Black Box Diaries

Die Blackbox der sexuellen Gewalt geöffnet: Die japanische Journalistin und Filmemacherin Shiori Ito dokumentiert im Film «Black Box Diaries» die Aufklärung ihres erlebten sexuellen Übergriffs und ihren Kampf, den Täter vor Gericht zu bringen. Ihre Suche nach Gerechtigkeit wurde zu einem Vorzeigefall der japanischen #MeToo-Bewegung und ermutigt weltweit zu einem ähnlichen Kampf. Ab 31. Oktober im Kino
Black Box Diaries

Shiori Ito

 

Von Frankreich über die USA nach Japan

 

Am 17. September 2024 erschütterte ein Prozess ganz Frankreich: Eine 72-jährige Französin wurde mutmasslich hundertfach vom Ehemann und Dutzenden fremder Männer vergewaltigt, jetzt hat er vor Gericht seine Taten zugegeben. Und nochmals aus Frankreich kommt die Meldung, dass Gérard Depardieu nach diversen Schandtaten jetzt seinen Ruf wohl definitiv ruiniert hat. Ein Beleg dafür, dass der Film «Black Box Diaries» der Japanerin Shiori Ito ein weiteres Beispiel ist in der langen Reihe der Ereignisse, die die #MeToo-Bewegung öffentlich macht. Dies seit dem 10. Oktober 2017, als der Weinstein-Skandal, in den sozialen Medien der USA beginnend, anschliessend weltweit diskutiert wird.

 

Der spannend und informativ realisierte Dokumentarfilm «Black Box Diaries» zeigt, was die Grausamkeit der erlittenen sexuellen Gewalt für Frauen bedeutet, welche Schwierigkeiten das Aufdecken solcher Taten erschweren, wie eine mutige und starke Frau dies geleistet hat – und damit vielen Menschen Mut machen dürfte.

 

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Shiori mit Anwältin

 

Biografie von Shiori Ito

 

Shiori Ito, geboren 1989, ist eine japanische Journalistin, Autorin und Regisseurin, Mitbegründerin von Hanashi Films, die von Tokyo und London aus mit NHK, BBC und Al Jazeera zusammenarbeitet. 2017 schrieb sie das Buch «Black Box», das auf ihrer eigenen Vergewaltigungserfahrung basiert, und im folgenden Jahr «Japan’s Secret Shame». Damit deckte sie den Sexismus in Japans Gesellschaft auf. 2018 wurde sie mit dem «Free Press Association of Japan Award for Best Journalism» ausgezeichnet, 2020 hat sie «Time Magazine» als eine der 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgeführt. «Black Box Diaries» ist ihr erster Dokumentarfilm.

 

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Beim Recherchieren

 

Fünf Jahre Kampf

 

Als die aufstrebende Journalistin Shiori ihre Vergewaltigung durch einen hochrangigen Journalisten und engen Vertrauten des Ministerpräsidenten Shinzo Abe öffentlich macht, ist sie überzeugt, dass dies der einzige Weg ist, an Japans antiquiertem Sexualstrafrecht zu rütteln und eine Veränderung zu bewirken. Mit ihrer Pressekonferenz bricht sie ein Tabu, denn in Japan gilt es als beschämend, über solche Vorfälle zu sprechen. Wenige Tage später findet sie sich im Zentrum der japanischen Politik: Die Rechte sieht in ihr eine Bedrohung für die Abe-Regierung, die Linke feiert sie als Heldin. In der Öffentlichkeit wird sie als Nutte beschimpft, erhält Hassmails und Todesdrohungen. Ihre Strafklage schmetterte die Staatsanwaltschaft wegen mangelnder Beweise ab, und der Angeklagte wütet gegen sie. Entschlossen, anderen Opfern ein Beispiel zu sein, treibt sie ihren Fall voran und reicht ihren Fall als Zivilklage ein.

 

Der Dokumentarfilm «Black Box Diaries», von Shiori Ito selbst mit persönlichem Material realisiert, gewährt uns über persönliche Videotagebucheinträge, Archivmaterial, geheime Ermittlungsvideos, Tonaufnahmen und Interviews mit Expert:innen einen einmaligen Einblick in die Aufarbeitung des Falls, roh und ungeschönt. Shiori Itos Kampf, den sie von ihrem 27. bis 33. Lebensjahr mit der Kamera begleitete, beinhaltet die öffentliche Benennung ihres Angreifers, Reaktionen von Polizei und Zeugen, das Verfassen des gleichnamigen Buches, die Zusammenarbeit mit ihrem Anwaltsteam, um Noriyuki Yamaguchi vor Gericht zu bringen, und den Gerichtsprozess. Es sind zum Teil erschütternde Aufnahmen, die eindrücklich vermitteln, wie tiefgreifend das Zusammenspiel von Politik, Medien und Technologie das Leben einzelner Menschen beeinflusst, welchen Tribut dieses fordert und weshalb so viele Opfer lieber schweigen. Die Dokumentation macht deutlich: Als Opfer und Journalistin, die in ihrem eigenen Fall ermittelt, wollte sie nicht nur einen sozialen Wandel herbeiführen, sondern letztlich auch ihr eigenes Überleben sicher.

 

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Ito mit Freundin

 

Aus Directors Statement

 

Im Mai 2017 habe ich öffentlich gemacht, dass ich von Noriyuki Yamaguchi vergewaltigt wurde, einem ehemaligen Büroleiter des Tokioter Rundfunks in Washington, der als der dem Premierminister am nächsten stehende Journalist bekannt war. In Japan, wo es nach wie vor ein Tabu ist, über Vergewaltigung zu sprechen, erstatten nur 4 % der Opfer Anzeige bei der Polizei. Die Opfer und ihr Umfeld werden häufig stigmatisiert und gar aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Das sind Gründe, warum auch meine Familie gegen mein Vorgehen war.

 

Unser Film beginnt Wochen zuvor, als ich anfing, auf meinem iPhone eine Videotagebuch zu führen und mir meine Angst vor dem, was kommen würde, eingestand. Ich hatte nur eine vage Vorstellung von der künftigen Verwendung dieses Materials. Es entstand zunächst aus dem Bedürfnis heraus, mich selbst zu schützen. Nachdem mein Fall von verschiedenen Instanzen des japanischen Justizsystems abgewiesen worden war, hatte ich im Jahr zuvor heimlich Gespräche mit der Polizei und anderen Behörden aufgezeichnet. So wurde ich nicht nur zum Opfer, sondern auch zur Ermittlerin in meinem eigenen Fall.

 

Später, als eine historische Änderung des japanischen Sexualstrafrechts verabschiedet wurde, glaubte ich, mein Hauptziel erreicht zu haben und wieder ein normales Leben führen zu können. Doch es war zu spät. Ich war eine Heldin, Schurkin, Ikone geworden, aber mit mir selbst leben, konnte ich nicht.

 

Bei den Dreharbeiten bin ich an meine Grenzen gegangen. Als ich das Hotel, in dem ich vergewaltigt wurde, wieder betrat, hatte ich das Gefühl, dass der Schaden, den ich mir selbst zufügte, zu gross sein könnte. Gleichzeitig hielt mich mein Drang, etwas zum Wandel von Japans Gesellschaft beizutragen und diese Geschichte zu erzählen, am Leben. Jetzt, vier Jahre nachdem ich das Zivilverfahren gewonnen habe, betrachte ich die Szenen meines Zusammenbruchs, die flüchtigen Momente der Freude und der Normalität und die absurde Komik meiner novizenhaften Ermittlungsmethoden objektiver und kann mir vorstellen, wie sie sich zu unserem Film zusammenfügen können.

 

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Im Zivilprozess gewonnen

 

Von Japan in die Schweiz

 

«Es geht nicht nur um sexuelle Gewalt. Es geht um ein Machtproblem. Jeder von uns kann zum Opfer werden, Täter sein oder Zuschauer. Denken Sie darüber nach!» Mit diesen Worten geht Shiori Ito weit über ihre Leidens- und Erfolgsgeschichte hinaus und spricht für alle Frauen und Männer in allen Ländern, auch in der Schweiz, wo am 1. Juli 2024 ein neues Sexualstrafrecht in Kraft getreten ist, das auf eine gute Implementierung wartet. Die Filmemacherin zeigt, dass die Sexualthematik eine Machtthematik ist und alles umfasst, was gesellschaftlich, politisch, philosophisch, religiös auf der Welt passiert. Deshalb ist «Black Box Diaries» ein wirklich notwendiger Film.

Regie: Shiori Ito, Produktion: 2024, Länge: 102 min, Verleih: trigon-film