Berlinguer. La grande ambizione
Elio Germano als Enrico Berlinguer
Welch eine politisch-moralische Grösse stellt dieser Versuch doch dar! Welch eine Gegenwirklichkeit offenbart er zu den heutigen Gaunereien der Mächtigen dieser Welt! Eine Geschichte, die es zu bewundern, betrauern, bedenken und in neuen Situationen neu anzuwenden gilt!
«Normalerweise sieht man den Kampf der kleinen Ambitionen, die mit einzelnen privaten Zielen verbunden sind, gegen die grosse Ambition, die untrennbar mit dem Gemeinwohl verbunden ist.» Diese Feststellung von Antonio Gramsci, dem Gründer der Kommunistischen Partei Italiens, schwebt über dem Film und verleiht ihm Allgemeingültigkeit.
Anfang der 1970er Jahre wird Enrico Berlinguer Zeuge der demokratischen Wahl von Salvador Allende und der Hoffnungen des chilenischen Volkes, die durch das Regime von Augusto Pinochet jedoch erstickt werden. Dies bestärkt ihn in der Überzeugung, in Italien einen demokratischen Weg zum Sozialismus zu finden, der nicht von den USA beeinflusst wird. Nicht einmal das Attentat auf ihn in Bulgarien hält ihn davon ab: Seine Idee ist es, «die gesamte wirtschaftliche und soziale Struktur» des Landes umzugestalten und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, insbesondere der Arbeitnehmer durch die Arbeitgeber, ein Ende zu setzen. Die Kommunistische Partei Italiens, deren Sekretär er ist, hat, auch dank seines Charismas, in den Umfragen und an den Wahlurnen prozentual zugelegt. Doch Berlinguer weiss, dass er nur durch ein Bündnis zwischen den antifaschistischen Volkskräften, den kommunistischen, sozialistischen und katholisch-progressiven, die sich zu einem «klaren Horizont der Stabilität» zusammenschliessen, Zugang zur Regierung erhalten kann. Der «historische Kompromiss» hätte den Aufstieg der PCI in die öffentliche Verwaltung bedeutet, wäre Aldo Moro nicht getötet worden.
In der Via delle Botteghe Oscure, Zentrale der Kommunistischen Partei
La grande ambizione
Enrico Berlinguer, der charismatische Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens (PCI), grenzte sich Anfang der 1970er Jahre vom sowjetisch geprägten Sozialismus ab und versuchte, ihn mit westlichen Demokratievorstellungen zu versöhnen. In einer in zwei Blöcke gespaltenen Welt setzte er sich mit Nachdruck für die Überwindung der Dogmen des Kalten Krieges ein. So begann er gegen sämtliche Widerstände einen Dialog mit Aldo Moro, dem Chef der Christdemokraten. Und wäre dieser nicht von den Roten Brigaden entführt und ermordet worden, hätte Berlinguer mit seinem «historischen Kompromiss» Italien wohl nachhaltig verändern können.
Der von Elio Germano meisterhaft gespielte Berlinguer beeindruckt noch heute durch seine politische Weitsicht und seine persönliche Opferbereitschaft. Ergänzt mit eindrucksvollen Archivbildern überzeugt der Film von Andrea Segre nicht nur als berührendes Drama des Kampfes eines Mannes für eine gerechtere Gesellschaft, sondern auch als grossartiges Porträt einer von Hoffnungen und Enttäuschungen geprägten Epoche. Ein filmisches Monument der Solidarität und Menschlichkeit, das uns als Utopie hoffentlich noch lange erhalten bleibt.
Regisseur Andrea Segre, *1976
Gedanken des Regisseurs
Über Enrico Berlinguer wurden viele Dokumentationen, Bücher und Essays gemacht, aber
niemand hat je versucht, dem fiktionalen Kino die «innere» Rekonstruktion seines Lebens, seiner Welt und seines Volkes anzuvertrauen. Dabei sprechen wir von einer Welt, die aus Millionen von Menschen bestand, von denen viele noch leben, und von einem Mann, der ein globales Symbol für eine Herausforderung war: der Versuch, den Sozialismus in einer demokratischen und unabhängigen Gesellschaft umzusetzen, die Ungleichheiten zu überwinden, und dabei alle wirtschaftlichen und kulturellen Freiheiten zu garantieren, die die sowjetischen Diktaturen unterdrückt hatten.
Zwei Grundsätze haben mir geholfen, hierher zu kommen: auf der einen Seite der Respekt vor der Seriosität und Nüchternheit von Berlinguer, auf der anderen die Entscheidung, nicht zu imitieren oder zu idealisieren, sondern immer zu versuchen, zu verstehen. Indem ich diesen Prinzipien folgte, versuchte ich, in die Gedanken von Berlinguer einzutauchen, in seine direkte Beziehung zu dem, was er wollte und tat, mit seinen Ambitionen, Spannungen und Ängsten, in den vielleicht komplexesten und entscheidendsten Jahren seiner politischen Laufbahn. Und ich versuchte, in seine Welt einzutauchen, in dieses einzigartige, intensive und nicht widerspruchsfreie Universum, das die Geschichte Europas so singulär machte: die Italienische Kommunistische Partei, der Berlinguer sein Leben widmete.
Bereits vom ersten Moment an war es entscheidend, Elio Germano als Hauptdarsteller zu wählen, weil ich wusste (und jetzt noch besser weiss), dass auch er darauf hinarbeiten würde zu verstehen und nicht darzustellen. Wenn Enrico Berlinguer, seine Welt und sein Volk theatralisiert werden, können sie nur zu Helden oder Feinden werden. Wenn man jedoch mit Respekt und Verständnis in eine Lebenswahl eintaucht, dann kann man versuchen, Kino zu machen, oder zumindest das Kino, das ich gerne mache: die Politik nicht durch Slogans und Symbole zu erzählen, sondern in das Leben derjenigen einzutauchen, die sie als untrennbaren Teil ihrer Existenz empfinden. Das erfordert viel Studium, Zeit und einen kollektiven Glauben, denn Kino ist eine kollektive Kunst.
Berlinguer im Büro, mit Gramscis Bild im Hintergrund
Das Leben von Enrico Berlinguer kann noch heute helfen, Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Die Welt hat sich tiefgreifend verändert, aber die Dringlichkeiten und Emotionen, die sein Leben und sein Volk durchzogen haben, sind nicht verschwunden, sie wohnen in anderen Strassen, suchen sich, stellen sich Fragen, durchqueren die Widersprüche der Gegenwart und schlüpfen in die Leerräume der modernen Gesellschaft.
Berlinguer war klein, schwach, still und nachdenklich, studierte viel, schrieb unglaublich viel, sprach mit grosser Ruhe und Präzision, schaute in die Augen, hörte zu. Er benutzte selten Slogans oder schrie sie, selbst wenn er vor Hunderttausenden von Menschen stand. Diese Eigenschaften, die sich so von anderen Führern des 20. Jahrhunderts unterscheiden, machten ihn bei vielen Italienern beliebt. Bei den Kommunisten, aber auch bei denen, die nie Kommunisten waren.
Ich habe Enrico/Elio mit einer immersiven Regie begleitet. Dank der meisterhaften Kamera von Benoît Dervaux ist es uns gelungen, in die Orte und Entscheidungen jener Jahre einzutauchen, welche wahre Wendepunkte der sozialen und politischen Entwicklung Italiens waren. In vielen Monaten des Schnitts habe ich gemeinsam mit Jacopo Quadri, unterstützt von der intensiven und sorgfältigen musikalischen Arbeit von iosonouncane, beschlossen, einen ästhetischen und narrativen Dialog zwischen unserer Inszenierung und den Filmbildern aus Archiven zu schaffen, die nicht dazu gewählt wurden, zu bezeugen, sondern um zu meisseln. Präzise Zeichen einer Erinnerung, die Kino wird.