibt es ausführliche Informationen und Unterlagen unter folgenden Titeln: Zum Strafen allgemein; Vom Sinn und Zweck von Strafe; Formen der Strafe in der Schweiz; Die Freiheitsstrafe; Das Beispiel «Thorberg»; Lebenslängliche Verwahrung; Der offene Strafvollzug; Ein Tagesablauf, Strafe und Humanität (Hans Saner). – Zur Ausweitung des Themas dient die Ausstellung «Menschen vom Hoger» im Museum für Kommunikation in Bern, die im Seniorweb bereits vorgestellt wurde.