Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt

Melancholische Metamorphosen. Der Film «Gardenia», ein meditatives Tanzstück mit homo- und transsexuellen Rentnern von Thomas Wallner ist berührend, anregend, vielleicht auch provokativ.
Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt

Vanessa, einer der sechs Männer von «Gardenia»

Der belgische Choreograf Alain Platel rief, und viele kamen, um mit ihm «Gardenia» auf die Bühne zu bringen. Als Grundlage diente die Idee seiner Kollegin Vanessa Van Durme für eine Tanzshow mit alten Drag Queens, nachdem sie von einer ähnlichen Show in Barcelona gehört hatte. «Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt» mit homosexuellen und transsexuellen Rentnern wurde ein internationaler Erfolg und in 25 Ländern über 200mal aufgeführt. Für die Abschiedsvorstellung kehrte das Ensemble in die Premierenstadt Gent zurück. Der Film von Thomas Wallner zeigt Ausschnitte der Dernière und lässt sechs Männer zwischen 59 und 67 Jahren aus ihrem Leben erzählen: von ihrer Vergangenheit als Travestie-Künstler, ihrer Einsamkeit, ihren Träumen und Schwierigkeiten mit dem Älterwerden. – Thomas Wallner, der Filmemacher, schuf innovative, medienübergreifende Produktionen für das Fernsehen und war bei acht preisgekrönten Dokumentarfilmen als Regisseur und Drehbuchautor tätig.

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Schlussbild mit der ganzen Truppe

Notizen von und Stichwort zu den sechs Protagonisten

Wenn im Folgenden „er" und „sie" gelegentlich durcheinander geraten, entspricht das den Gegebenheiten oder drückt meine Hilflosigkeit diesen gegenüber aus.

Für Danilo, als Performerin Gina de Rio, war «Gardenia» ein Geschenk. Sie war Prostituierte, heute putzt er in einem Bordell. Er spielte seine Rolle richtig sexy, mit Strapsen und High Heels. «Meine Aufgabe war es, wie eine echte Frau auszusehen. Eine Professionelle verkauft Träume. Nur manchmal kann man das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Doch meist hiess es: zahlen, vögeln, danke und tschüss. Das machte ich bis zum Punkt, als ich begann, mich dreckig zu fühlen.»

Andrea lebt heute allein mit einem Hund. Als Jugendlicher fragte er seine Mutter, ob ein Arzt ein Mädchen aus ihm machen könne. Diese verneinte. Vor dem Spiegel sagte er sich: «Entweder ist dir das Leben wichtig, oder du erhängst dich ... Mit 45 endlich betrat ich den Operationssaal als Julius Caesar und kam als Kleopatra heraus. Wenn ich 60 werde, so habe ich wenigstens 15 Jahre das gelebt, was ich sein will.» Als Frau ist sie heute selbstsicherer, politisch engagiert, kandidiert bei Lokalwahlen.

Vanessa: «Wow, ich war hübsch, war stolz auf meinen Körper, sexuell sehr aktiv, wäre es noch heute gern, doch heute klingelt niemand mehr. Vielleicht kommt noch jemand im Herbst meines Lebens.» Mit 16 haderte er mit seiner Identität. «Ich mochte weder mein Geschlecht, noch meinen Namen.» Passanten nannte sie die Männer, die ihren Körper geliebt hatten. In Casablanca wurde er operiert, danach als schönes Monster ausgeschlossen und verschwand für dreizehn Jahre in den Katakomben der Fensterprostitution. Jetzt ist sie zurück im Theater.

Richards Traum war stets, Fotomodell zu werden, doch dazu reichte es nicht. «Ich bin kein Transsexueller, sondern ganz einfach schwul, vom Scheitel bis zur Sohle.» Als solcher hatte er nie grosse Schwierigkeiten. Jetzt arbeitet er in der Abteilung für Frühgeburten in einem Krankenhaus. Die traurigen Schicksale der Kinder, die er erlebte, bedrückten ihn. Er musste sich frei machen und kam zum Theater. Die Show wurde für ihn zur Katharsis.

Rudi bewundert seinen Freund Richard, der mit seiner Sexualität keine Probleme hat und sich als Homosexueller geoutet hat. «Mir jedoch macht es Angst, anders zu sein, ich habe Angst vor mir selbst.» Früher arbeitete er bei der Regierung, was sein Leben noch mehr einschränkte. Heute hat er Angst vor dem Tod, obwohl er bereits die Musik für sein Begräbnis ausgesucht hat.

Gerrit respektiert Männer, diese schwanzgesteuerten Machos, nicht. «Ich kenne sie, habe 26 Jahre als Frau gelebt.» Heute näht er Möbelbezüge. Seine Mutter wusste, als er sieben war, dass er anders ist als die andern, wollte aber nicht, dass man an ihm herumschneidet. «Ich wurde nie operiert. Doch heute fühle, handle, denke ich als Frau im Körper eines Mannes.»

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Die Truppe bei einer Performance

Die Melancholie der Metamorphosen

Wer das faszinierende Sich-Verwandeln beim Theater-Spielen schon erlebt hat, wenn man zwischen seinem Ich und etwas anderem hin und her pendelt, ist gut vorbereitet auf diesen Film. Wer Erfahrungen gemacht hat mit Auftritten als das, was man war, was man ist und eventuell sein wird, ist dem Film nahe. Wer sich vorstellen kann, das Leben aus einem männlichen oder einem weiblichen Körper, einer männlichen oder weiblichen Seele zu erleben, kommt «Gardenia» in die Nähe. Und wer seine Lebenszeit, und somit sein Altern, bewusst lebt, kann von diesem Filmerlebnis bereichert werden. Denn vielleicht ist es noch schwieriger als sonst schon, das Altern des eigenen Körpers zu akzeptieren, wenn man nicht von Anfang an in diesem gewohnt hat. Die Homo- und Transsexuellen dieses Films zeigen es. Auf der Basis der Biografien der alternden Performer entwickelten Platel und Van Laecke ein anrührendes, melancholisches, parodistisches Bewegungstheater, das auf Gestik, Mimik, Gesang und Musik basiert. Das Biografische ist vielfältig, doch nur skizziert. Sie blättern unterschiedliche, individuelle (sexuelle) Identitäten kaleidoskopisch auf. Die Metamorphosen der sich in Frauen verwandelnden Männer der Aufführungen bieten zusätzliche Interpretationen.

In ruhigen Einstellungen betreten wir die Häuser oder Wohnungen, wo die Begegnungen mit den Protagonisten stattfinden. Dazwischen führt uns die Kamera durch die Strassen und Grachten der Stadt. Kamera und Erzählung greifen organisch ineinander. Im einen Fokus stehen die Prioritäten der Performer, im andern die Sequenzen der Aufführung, welche die Montage und die Musik assoziativ miteinander verbinden. Im Theaterstück erleben wir eine hypnotisch inszenierte, präzise choreografierte Verbindung aus Bewegung und Musik (von Maurice Ravels «Bolero», über Judy Garlands «Somewhere Over the Rainbow», bis «La Paloma»). Aus den Lebensgeschichten erfahren wir von Leiden und Freuden, Sehnsüchten und Ängsten, Unsicherheiten und Ermutigungen der Männer oder Frauen. Während anderthalb meditative Stunden schuf Thomas Waller eine berührende Film-Performance: eine Dokumentation ausgewählter Personen und einen Einblick in eine ungewöhnliche Show, mit Interviews, die das Individuelle und Gesellschaftliche, und einem Schauspiel, welches das Symbolische und Allgemeinmenschliche von «Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt» offenbart.

Regie: Thomas Wallner, Produktion: 2014, Länge: 88 min, Verleih: Filmpodium