Dreiviertelmond

Hartmut Mackowiak steht unter Schock.Seine Frau hat ihn nach dreissig Ehejahren für einen anderen Mann verlassen.

Plötzlich muss er sein Leben nochmals umordnen und hätte als mürrischer Taxifahrer doch am liebsten seine Ruhe und sich in einem Panzer aus Vorurteilen, Selbstgenügsamkeit und skeptischer Ablehnung gegenüber allem Fremden und Neuen verschanzt. Da passt es ihm auch nicht, dass plötzlich die sechsjährige Hayat (Mercan Türkoglu) mutterseelenallein in seinem Taxi auftaucht, kein Deutsch spricht und nun seine Hilfe erfordert. Alle Versuche, sie loszuwerden, scheitern. Und obwohl er gerade seine Frau zur Rückkehr zu bewegen versucht, macht er sich schließlich auf die Suche nach Hayats Mutter. Dabei dämmert es ihm: Vielleicht ist es nicht er, der Hayat hilft, sondern sie ihm.

Ein Film zum Wohlfühlen

Nach seiner bewegenden und vielfach preisgekrönten Darstellung in Doris Dörries Erfolgsfilm «Kirschblüten – Hanami» (2008) ist Elmar Wepper wieder auf der Kinoleinwand zu sehen. Christian Zübert, 2011 als Drehbuchautor und Regisseur mit zwei Grimme-Preisen ausgezeichnet, schuf mit «Dreiviertelmond» eine herzerwärmende Tragikomödie mit diesem wunderbaren Schauspieler, dem er die Rolle des grantigen Taxifahrers auf den Leib geschrieben hat. Anderseits wurde aus hunderten von gecasteten Kindern, ein glücklicher Entscheid, die kleine Berlinerin Mercan Türkoglu für ihre erste Kinorolle ausgewählt, um charmant und frech dem Alten das Leben wieder beizubringen.

Gute Drehbuchideen entspringen oft alltäglichen Beobachtungen. So auch hier. Christian Zübert, aus Franken stammend, und seiner Frau, aus der Türkei kommend, fiel in ihrem Zusammenleben immer wieder auf, dass es kaum einen grösseren Gegensatz gibt als den zwischen der fränkischen und der türkischen Mentalität. Der Schritt zur Filmidee war dann nicht mehr gross. So wurde der mürrische alte Taxifahrer Hartmut geboren, der durch eine Laune des Schicksals vor die Aufgabe gestellt wird, einem kleinen türkischen Mädchen zu helfen, was sein ganzes Leben durcheinanderbringt. «Dreiviertelmond» erzählt die Geschichte dieser unfreiwilligen Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen: einem älteren deutschen Taxifahrer und einem kleinen türkischen Mädchen. «Was mich dabei am meisten interessiert hat, war die Geschichte von Hartmut, einem Menschen, der sich durch die Trennung von seiner Frau aus seinem Leben zurückgezogen hat. Er lernt, seine alten Denkmuster und seine eingeschränkte Sichtweise zu überwinden und findet den Mut, seinem Leben noch einmal eine neue Richtung zu geben. Das ist für mich das erzählerische Herz der Geschichte», meint der Autor.

Der Film zeigt aber auch heutige Veränderungen in der Gesellschaft. Die klassische Familie als Auffangmöglichkeit existiert immer weniger. Der Regisseur dazu: «Hayat ist auf sich gestellt, ihre alleinerziehende türkische Mutter, was vor zehn Jahren noch undenkbar, muss ihr Kind immer wieder bei der Grossmutter abgeben, um im Leben zurechtzukommen. Hartmut ist ebenfalls alleine, steht ohne Frau da, was vor zwanzig Jahren in seinem Alter, ausser durch den Tod der Frau, noch selten gewesen wäre.»

Hartmut durchlebt im Laufe des Films mit der kleinen Hayat, die ihn völlig aus dem Konzept bringt und sein Leben auf den Kopf stellt, eine Wandlung. Das Ende bleibt offen. Ob Hartmut es letztlich schafft, sein Leben in die richtige Richtung zu lenken, sagt der Film nicht. Aber die Ereignisse bringen ihn zumindest dahin, mal ein paar Schritte ausserhalb seiner vorgefassten Handlungsmuster zu wagen. Das Happy End von «Dreiviertelmond» ist kein klassisches, Hartmut gewinnt seine Frau nicht mehr zurück. Doch er kommt wenigstens mit sich ins Reine, eine gute Voraussetzung, um ein neues Leben anpacken und neue Beziehungen aufbauen zu können.

Unterhaltung mit feinen Zügen

«Dreiviertelmond» ist ein modernes Märchen. Und in Märchen gibt es bekanntlich auch Zufälle, Situationen, die einer Person zufallen. Aus solchen realen Ereignissen, die mit den irrealen Zufällen zusammenprallen, entsteht in diesem Film der Sinn. Wichtig scheint mir dabei, dass die Hauptpersonen glaubwürdig gezeichnet und einfühlsam gespielt werden. Da gibt es zuerst Hartmut, einen alten Mann, der von seiner Frau verlassen und deshalb eigentlich einsam ist, dies im Alltag erfolgreich überspielt. Gerade diese seine Reaktionen schildert der Film in gelungener Feinzeichnung. Ähnlich verhält es sich mit dem kleinen Türkenmädchen. Dieses spielt eine lustige, freche, überraschungsreiche Nummer, obwohl es auch in ihrem Leben viel Leid gibt, das es wegzustecken gelernt hat. Weil es beiden Protagonisten glückt, ein paar Schritte in ein neues Leben zu gehen, macht der Film uns glücklich, im Geheimen hoffend, dass auch uns Ähnliches gelingt.

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