Die Reise zum sichersten Ort der Erde

Da ich von Atomenergie sozusagen nichts verstehe, gebe ich dem Regisseur des Films «Die Reise zum sichersten Ort der Erde», Edgar Hagen, der sich intensiv mit dieser Materie beschäftigt hat, das Wort, erlaube mir lediglich einige Zwischenrufe.

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Die Naturwissenschaftler glauben, erfolglos, im Inneren der Erde eine Lösung zu finden.

Edgar Hagen: «In den letzten 60 Jahren haben sich rund um die Welt mehr als 350’000 Tonnen hochradioaktive Atomabfälle angesammelt, die für Tausende von Jahren an einem sicheren Ort, sprich: für Mensch und Umwelt unschädlich, endgelagert werden müssen. Doch ein Endlager existiert bis heute nicht, und die Produktion von atomarem Restmüll wird ungebrochen fortgesetzt. Der in der Schweiz lebende Nuklearphysiker und international renommierte Endlagerexperte Charles McCombie und einige seiner wichtigsten Weggefährten geben Einblick in ihr hartnäckiges Ringen, den dereinst sichersten Ort der Erde zu finden, um das fatale Dilemma zu beheben.»

Zwei andere Zugänge zum Thema

Der dänisch-finnische Dokumentarfilm «Into Eternity» von Michael Madsen, der letztes Jahr in den Schweizer Kinos sang- und klanglos untergegangen ist, handelte nicht vom Suchen, sondern vom Finden. Denn in Finnland wird gegenwärtig das erste und weltweit einzige Endlager für hoch radioaktiven Atommüll in den Fels getrieben: ein riesiger Komplex aus Tunnels und Kavernen, der mindestens 100'000 Jahre überdauern soll, denn radioaktive Abfälle müssen mindestens so lange von jedem lebenden Organismus ferngehalten werden. Wird der «Onkalo» (das Versteck), so der Name des Bauwerkes, solange versiegelt bleiben? Wird er einmal versehentlich geöffnet? Wer kann das eine garantieren, das andere ausschliessen? Wie ist sicherzustellen, dass kommende Generationen unsere Warnung überhaupt verstehen? Wissen wir, welche Sprache unsere Nachkommen in jener fernen Zukunft verstehen? Hält der Bunker allen von Menschenhand oder Naturkräften verursachten Katastrophen stand? Noch nie hat ein Film derart erhellend gezeigt, dass wir keine Antworten haben in dieser entscheidenden Frage für das Überleben der Menschheit.

Der Dokumentarfilm «Die Reise zum sichersten Ort der Erde» des Schweizers Edgar Hagen begleitet und befragt hundert Minuten lang McCombie und andere Experten. Was sie denken ist das, was alle Naturwissenschaftler systemimmanent denken. Doch das generiert keine systemübergreifenden Antworten. Zu fragen wäre, was die Finnen gefragt haben, nachdem sie den «Onkalo» gebaut haben: Wie sieht all dies in 100‘000 Jahren aus?

Zu den gleichen Fragen kommt die Ausstellung «Langzeit und Endlager» im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, dem grössten Universalmuseum der Schweiz – und auch dort gibt es keine Antworten.

Weltweites Suchen nach dem sichersten Ort

Die weltumspannende Suche führt an die unterschiedlichsten Orte: durch dicht besiedelte Gebiete in der Schweiz, zu einer Nomadenfamilie in der chinesischen Wüste Gobi, zu einem heiligen Berg in einem atomverseuchten Indianerreservat, zu Demonstranten im Wald von Gorleben. Der Film wird Zeuge der geheimen Ankunft eines Atommüllfrachters in Japan und beobachtet Freiwillige an einer britischen Atommüllversammlung. An all diesen Orten werden Vernunft, Demokratie und wissenschaftliche Redlichkeit durch Sachzwänge, Strategien und Ängste auf die Probe gestellt. Verlockende, jedoch unmenschliche Optionen tauchen auf: Ein Bürgermeister in New Mexico will den gefährlichsten Stoff der Erde für viel Geld in seiner Gemeinde unterbringen. Ein unermessliches, flaches Gebiet in der westaustralischen Steppe wird eruiert, um hochradioaktiven Atommüll aus der ganzen Welt aufzunehmen. «Die Reise zum sichersten Ort der Erde» führt bis ans Ende der Welt. Dabei zeichne es sich ab, dass keine schnellen Lösungen möglich sind, meinen die Wissenschaftler, die weitere Forschungsaufträge erwarten. Doch die wirklichen Fragen, so meine ich, können gar nicht von der Naturwissenschaft beantwortet werden, sie müssten Philosophen gestellt werden.

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Forscher wie Filmer scheuen keine Mühe bei ihrer Arbeit.

Statement des Autors und Regisseurs Edgar Hagen

«Seit Beginn der zivilen Nutzung der Atomenergie im Jahr 1956 gibt es ein Dilemma: Wir produzieren „sauberen Strom“ und hinterlassen den gefährlichsten Abfall überhaupt. Der hochradioaktive Atommüll bedroht uns für Hunderttausende von Jahren. 350'000 Tonnen sind es inzwischen weltweit – und jährlich kommen 10'000 Tonnen dazu. Der Müll wird rund um die Welt provisorisch gelagert, in Kühlbecken auf Atomkraftwerksgeländen und in Zwischenlagern. Unvorstellbares Chaos würde über die Welt hereinbrechen, wenn plötzlich eine unkontrollierte Kettenreaktion wie eine Atombombe losginge. Die nukleare Katastrophe in Fukushima im März 2011 hat uns nur eine Idee der Gefahrenlage vermittelt. Die politische Strategie, diesem Dilemma zu entrinnen, heisst heute in allen Atomenergie produzierenden Ländern: Endlagerstandorte finden, Orte finden, wo die Gefahr für künftige Generationen bis in alle Ewigkeit gebannt ist. Ein solcher Ort kann nichts anderes als „der sicherste Ort der Erde“ sein. Seit Jahrzehnten wird in vielen Ländern weltweit danach gesucht, wissenschaftlich geforscht, und immer wieder werden mögliche Standorte verworfen.

Es ist eine Reise durch tiefe Schichten kollektiver Verdrängung. Trotz jahrzehntelang erfolgloser Suche nach praktikablen Endlagerstandorten wird die Produktion von hochradioaktivem Atommüll ungebrochen fortgesetzt. Es herrscht ein fast religiöser Glaube, dass sich in Zukunft alles fügen wird. Die Verdrängung des Problems wird dadurch begünstigt, dass das radioaktive Material aus Sicherheitsgründen auch heute schon provisorisch weggesperrt werden muss: in tabuisierte, dem öffentlichen Auge entzogene Gelände, in die nur unter schwierigsten Auflagen Einblick gewährt wird. Der Film reist auf der Suche nach Antworten bis ans Ende der Welt.»

Und er findet keine Antwort. Vielleicht haben wir es wirklich weltweit und endgültig verpasst, was Ju Wang, der Direktor des hochradioaktiven Endlagerprogramms der Volksrepublik China, mit banalen Worten meint: «Wenn man ein Haus baut, darf man die Toilette nicht vergessen.»

Der Film wird mit einem umfangreichen Programm an Spezial- und Podiumsveranstaltungen ergänzt, vom 23. Oktober bis 10. November, in Zürich, Schaffhausen, Wettingen, Bern, Basel, Brugg, Frick, Aarau,Winterthur, St. Gallen und Luzern. Weiterführende Informationen finden sich auf der Website des Films.