Albert Nobbs

Sind wir nicht alle verkleidet? Einer Frau ohne Ehemann, Familie und Arbeit drohte im Irland des 19. Jahrhunderts ein Leben in Armut und Einsamkeit.

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Albert Nobbs (Titelbild), ein schüchterner Butler, verbirgt seit Jahren ein Geheimnis: Er ist eine Frau. Diese entschloss sich schon in jungen Jahren, Männerkleider zu tragen und sich wie ein Mann zu verhalten, um dem Schicksal des sozialen Abstiegs und dem Alleinsein zu entgehen.

Der Kolumbianer Rodrigo García, Sohn des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, führte Regie in diesem einfühlsamen, persönlichen und beeindruckenden Spielfilm, für den Glenn Close, die Hauptdarstellerin, nach einer Kurzgeschichte des Iren George Moore das Drehbuch verfasst hat.

Trailer

Als Mann verkleidet, ihre Identität als Frau suchend

Albert Nobbs und Glenn Close: Das sind zwei Namen einer besonderen Beziehung. Im Jahre 1982 hat Close die Rolle des Albert am New Yorker Off-Broadway gespielt. Und seit jener Zeit lässt sie die Figur nicht mehr los: «Ich finde, Albert ist ein wahrlich guter Charakter. Es gibt etwas tief Berührendes in Alberts Leben.» Ihr Terminplan war damals übervoll, doch sie dachte immer daran, dass diese Geschichte einen wunderbaren Film geben würde, weshalb sie sich unabhängig von einem Auftrag an das Schreiben eines Drehbuches machte.

Ihre Beziehung zu Albert, dieser Frau, die nur überlebte, weil sie sich als Mann verkleidete, wurde immer intensiver. «Albert wollte überleben, verlor dabei aber ihre Identität, wusste schliesslich nicht einmal mehr ihren eigenen Namen», meint die Schauspielerin und fährt fort, «sie wurde als uneheliches Kind von einer Frau aufgezogen, die bezahlt wurde, dass sie deren wahre Identität verschweige.»

Als Albert den Job als Butler annahm, löste sich ihre Identität auf und verschwand in jener des Hotelangestellten. Sie, die sowieso nie genau wusste, wer sie überhaupt war, als sie mit Vierzehn in die Erscheinung eines Kellners schlüpfte, war nach dreissig Jahren als Frau unsichtbar, sichtbar nur mehr als tadelloser Butler.

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Sie in der Rolle des Butlers

«Die Kraft dieser Geschichte ist wie ein simples Glas Wasser», meint Close, «wenn Licht das Wasser im Glas reflektiert, entsteht etwas extrem Komplexes.» Die Story ist einfach, doch sie berührt eine Vielzahl von menschlichen Schicksalszügen, die jedermanns Leben und die eigenen Probleme widerspiegeln, und sie gibt den Menschen etwas Besonderes mit auf den Weg. «Ich glaube an die universelle Anziehungskraft dieser Geschichte», so die tiefe Überzeugung der grossen Schauspielerin.

Die Rolle ihres Lebens

«Diesen Charakter muss ich vor meinem Tod auf der grossen Leinwand spielen», meinte Glenn Close zur Produzentin, sah ihr tief in die Augen und sagte, dass sie damit hier und jetzt beginnen sollten – und übernahm auch gleich die Rolle der Produzentin des Films und begab sich auf die Suche nach den Drehorten.

Im Theater bedeutet Verkleiden, eine fremde Identität annehmen, die man spätestens am Schluss der Aufführung wieder ablegt. Albert aber ist noch lange nicht so weit, ihre falsche Identität abzulegen und ihre wahre zu leben. «Albert Nobbs» ist ein Kostümfilm und er zeigt eine Frau in den Kleidern eines Mannes. Im Verlauf des Filmerlebnisses, so meine ich, stellt sich auch beim Publikum die Frage: Sind nicht auch wir oft verkleidet und spielen fremde Rollen?

Ausbruchsversuche

Nach jahrzehntelangem Leben in einer Identität fällt es Albert, fällt es keinem Menschen, leicht, diese zu wechseln. Erst spät im Film wagt sie zwei Versuche: Einmal mit der jungen Hotelmagd Helen und mit dem Gelegenheitsarbeiter Hubert. Die Thematik des Films scheint mir zeitgemäss, obwohl er im 19. Jahrhundert spielt. Es geht um die Suche nach dem authentischen Leben: der Identität einer Person, die sich selbst ausgelöscht und in einem andern versteckt hat. Der Film spricht das Thema der Entfremdung an, die in der Kapitalismuskritik der letzten Jahrzehnte häufig, heute in der Zeit der Angepasstheit kaum mehr diskutiert wird – deshalb aber nicht weniger relevant sein dürfte.

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Albert mit Helen und mit Hubert

«Eine der zentralen Themen sind die Träume der Menschen und was sie für sich selber wollen», meint der Regisseur, «Albert wie alle anderen Figuren im Drehbuch wollen mehr, sie wollen ihr eigenes Ich zeigen. Viele der Figuren haben kaum Luft über ihren Köpfen, tragen Masken und falsche Identitäten.» In diesem Punkt scheint mir das Stück modern. Sein wirkliches Leben im Geheimen zu führen und anderen gefallen zu müssen, um überleben zu können, ist ein modernes und ein zeitloses Schicksal.

www.pathefilms.ch