Buebe go z'Tanz

Ein Rock-Ballett-Wunder: «Buebe gö z’Tanz»: ein faszinierender Dokumentarfilm von Steve Walker über eine Gemeinschaftsproduktion von «Kummerbuben» und «Bern:Ballett»

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Die «Kummerbuben» mit ihrer Rumpelmusik wollen als erste Rockband in den heiligen Hallen des Stadttheaters Bern spielen. In einem gemeinsamen Stück mit den Tänzerinnen und Tänzern des Ensembles von «Bern:Ballett» in der Choreografie der beiden Tänzerinnen Izumi Shuto und Martina Langmann. Um den Sprung zur Choreografin zu schaffen und ihrem Traum ein Stück näher zu kommen, opfern die beiden neben den harten Proben im Ensemble ihre ganze übrige Zeit und Energie dem Projekt mit den Kummerbuben. Beide Parteien wagen sich in eine neue künstlerische Sphäre, wofür sich alle hohe Ziele gesteckt haben: Die Band will alle Musikteile für das Stück neu komponieren; die beiden Tänzerinnen wagen sich zum ersten Mal an die Gestaltung eines 40-minütigen Stücks mit einer komplexen Choreografie.

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Ein Tänzer sucht die Bewegung zur Musik

Die Entstehung eines Kunstwerkes

«Buebe gö z’Tanz. Kummerbuben & Bern:Ballett»» erzählt von zwei Welten und einer Bühne, von Schweiss und Schmerz, Hierarchie und Anarchie und von den befreienden Momenten einer geglückten Verschmelzung von Tanz und Musik. Die chaotische Welt des Probekellers der Buben prallt auf die Professionalität des Balletts. Und wir Zuschauer erleben etwas äusserst Kostbares: Wir sind während 85 Minuten hautnah dabei, wie ein Kunstwerk entsteht. Wir erleben, wie die international bekannte Tänzerin und Choreografin Izumi Shuto im Wald tanzend zu ihren Ideen Formen sucht, wie die Kummerbuben im verrauchten Probenlokal beim Diskutieren und Experimentieren Melodien kreieren, wie der Saxofonist Daniel Durrer und der Akkordeonist Mario Batkovic draussen auf dem Feld üben und nochmals üben. Wir erfahren, wie die Tänzerinnen und Tänzer die Musik in Bewegung, die Musiker die Bewegung in Musik umsetzen.

Markus Heiniger an der Kamera und Stephan Heiniger mit dem Schnitt haben dies alles unter der Regie von Steve Walker aufgezeichnet und zu einem kongenialen, einem wunderbaren Film verarbeitet. Bei einem solchen künstlerischen Schöpfungsprozess dabei zu sein, ist ähnlich wie der Geburt eines Kindes beizuwohnen: ein Wunder, das tief berührt!

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Die Kummerbuben erobern die grosse Bühne

Dialoge hautnah erlebt

Wer erleben will, was Gespräche, Dialoge, Auseinandersetzung sind und bewirken, kann dies hier mit allen Sinnen und mit dem Verstand erfahren. Müsste ich ein Team in Kommunikation coachen, ich würde ihm diesen Film zeigen und von den Teilnehmern befragen lassen. Er gibt zwar nicht Antworten, stellt jedoch in bekannten Situationen und Problem die richtigen Fragen. Überzeugend wirkt die Arbeit der Akteure zudem, weil sie nie im luftleeren Raum handelt, sondern ihr Tun eingebettet ist im Alltagsleben. Izumi wird Opfer der harten Bedingungen und ihrer hohen Ansprüche an die Arbeit und erfährt einen Zusammenbruch. Ihre Assistentin Martina Langmann entscheidet sich, die Verantwortung für das Ensemble zu übernehmen, soll das Stück jemals Premiere feiern. Bei den Kummerbuben kündigt der Bandleader seinen Austritt an und wird zwei Tage vor der Aufführung Vater, kann die letzten Korrekturen nicht mehr in seinen Auftritt einbauen.

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Die Kummerbuben suchen Musik für eine Bewegung

Höchster Einsatz gefordert

Es soll ein komplett neues Ballett mit neu komponierten Songs werden. Für dieses ambitionierte Vorhaben erhalten die Choreografinnen zum Proben nur sehr wenig Zeit von der Ballettleitung. Das bedeutet viel Arbeit neben dem sonst schon strengen Probenalltag, und sie sind damit auf den Goodwill der Tänzerinnen und Tänzer angewiesen. Gleichzeit proben anderswo in Bern die Kummerbuben in einem Keller in rauchiger Luft und diffusem Licht. Simon Jäggi, der Sänger und Texter, stimmt seine Stimme auf die Musiker ab. Mario Batkovic sucht den gewünschten Klang auf seinem Akkordeon, während Higi Bigler in seiner Rolle als «Hermes» zwischen den Gruppen mehr Aufmerksamkeit und Engagement von seinen Mitmusikern fordert.

Das Stück muss gelingen! Die beiden Tänzerinnen kämpfen nicht nur gegen die Zeit, sie müssen auch mit den Hierarchien im Ensemble umgehen. Der Seiltanz zwischen der Arbeit als gewöhnliches Mitglied der Crew und der immensen zusätzliche Arbeit für die Choreografie wird schwierig. Die Fallhöhe ist gross, ein Netz gibt es nicht. Nicht alle sind den Belastungen gewachsen. Auch im Probenraum der Kummerbuben prallen Leidenschaften, verschiedene Mentalitäten und unterschiedliche Ansichten über die Herangehensweise und auch die Karrierevorstellungen aufeinander. Die Belastung für das Erarbeiten der neuen Stücke für das Ballett wird in der Band zusehends zum Problem.

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Das Stück ist angekommen: Erlösung für Izumi und Martina!

Die beiden Filmemacher

Steve Walker, der Autor und Regisseur, wurde 1973 in Couvet geboren und ist in Gsteig bei Gstaad aufgewachsen. Er machte eine Fotografenausbildung, besuchte die Academy of Art San Francisco, wurde freischaffender Fotograf, besuchte die Zürcher Hochschule der Künste (Studienbereich Film), war Gründungsmitglied und Mitarbeiter des Filmkollektivs Voltafilm in Bern, erhielt ein Weiterbildungsstipendium der Filmförderung. Vor «Buebe gö z’Tanz» entstanden von ihm 2006 der Film «Aschenbrüder» und 2005 «Dobro Pivo», die beide ausgezeichnet wurden.

Markus Heiniger, der Autor und Kameramann, wurde 1977 in Langenthal geboren, studierte 1997 an der Universität Bern Rechtswissenschaften, Germanistik und Medienwissenschaften, ohne Abschluss, studierte in der Zürcher Hochschule der Künste (Bereich Film), ist Gründungsmitglied und Mitarbeiter des Filmkollektivs Voltafilm, war Intendant des Chrämerhuus‘ Langenthal, erhielt ein Weiterbildungsstipendium der Filmförderung. Neben «Buebe gö z’Tanz» schuf er den Auftragsfilm «Die Deza» und den Dokumentarfilm «Langenthal».