A Tale of Three Sisters

Drei Schwestern im fernen Anatolien : Mit poetischen Bildern erzählt der Regisseur Emin Alper im Film «A Tale of Three Sisters» die Geschichte von drei Frauen und beschreibt gleichzeitig die Befindlichkeit der Menschen seiner Heimat.
A Tale of Three Sisters

 

Reyhan, Havva, Nurhan (v. l.)

«A Tale of Three Sisters» erzählt in Form eines Märchens die Geschichte dreier Schwestern aus einem armen Dorf in Zentralanatolien. Wohlhabende Familien adoptierten in der Vergangenheit ohne Bezahlung die Mädchen, die sich als sogenannte «Besleme» um Haushalt und Kinder kümmern. Doch verschiedene Umstände zwingen alle drei ins Haus des Vaters Şevket zurück. Reyhan ist nach einem Verhältnis schwanger und wird bei ihrer Rückkehr hastig mit Veysel, dem allseits verachteten Schäfer des Dorfes, verheiratet. Bald kehrt auch die Jüngste, Havva, heim, nachdem eine Krankheit den Sohn ihrer Adoptivfamilie dahingerafft hat. Nur wenige Tage später taucht der Arzt Necati mit Nurhan auf. Er bringt die dickköpfige Adoptivtochter, die seinen Sprössling geschlagen haben soll, zurück.

So sehr sich die Schwestern über die Wiedervereinigung freuen, sehnen sie sich doch nach dem komfortableren Leben in der Stadt und werden, trotz Zuneigung füreinander, ob des frei gewordenen Platzes im Haus des Arztes zu Rivalinnen, die sich Gefechte mit scharfer Zunge liefern. Der Vater setzt alles daran, Necati zu überzeugen, die tüchtige Havva als Ersatz für Nurhan mitzunehmen. Gemeinsam mit dem Bürgermeister verbringen die Männer einen Raki-Abend am Lagerfeuer, als der Hirt die Runde stört. Auch er verspricht sich mithilfe des Arztes eine Anstellung in der Stadt, stolpert aber bald gedemütigt nach Hause. Dort trifft er auf eine wütende Reyhan und das Baby, und eine Tragödie nimmt ihren Lauf. Der um sich greifenden Hoffnungslosigkeit scheint sich einzig die Närrin Hatice zu entziehen, erstaunt ob der Vorgänge in ihrem Dorf und fröhlich Purzelbäume schlagend.

«A Tale of Three Sisters» erinnert an Anton Tschechows «Die drei Schwestern», wobei für Alpers Figuren weit mehr auf dem Spiel steht als bei jenen des Russen. Dem 45-jährigen, gebildeten, doch cineastisch autodidaktischen Emin Alper ist mit diesem Film der perfekte Balanceakt zwischen dramatischem und philosophischem Kino gelungen.

threesisters 04 

Die traditionelle Begrüssung

Emin Alper über die «Besleme»-Tradition in der Türkei

Kinder in fremden Familien, die besser für sie sorgen können, zu platzieren, war einst ein weitverbreiteter Brauch in Anatolien, wurde aber nach und nach aufgegeben. Eine Konstellation dieser Art bietet interessante Möglichkeiten, menschliche Eigenschaften und soziales Verhalten zu untersuchen, allem voran Klassenunterschiede. Die gesellschaftliche Stellung einer klassischen Besleme deckt sich weder mit der eines europäischen Au-pair-Mädchens, noch ist sie mit einer Adoption im strengen Sinne vergleichbar (und auch nicht mit jener unseren Verdingkindern, HS). Sie ist etwas dazwischen. Im Gegensatz zu einer Hausangestellten wird eine Besleme als Familienmitglied betrachtet und spricht ihre Arbeitgeber mit Mutter und Vater an. Ihre Aufgaben sind die einer Hausangestellten, dazu kommt die Betreuung der Kinder. Obwohl ihre Stellung höher ist als die einer Hausangestellten, birgt gerade dies Potenzial für schwierige, verwirrende, konfliktreiche und schmerzhafte Verwicklungen. Die Psyche einer Besleme schien mir immer schon interessant, weil sie einen starken Konflikt in sich trägt und in dieser Ambivalenz lebt. Die meisten Hausmädchen fühlen sich in ihrer neuen städtischen Umgebung als Aussenseiterinnen und kommen dort nie ganz an. Trotzdem wollen sie nicht mehr in ihre alte Armut zurück, sind also wie Gefangene im Fegefeuer.

threesisters 05

Ob Havva ein Neuanfang gelingen wird?

Der Regisseur über Emotionen und Konflikte

Es war faszinierend, den ständig wechselnden Launen und Emotionen meiner Charaktere zu folgen, die unter permanentem Druck stehen zwischen ihrer natürlichen gesellschaftlichen Umgebung und ihren eigenen Wünschen und Sehnsüchten. Die emotionale Ambivalenz, die aus der widersprüchlichen sozialen Stellung der Mädchen hervorgeht, durchdringt die ganze Geschichte und alle Figuren. Die Stimmung der Schwestern wechselt schnell von Liebe, Zuneigung und Solidarität zu einem Gefühl intensiver Konkurrenz und Eifersucht. Der Wettbewerb, der aus ihrem Wunsch nach einem besseren Leben resultiert, geht Hand in Hand mit dem Gefühl gegenseitiger Zuneigung und Liebe und vermag diese nie gänzlich zu überschatten. Launenhaftigkeit und gemischte Gefühle kann man nicht nur im Verhalten der Schwestern, sondern bei fast allen Figuren beobachten. Niemand ist nur gut oder nur schlecht. Die Charaktere leben unter harten Bedingungen, was sie manchmal zu rohen Reaktionen treibt, aber sie sind alle verletzlich und haben ein mitfühlendes Herz. Ihr Leben verläuft unglücklich, sie stecken in ungünstigen Umständen fest, gleichzeitig sind sie nicht willenlos dem Schicksal ausgeliefert. Ihr Leben erhält auch dadurch eine Tragik, dass sie eigene Mängel und Schwächen haben und mitverantwortlich sind für ihren Misserfolg und ihr Leiden.

threesisters 02 

Töchter und Söhne des Patriarchats

Fremde Menschen und Welten näher gebracht

Gerade heute in unserer globalisierten Welt scheint es mir wichtig, das Andere und das Fremde kennen und wenigstens ansatzweise verstehen zu lernen. «A Tale of Three Sisters» lädt zu einer solchen Annäherung ein. Da der Filmemacher «nicht viel davon hält, sein Publikum an der Hand zu nehmen», lässt er uns als Zaungäste beiwohnen, wenn die Männer miteinander streiten und handgreiflich werden und die Frauen rivalisierend sich entfernen und einander wieder annähern. Die Gespräche funktionieren wie eine polyphone Partitur mit einem starken, dominanten Grundton und zärtlichen, aber auch traurigen Ober- und Untertönen. Die Bilder zeigen eine Innen- und eine Aussenwelt der ländlichen Gesellschaft in Zentralanatolien.

Dass hier das Patriarchat in feinen Abstufungen und davon abgeleitete Rituale und Verhaltensweisen herrschen, ist offensichtlich, wenn die Bilder dies auch meist mit warmen braunen oder dunklen blauen Farben illustrieren und damit an das Chiaroscuro der holländischen Maler erinnern. Da der Film im Frühling beginnt und im Winter endet, bindet sich die Geschichte in den grossen Jahresablauf ein.

Emin Alper schrieb zu «A Tale of Three Sisters» – einem Film, der bei jedem neuen Betrachten mehr und mehr seines Reichtums offenbart: «Die aktuelle politische Agenda ändert sich inzwischen so schnell, dass ich mich davon nicht einschränken lassen wollte. Kein Künstler sollte das tun. Ich selber suche immer, etwas Universelles zu schaffen. Ich interessierte mich fürs Menschsein an sich.»


Regie: Emin Alper, Produktion: 2019, Länge: 108 min, Verleih: trigon-film