Amateur Teens

Lieben lernen im Zeitalter der Social Media: Ein modernes Drama über eine Gruppe Schülerinnen und Schüler, deren Alltag geprägt ist von der Macht der Social Media und der stetigen Sexualisierung durch das Internet: «Amateur Teens» des Schweizer Filmemachers Niklaus Hilber.
Amateur Teens

Sehnsucht wie einst und jetzt

Eine Gruppe Teenager, ganz normale Jugendliche mit ganz normalen Sehnsüchten nach Liebe und Akzeptanz, verirren sich im Dschungel der Social-Media-Angebote und deren scheinbar unendlichen Freiheiten. Der Druck, immer noch «cooler» und «sexier» zu sein, zwingt sie, ihre wahren Gefühle zu verleugnen. «Jeder sieht, wie du scheinst. Keiner fühlt, wer du bist», heisst es auf dem Filmplakat. Das trifft den Kern des Dramas, das einen unaufhaltsamen Lauf nimmt, bei dem zwischen Täter und Opfer, Schuld und Unschuld kaum mehr zu unterscheiden ist.

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Gruppenlust und Gruppenfrust

Ein Drama in fünf Akten

Der dokumentarische Spielfilm «Amateur Teens» folgt dem klassischen Fünf-Akte-Schema. Die versachlichende Distanz dieser Struktur, welche durch die abrupten Schlüsse der kurzen Sequenzen noch verstärkt wird, erhält eine Ergänzung durch die intime Nähe der Bilder und die schonungslose Präsenz bei den Gesprächen, die unter die Haut gehen.
I
Der Film beschreibt in fragmentarischer Erzählweise den Alltag von zehn 14-jährigen Jungen und Mädchen einer Zürcher Sekundarschule. Selim, ein türkischstämmiger Secondo, ist in Sabrina verliebt. Er weiss aber nicht so recht, wie er sich ihr annähern soll, weil er noch nie mit einem Mädchen geschlafen hat. Seine Freunde Adi und Jan drängen ihn, es endlich einmal zu tun, damit er seinen Jungfrau-Status loswird. Selim möchte es eigentlich langsam angehen, aber in Wahrheit leidet er unter dem Gruppendruck.
II
Sabrina fühlt sich von Selim angezogen, fürchtet aber uncool zu sein, wenn sie sich mit einem gleichaltrigen Jungen einlässt. Ihre beste Freundin Milena hält nichts von den Bubis an der Schule. Sie findet es spannender, auf Dating-Sites bei erfahreneren Typen Aufmerksamkeit zu erregen und brüstet sich mit ihrem 23-jährigen Chat-Partner, dem sie ihr wahres Alter verschweigt.
III
Lara ist neu an der Schule und bemüht sich um Anschluss, doch die Girls finden ihren Style bieder und cyber-mobben sie. Lara entdeckt, dass Jan in ihrer Siedlung wohnt und erweckt seine Neugier, indem sie ihn zu einer Mutprobe herausfordert. Jan ist zwar fasziniert von Lara, bleibt aber aufgrund ihres schlechten Images zögerlich.
IV
Adi, der sich vor seinen Freunden als erfahrener Macker aufspielt, würde gerne mit Milena schlafen, doch seine Anmache scheitert kläglich. Inspiriert von den Clips auf youporn.com, beschliesst er mit Jan, sich in einem Sex-Club abzureagieren. Selim will nicht mitkommen, denn er hat ein Date mit Sabrina und plant, sie zu verführen.
V
Sowohl Selim wie auch Adi und Jan scheitern in ihren Vorhaben. Frustriert treffen sie sich bei Adi, um Champions-League zu schauen. Jan lädt Lara ein, mitzukommen, für die Aussenseiterin eine willkommene Gelegenheit, endlich Anschluss zu finden. Doch in der anschliessenden Party mündet die euphorische Stimmung in eine fatale Eskalation.

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Auch Jungens können trauern.

Aus einem Interview mit dem Regisseur Niklaus Hilber


Was hat dich zu diesem Film inspiriert?
Mir ist aufgefallen, dass sich in den letzten Jahren solche Fälle wie sie im Film beschrieben werden, häuften – und ich fing an, diese im Detail zu studieren. Ich konnte erkennen, dass die Gefühle und Bedürfnisse der heutigen Teenager auch nicht anders sind als in unserer Generation. Der Unterschied ist jedoch, dass durch den Einfluss der stetigen Sexualisierung des Internets ein Klima entsteht, in dem es zu einer Wahrnehmungsverzerrung zwischen Liebe und Sex kommen kann. Auf der einen Seite stehen da diese Gefühle und auf der anderen Seite die fast grotesken Bilder aus den Hardcorepornos. Das ist schwer zusammenzubringen. Ich fand es beunruhigend und faszinierend zugleich, wie oftmals harmlose, fast schon alltägliche Vorgänge, z. B. Hänseleien auf dem Schulhausplatz, sich über Facebook & Co schnell zu einem gefährlichen Cocktail zusammenbrauen. Oftmals sind sich die Jugendlichen ja gar nicht bewusst, was sie mit ihren achtlos geposteten Messages bewirken.

Wie haben du und dein Co-Autor Patrick Tönz für das Drehbuch recherchiert?
Nachdem wir uns mit klassischen Recherchearbeiten ins Thema vertieft hatten, nahmen wir Kontakt mit einem Lehrer einer Zürcher Sekundarklasse auf. Gemeinsam mit ihm haben wir dann über Monate hinweg diese Themen in der Sozialkunde mit den Schülern erarbeitet und darüber diskutiert, wie sie damit im Alltag umgehen. In diesem Zusammenhang haben viele von ihnen über eigene Erfahrungen berichtet, die konkret in das Drehbuch mit eingeflossen sind. Mit unseren geschriebenen Szenen sind wir dann wieder zu den Schülern zurückgegangen und haben sie ihnen zur Diskussion vorgelegt. Das war sehr wichtig für uns, um ein Gespür zu erlangen, wie die heutigen Jugendlichen fühlen, denken und sprechen.

Wie war die Arbeit mit den jugendlichen Laiendarstellern?
Im Wissen, dass Teenager von ihrem Alter her gar keine grosse schauspielerische Erfahrung haben können, war die Herausforderung riesengross. Das Casting stand dementsprechend im Mittelpunkt. Über neun Monate haben wir Hunderte von Teenagern gecastet. Vier Leute waren tagtäglich am Suchen, wobei erschwerend dazu kam, dass uns aus Gründen der Dialektkontinuität nur der Raum Zürich zur Verfügung stand. Nachdem wir schliesslich unseren Cast zusammenhatten, führten wir intensive Workshops durch, um die Jugendlichen auf ihre Rollen vorzubereiten. Es war faszinierend zu sehen, welche Entwicklungen sie in so kurzer Zeit durchmachten.

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Leben über dem Abgrund

Lieben lernen: einst und heute – und mehr

Wir alle haben unsere Vorstellungen und Vermutungen, wir kennen Literatur und Theorien über die Jugend im Einfluss der Social Media. Erleben und verstehen können wir diese Situation durch die Bilder und Szenen, die der Film uns mit hoher Professionalität und Empathie anbietet. Das ist Aufklärung! Geleistet vom Team des Freiburger Filmemachers Niklaus Hilber – Kamera Tobias Dengler, Schnitt Benjamin Fueter und Sound Design Ramón Orza –, vor allem aber von den Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich voll eingebracht haben, alle mit Filmerfahrung und alle mit dem Ziel, einmal professionell beim Film einzusteigen.

Exemplarisch an dieser pädagogischen Thematik aufgezeigt, sehe ich im Film eine soziologische, die alle Generationen betrifft. Heute werden im gesellschaftlichen Leben Türen aufgestossen, die einst verschlossen waren, werden Grenzen geschleift, die einst trennten. «Amateur Teens» zeigt, wie die Sexualität bei den Jugendlichen immer früher zum zentralen und komplexen Thema wird, aber auch, was sich allgemein in der zwischenmenschlichen Kommunikation der ganzen Gesellschaft fundamental verändert hat. Es ist der Paradigmenwechsel vom Privaten und Intimen zum Öffentlichen und Gesellschaftlichen – und dahinter die grosse, Angst einflössende Freiheit, welche die Menschen fordern, ja überfordern kann.

Regie: Niklaus Hilber, Produktion: 2015, Länge: 92min, Verleih: LookNow