Sex

Gespräche über schwer zu Besprechendes: Zwei befreundete Schornsteinfeger, die in monogamen, heterosexuellen Ehen leben, geraten beide in Situationen, die ihre Ansichten über Sexualität und Geschlechterrollen infrage stellen. Der eine hat eine sexuelle Begegnung mit einem anderen Mann, ohne dies als Ausdruck von Homosexualität oder Untreue zu betrachten. Der andere wird von einem sinnlichen Traum mit David Bowie aus der Bahn geworfen. «Sex», der dritte Teil der Trilogie «Oslo Stories» von Dag Johan Haugerud, fasziniert durch eindrückliche und erhellende Gespräche über schwer zu Besprechendes. Ab 15. Mai im Kino
Sex

Jan Gunnar Røise und Thorbjorn Harr

 

Zwei Schornsteinfeger sind beste Freunde und gestandene Familienväter, leben in glücklichen Ehen und gehen vertrauensvoll und liebend mit ihren Kindern um. Sie kennen einander seit Jahren, können sich aufeinander verlassen und einander anvertrauen, was sie beschäftigt.

 

Der eine erzählt von einem merkwürdigen Traum, den er immer wieder hat: Darin trifft er David Bowie, der ihn auf eine Weise betrachtet, als würde er in ihm eine Frau sehen. Das wühlt den Schornsteinfeger in einer Weise auf, die er nicht erklären kann. So sehr beschäftigt ihn diese Begegnung, dass seine Stimme darunter leidet, denn er singt in einem christlichen Chor und trifft die Töne nicht mehr.

 

Sein Kollege erzählt ihm von einer handfesten Begegnung, die er bei der Arbeit hatte: Er war bei der Kontrolle eines Schornsteins in der Wohnung eines attraktiven schwulen Mannes, der ihn unverblümt zum Sex aufforderte. Er fühlte sich geschmeichelt, lehnte aber ab. Nachdem er aber das Haus verlassen hatte, kehrte er wieder zu ihm zurück und liess sich verführen. Eine Erfahrung, die er als interessant und angenehm empfand, als einmalige Erfahrung, doch nicht weiter von Bedeutung, bis er es seiner Frau erzählte. Für beide Männer gerät nach diesen Ereignissen das Leben, wie sie es bisher gekannt und gerne geführt haben, aus den Fugen. Angst, dass es nie wieder so wird, wie es war, wächst bei ihnen. In all ihren Gesprächen bewegen sie und ihre Partner sich in einer Intimität, die weit übersteigt, was im Alltag üblich ist.

 

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Jan Gunnar Røise mit Siri Forberg

 

Statement des Regisseurs

 

Mit «Sex  ̶  Oslo Stories» wollte ich einen unterhaltsamen, amüsanten, aber auch nachdenklichen Film über zwei Schornsteinfeger drehen, die sich mit unerwarteten Herausforderungen in Bezug auf Sex und Gender konfrontiert sehen. Der Film erforscht die Grenzen, die wir in unserem Leben in Bezug auf Sex und Gender festlegen, und ob sie weit genug gespannt sind, um alles zu erfassen, was wir sind und wozu wir möglicherweise in der Lage wären. Ich wollte zeigen, dass Sexualität und sexuelle Identität nicht immer miteinander verbunden sind. Im Film geht es auch darum, mehr Freiheit darin zu erlangen, wie wir uns körperlich und emotional ausdrücken, ohne die Menschen zu verletzen, die uns wichtig sind. Ich wollte auch zeigen, wie schnell sich Gefühle von Begeisterung, Ekstase und Freude in Scham verwandeln können, wenn man über Sex diskutiert. Es ist faszinierend, wie selbst in der modernen Gesellschaft Fragen nach Sex und Sexualität unverändert viel Angst und moralisches Gewicht nach sich ziehen.

 

Ich habe beschlossen, zwei offenkundig heterosexuelle Männer zu zeigen, die eine starke, vertrauensvolle Freundschaft verbindet, die es ihnen ermöglicht, über intime Erfahrungen zu sprechen und dabei auf gegenseitige Unterstützung bauen zu können. Männerfreundschaften dieser Art kommen vielleicht nicht so häufig vor, wie man es sich wünschen würde, aber sie sind durchaus möglich.

 

Ich bin der Meinung, dass Filme nicht nur den aktuellen Stand der Dinge widerspiegeln sollten, sondern auch, wie die Dinge sein könnten. Sie sollten dem Publikum eine faszinierende Idee vermitteln, eine neue Denkweise, die zu weiteren Gedanken und Gesprächen führen kann, lange nachdem der Film zu Ende ist. Darin sehe ich das wahre Potenzial des Kinos.

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Birgitte Larsen mit Thorbjørn Harr und Sohn

 

Interview mit Dag Johan Haugerud

 

Im Film «Sex» treffen wir auf zwei Männer, die über ihre Sexualität nachdenken. Können Sie näher darauf eingehen, was Sie damit untersuchen wollten?
Ich finde es wichtig, einen konkreten Beitrag zur Debatte über die Geschlechtsidentität zu leisten. Was genau ist Geschlechtsidentität? Wie fühlt es sich an, ein Geschlecht zu haben, und was unterscheidet die jeweiligen Erfahrungen, ein Mann, eine Frau oder nicht-binär zu sein? Setzen wir unserem eigenen Leben und dem Leben anderer nicht ständig Grenzen? Dies sind Fragen, auf welche die Männer durch Gespräche miteinander Antworten zu finden versuchen. Ich glaube, dass eine der Hauptaufgaben des Films darin besteht, Diskussionen anzustossen, an denen sich die Zuschauer von sich aus vielleicht nicht beteiligen würden. Dieser Film ist ein Versuch, das Leben für jene grösser erscheinen zu lassen, die sich den Film ansehen.

 

Wollten Sie in diesem Film etwas über sexuelle Orientierung sagen?
Es lohnt sich, davon auszugehen, dass die sexuellen Erfahrungen der Menschen vielfältiger sind, als man zunächst denken könnte, und auch vielfältiger als das, was die Kategorien, mit denen sie sich identifizieren, zulassen. Sexualität ist vielgestaltiger als das, was üblicherweise dargestellt wird. Es zeigt auch, dass es einen Unterschied zwischen sexueller Praxis und Identität gibt. Das ist keine neue Idee, aber ich finde es immer noch interessant, die Auswirkungen davon genauer ins Auge zu fassen.

 

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Thorbjørn Harr mit Birgitte Larsen

 

Die Hauptfiguren in «Sex» arbeiten als Schornsteinfeger. Warum haben Sie ihnen diesen Beruf gegeben?
Wenn ich ein Drehbuch schreibe, macht es mir immer Spass, verschiedenen Berufsfeldern nachzugehen. Ich fand Schornsteinfeger interessant, weil ich nur wenig über diesen Beruf weiss und er von einer regelrecht mythischen Aura umgeben ist. Viele Menschen haben eine positive Meinung von ihnen, und man sagt ihnen einen starken Gemeinschaftssinn nach. Es gibt nur wenige Frauen in diesem Beruf, aber es werden immer mehr. Man könnte also sagen, dass es sich um eine traditionell von Männern dominierte Branche handelt und daher ein guter Ausgangspunkt für Gespräche über männliche Geschlechterrollen ist.

 

Fragen nach dem Wie

 

Beim zufälligen Blättern in einer Anthologie «Französische Gedichte» mit Werken von Apollinaire, Aragon, Artaud, Baudelaire, Claudel, Eluard, Mallarmé, Michaux, Rimbaud, Valéry, Verlaine und anderen ist mir einmal mehr bewusst geworden, dass wir beim Betrachten von Kunst den Blick vor allem auf das Was, nur beiläufig auf das Wie richten. Die Trilogie «Oslo Stories» motiviert, uns vielleicht intensiver auf das Wie eines Werkes, die Feinheiten seiner Form, zu schauen, um im Wie vertieft den wirklichen Sinn zu erahnen.

 

 

Regie: Dag Johan Haugerud, Produktion: 2024, Länge: 118 min, Verleih: Xenix