Aurore
Aurore, authentisch verkörpert von Agnès Jaoui
Ohne Mann, ohne Arbeit, aber mit menopausalen Hitzewallungen: das ist Aurore. In einer von Jugend- und Re-Produktivitätswahn geprägten Gesellschaft fühlt sie sich auf dem Abstellgleis. Doch sie verliert den Humor nicht, sondern erlangt ihre Unternehmungslust zurück und schenkt ihr Herz erneut ihrer Jugendliebe Totoche. Eine spezielle Frau: faszinierend verkörpert von Agnès Jaoui (*1964).
Blandine Lenoir (1973) erzählt in ihrem zweiten Langspielfilm «Aurore» die Geschichte dieser geschiedenen, alleinstehenden Fünfzigerin, die ihre Stelle verliert, auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert wird, sich mit dem Auszug ihrer erwachsenen Töchter konfrontiert sieht und obendrein erfährt, dass sie demnächst Grossmutter wird. Eine Phase des Umbruchs zwingt die Protagonistin zu Veränderungen ihres bislang ruhigen Lebens.
Aurore (r) mit ihrer Freundin Mano
Eine Frau mit Hintergrund
Ohne in die Falle eines Aufklärungsfilms zu tappen, gelingt Blandine Lenoir eine aussergewöhnliche Komödie mit vielen witzigen Einfällen zu einem Thema, das im Allgemeinen von Frauen nicht problemlos akzeptiert und von den Männern kaum zur Kenntnis genommen wird. Diesen gewährt die Gesellschaft in ihrem Alterungsprozess Verständnis, Frauen um die Fünfzig werden oft zu Aussenseiterinnen, die kaum mehr wahrgenommen werden. Solches erlebt Aurore, während ihre Hormone verrückt spielen.
Im Kino findet das Thema kaum statt. Dass es und wie es in «Aurore» dargestellt wird, ist bemerkenswert. Es manifestiert sich in Aurores Falten und Kurven, ihren Schüben von Hitzewallungen und emotionalen Turbulenzen. Hinzu kommen zwei Töchter, die selbstständig sind, ihre Mutter verlassen, gelegentlich zurückfinden, jede auf ihre Art: Lucie mit ihrem ersten Liebeskummer, Marina mit ihrer Schwangerschaft. Nicht unberührt lassen Aurore ihr erster Liebhaber, der unverhofft wieder in ihre Leben tritt, sowie ein anderer Mann, der sie gern hätte.
Unaufdringlich, doch überall spürbar ist Lenoirs wohlwollender, ja liebender Blick auf Aurore und die anderen Frauen, am schönsten verkörpert von ihrer lebenslustigen Freundin Mano. Selten gibt es im Kino so viel unterhaltend gezeigte Lebensweisheit, so viel zwischenmenschliches Verstehen mit originellen feministischen und gleichzeitigen märchenhaften Einfällen wie in «Aurore».
Tochter Lucie, Aurore, Freundin Mano, Tochter Marina (v. l.)
Aus einem Interview mit der Regisseurin
Erzählen Sie uns die Entstehung des Filmes.
Das Thema des Filmes ist, wie so, oft aus einer persönlichen Erfahrung entstanden. Ich erreichte meine Vierziger mit Beklemmung und ohne zu verstehen, weshalb ich eine solche Angst hatte, alt zu werden, während dies meine Freunde nicht zu beunruhigen schien. Schnell wurde mir klar, dass fünfzigjährige Frauen im Kino kaum repräsentiert sind. Weshalb soll man da Lust haben ein Alter zu erreichen, für das es keine Bühne gibt? Viele meiner Freundinnen gerieten in eine emotionale Einsamkeit, tolle, schöne, kluge Frauen, deren ehemalige Partner ein neues Leben begannen. Ich wollte diese Frauen in den Mittelpunkt rücken und ihnen, und damit auch mir, Lust aufs Altern vermitteln. Aurore ist für mich auch ein Mittel, meine eigenen Ängste zu meistern.
Gleich zu Beginn des Films thematisieren Sie die Wechseljahre in einem Gespräch zwischen Aurore und Lucie.
Ich mag es, Tabus direkt anzusprechen, und der Austausch zwischen den Generationen ist mir sehr wichtig. Es ist wesentlich, sich daran zu erinnern, wie unsere Mütter und Grossmütter aufgewachsen sind. Vieles hat sich geändert, die Frauen wählen, arbeiten, verwenden Verhütungsmittel, gleichzeitig gibt es aber weiterhin Ungerechtigkeiten, die andauern oder sich sogar akzentuieren.
Anfänglich interessiert sie sich kaum für die Schwangerschaft ihrer Tochter, erst als sie in der Geburtsklinik ihre Jugendliebe Totoche wieder trifft.
Sie verliebt sich wieder in ihn und ist plötzlich wieder fünfzehn Jahre alt. Ich finde es sehr aufregend sich vorzustellen, dass Liebe über Jahrzehnte weiter intakt bleibt, auch wenn beide in der Zwischenzeit eine ganz andere, eigene Geschichte erlebt haben. Aurore durchlebt eine Phase der Auflösung und des Aufbaus. Sie liebt ohne zu wissen, ob ihre Liebe erwidert wird.
Das ist wie eine zweite Emanzipation.
Genau. Ich bin überzeugt, dass sich die Rollen im Leben immer wieder verändern, vor allem zwischen Müttern und Töchtern, die sich zuerst einmal ablösen, um sich dann später wieder zu finden. Genau das passiert zwischen Aurore und ihren Töchtern, die sich in neuen Rollen wiederfinden.
Auch im Beruf läuft es für Aurore unbefriedigend: Ihr neuer Chef will sie gegen ihren Willen umbenennen.
Jemanden seiner Identität berauben, scheint mir das Schlimmste, was man jemandem antun kann. Für jemanden, der nur ein bisschen Würde hat, ist das unerträglich. Persönliches Leid am Arbeitsplatz ist eine schreckliche Realität. Aber Aurore ist eine Kämpferin, nie das Opfer.
Zudem muss sie sich mit der Angestellten des Arbeitsamtes herumschlagen, die ihre Sätze nie beendet.
Je mehr ich mich mit ernsthaften Dingen beschäftige, desto mehr möchte ich diese humorvoll darstellen. Ich versuche jeweils, der Realität etwas zu entrücken. Ich habe mir diese Person ausgedacht, deren Sätze systematisch unvollendet bleiben, um die Ineffizienz des Systems darzustellen.
Hatten Sie von Beginn an die Absicht, Agnès Jaoui für die Rolle der Aurore einzusetzen?
Einerseits wollte ich eine bekannte Schauspielerin einsetzen, dazu sollte sie ihr Alter schätzen und ihre Trümpfe ausspielen können. Trotz reiferem Alter, ist Agnès extrem feminin und verführerisch. Es war mir wichtig, dass meine Heldin nicht wie eine Berufs-Jugendliche aussieht.
Wie hat sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Wir haben viel an ihrer Erscheinung in den Kostümen gearbeitet. Agnès ist nicht so gekleidet, wie in ihrem richtigen Leben. Ich wollte mit eng anliegenden Kleidern ihren Körper etwas mehr in Szene setzen. Frauen mit Rundungen, Hüften, Po, Busen sieht man im heutigen Kino kaum. Sie, die im Privaten gerne weitgeschnittene Kleider trägt, hat sofort verstanden, was ich zeigen wollte.
Im Film spürt man eine grosse Solidarität zwischen den Frauen
Ich glaube sehr an die weibliche Solidarität. Eine Solidarität, die mich täglich und durch alle Altersstufen hindurch begleitet. Da war es natürlich essenziell, dass dies auch im Film zur Geltung kommt.
Regie: Blandine Lenoir, Produktion: 2017, Länge: 90 min, Verleih. LookNow