Dancing Arabs

Zwischen zwei Welten: Ein junger Palästinenser und eine junge Jüdin müssen ihre Identität aufgebe und eine neue finden, subtil beschrieben von Eran Riklis im Spielfilm «Dancing Arabs».
Dancing Arabs

Bereits in den Filmen «Die Syrische Braut» und «Lemon Tree» hat der 1954 geborene jüdische Regisseur Eran Riklis den Nahostkonflikt beschrieben, dramatisiert und analysiert: im ersten (2004) die Absurdität einer Hochzeit über Landesgrenzen hinweg, im zweien (2008) die aus Widerstand erwachsene Annäherung einer Palästinenserin an eine Jüdin. In beiden auch in der Schweiz erfolgreichen Werken geht es um die Menschen und ihre Befindlichkeit im Nahostkonflikt, nicht um die Kriege, Attentate, Massaker. In «Dancing Arabs» bleibt der Filmemacher seinem Thema treu, präzisiert es jedoch, hier geht es um die Araber, die in Israel leben.

«Warum haben Sie beschlossen, in Ihrem neuen Film die zwei Romane „Auch die Araber tanzen“ und „Die zweite Person“ von Sayed Kashua zu verwenden?», wird Riklis gefragt, und er antwortet: «Nach „Die syrische Braut“ und „Lemon Tree“, die beide den Konflikt im Nahen Osten betreffen, wollte ich mich auf den anderen, den inneren Konflikt einlassen, den die Palästinenser in Israel erleben, die israelische Bürger und zugleich israelische Juden sind. Zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung sind Araber. In diesem Film geht es um den Rassismus gegen diese Minderheit.»

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Eyads stolze Eltern Aisha und Salah

In Würde leben

1982 der erste Libanonkrieg, 1991 der Golfkrieg: soweit das historische Umfeld. Im Film «Dancing Arabs» lässt uns Riklis in das Leben einer palästinensischen Familie in Tira, etwa 12 Kilometer südöstlich von Netanja, eintauchen: in ihren Alltag, geprägt von äusserer Normalität und innerer Zerrissenheit. Wir begleiten den jungen schulischen Überflieger Eyad, der als erster Palästinenser von einer jüdischen Elite-Schule in Jerusalem aufgenommen wird. Zunächst fällt es ihm nicht leicht, Anschluss zu finden. Bald aber lernt er beim schulischen Sozialeinsatz in einer jüdischen Familie den schwer behinderten Yonatan und seine Mutter kennen. Zwischen ihnen entsteht eine besondere Freundschaft, die äussere Normen zu brechen versucht. Als Hypothek belastet ihn die Erzählung seines Vaters, der an der Universität war, sich bei der Intifada engagierte und ohne Anklage ins Gefängnis kam. Damals wollten sie Palästina von den Juden befreien, heute gehe es nur noch darum, in Würde leben zu können.

Eine weitere Wende nimmt Eyads Leben, als er an der Schule die schöne Jüdin Naomi trifft und sie sich ineinander verlieben. Auf seiner Suche nach Zugehörigkeit und einen ihm zustehenden Platz erkennt er, hoffend und verzweifelnd, zwischen zwei Welten pendeln zu müssen, bis ihn die Geliebte anfleht: «Hilf mir, dich zu vergessen.» Bis zu diesem Schluss erleben wir mit dem Jungen, wie es für Hundertausende von Palästinensern in Israel-Palästina ist, wo die Identität des Landes, der Kultur, der Familien systematisch vernichtet wurde. «Inwiefern ist die Liebesgeschichte zwischen Eyad und Naomi ein Sinnbild für die israelische Gesellschaft?», wurde Riklis gefragt, und er antwortete: «Die Liebesgeschichte ist realistisch. Liebe ist zwar stark und überwindet Hindernisse, aber dennoch verliert sie manchmal den Kampf gegen Vorurteile, Angst, Hass und Schwäche. Naomi liebt Eyad und Eyad liebt Naomi. Doch ihr Schicksal erinnert in vieler Hinsicht an jenes von Romeo und Julia.» Und warum engagiert sich Eyad so stark für den behinderten Yonatan? Die Antwort: «Beide jungen Männer sind an den Rand gedrängt, müssen in ihrem Leben ständig kämpfen. Dies bringt sie zusammen.»

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In der jüdischen Familie: Mutter Edna und Sohn Yonathan, dazwischen Eyad

Suche nach Identität

Nicht allein in Israel-Palästina ist Identität ein Kernthema. Hier jedoch kann sie wie auf dem Seziertisch genau untersucht werden, weil sie das Thema, zerstört, verneint, abwesend, ins Zentrum stellt und dem Film seine Allgemeingültigkeit verleiht. Er durchleuchtet die konkrete Situation im Leben der Palästinenser und macht gleichzeitig die umfassende Bedeutung spürbar. «Sie inszenieren häufig mit Personen, die in ihrer Identität zerrissen sind, doch selten mit einer solchen Intensität wie hier», stellt jemand fest, worauf Riklis antwortet: «Die Identität, auf allen Ebenen, ist die Grundlage unseres Lebens, egal wo wir leben. Auf ihrer persönlichen, familiären, sozialen, nationalen und universalen Ebene. Wir sind immer von unseren physischen, emotionalen, religiösen und nationalen Identitäten geprägt und leiden unter Vorurteilen diesen gegenüber. Die Identität ist das zentrale Thema des Films.»

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Das junge Liebespaar

Der Film, Palästina und wir

Über die Lösung des Nahostkonfliktes gibt es zwei Tendenzen: Die ein glaubt, der Friede müsse von den Konfliktparteien geleistet werden, obwohl dies in den letzten sechzig Jahren nie nur ansatzweise gelungen ist. Die andere meint, die Weltmächte müssten eingreifen, obwohl diese gegenwärtig unzählige andere Prioritäten haben.

«Ich hoffe, dass möglichst viele, vor allem junge Menschen begreifen, dass diese Gewalt zu nichts führt … Ich empfinde es als meine Pflicht, mich einzumischen, indem ich die Themen des Nahost-Konflikts in meinen Filmen verhandle», argumentiert der Filmemacher, angesichts der Tatsache, dass in seinem Lande die Meinungsfreiheit ernst genommen wird. Das heisst, dass auch kritische Filme produziert, gezeigt und an Festivals geschickt werden. Einzuschränken ist diese Feststellung jedoch, dass das breite Volk solche Filme nicht sieht, diese vor allem in Studiokinos und der Cinémathèque in Tel Aviv vorgeführt werden.

Was heisst das für uns? Bei uns wird der Film gezeigt. Wir können seine Botschaften verbreiten, darüber diskutieren, Leserbriefe schreiben. Wir können protestieren, wenn unsere Armee Drohnen aus Israel einkaufen will. Wir können uns von einem Film wie «Dancing Arabs» emotional betreffen lassen, Altbekanntes neu zu denken beginnen und mit Fantasie etwas tun: vielleicht an einer Mahnwache teilnehmen, vielleicht in Bethlehem und Umgebung zusammen mit Palästinensern im Herbst Oliven pflücken oder im Frühling neue Pflanzen anbauen usw.

Vielleicht verhelfen zusätzlich zu diesem Film Bücher über Israel/Palästina zu einem besseren Verständnis des Nahostkonfliktes, der auch im Hintergrund von «Dancing Arabs» steht. Hier mein Vorschlag.

Regie: Eran Riklis. Produktionsjahr: 2014, Länge 104 min, Verleih: Filmcoopi