Hirtenreise ins dritte Jahrtausend

Heimatfilm, der nach dem Sinn fragt: «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» heisst der ausgezeichnete Dokumentarfilm von Erich Langjahr aus dem Jahre 2002, der restauriert und digitalisiert wieder in die Kinos kommt und uns damalige und zukunftsweisende Fragen neu diskutieren lässt. Ab 30. November im Kino
Hirtenreise ins dritte Jahrtausend

Hirt Michi Cadenazzi pfeift seinem Hund

Eine der ältesten Kulturformen menschlicher Existenz ist das Hirtentum. In seinem Wesen beinhaltet es bis heute nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern verkörpert eine eigene Lebenshaltung und Weltanschauung. Ich wollte das Hirtenleben am Übergang ins dritte Jahrtausend kennen lernen.
Der Film erzählt eine moderne Hirtengeschichte, ausgehend von der Transhumanz, der Weidewirtschaft zwischen den Jahreszeiten und dem damit verbundenen Überbringen der Herden von der Winterweide auf die Sommerweide und umgekehrt. Die Hirten im Film nehmen ein Leben mit viel Entbehrung auf sich und stellen sich einer Herausforderung, die öfters auch die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht. Sie kommen nicht aus der Tradition des Bäuerlichen, sondern haben diese Lebensform selber gewählt, im Bedürfnis nach der Freiheit, selber etwas Sinnvolles zu tun. In einer Zeit des Umbruchs und des Wertewandels zwischen Tradition und Zukunft ist der Film auch Ausdruck meiner eigenen Zerrissenheit.
Nach «Sennen-Ballade» und «Bauernkrieg» ist «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» der dritte Film einer Trilogie, in der ich mich mit den elementaren Fragen des Menschen und seiner Existenz auseinandersetze. Im Zentrum stehen die Fragen nach Identität, Überleben und Zukunft.
Erich Langjahr

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Hirt Thomas Landis zieht mit der Schafherde

Aufführungen des restaurierten und digitalisierten Films

 

Der Kinofilm «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» von Erich Langjahr aus dem Jahre 2002 erhielt den Schweizer Filmpreis 2003 und wurde deshalb von der Cinémathèque suisse mit Hilfe des Kantons Luzern restauriert und digitalisiert. Er kann jetzt in neuem Glanz wieder im Kino gespielt und anschliessend diskutiert werden. Der Deutschschweizer Kinostart ist am 30. November 2023. Die Daten und Kinos der folgenden Aufführungen finden sich auf der Website von Erich Langjahr.

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Hirt Thomas Landis trinkt Kaffee früh morgens im Wald vor seinem Zelt

Texte von damals zum Film –
als Einstimmung und Anregung zu Filmgesprächen
und als Belege für eine Zeit, als die Filmkritik noch mehr galt als heute…

 

Kurze Kommentare in der Schweizer Presse

Betörend ungewohntes Bild der heutigen Schweiz.
Irene Genhart, Arthouse Movie News

Ein Film von grosser visueller Kraft.
Vinzenz Hediger

Bilder von meditativ-beruhigender Wirkung schaffen Ruhe und Raum für Fragen an die Zeit.
Birgit Schmid, Neue Luzerner Zeitung

«Hirtenreise» ist geprägt von einer grossen Nähe von Menschen und Tieren. Ein visuell eindrucksvoller und auch unterhaltsamer Film.
Vinzenz Hediger, 29. Okt. 2002, Neue Zürcher Zeitung

Es ist ein Kinofilm entstanden, der die Realität darstellt, so hart wie sie ist. Real sind auch die Personen im Film. Der Zuschauer verbündet sich mit ihnen, sie sind keine Darsteller mehr, sie sind Bekannte geworden, wenn am Ende ihre Namen über die Leinwand flimmern.
Kaspar Grünig, Die Grüne, 20/2002

Was «irgendwie wie Freiheit» ist, erscheint als entbehrungsreiches, hartes Leben, in dem sich aber gleichzeitig Haltung und Verantwortung spiegeln, eine mit der Natur auf ursprüngliche Weise verbundene und harmonisierende Weltanschauung.
Fred Zaugg, Der Bund, 12. Jan. 2002

Stets ging es Langjahr darum, elementare Dimensionen freizulegen und zu zeigen, wie sehr wir gerade auch da noch von unserer Herkunft geprägt sind, wo wir uns von ihr entfernt haben. Seine «Hirtenreise» ist deshalb weder ein Abgesang noch ein Loblied auf die Hirtenromantik. Zwar ruft Langjahr auch die romantischen Bilder des Hirtentums ab, doch er zeigt ebenso die knochenharte Realität hinter dieser fast biblischen Bildwelt.
Thomas Allenbach, Sonntags-Zeitung, 21. April 2002

Erich Langjahr ist ein Dinosaurier in einer beschleunigten Welt, der die Zeit aufhält – und sei es für zwei Stunden mit einem Film wie «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend». Entstanden ist ein schönes, aber ungeschöntes, nie heimattümlich verklärendes Dokument über das moderne Hirtenleben. Bilder von meditativ-beruhigender Wirkung schaffen gleichsam Ruhe und Raum für Fragen an die Zeit.
Birgit Schmid, Neue Luzerner Zeitung, 20. April 2002

Der Film besticht durch präzise Alltagsbeobachtungen und erzählt nicht zuletzt von der grossen Faszination, die das naturverbundene Leben dieser Hirten auf den Filmemacher ausübt.
Christoph Heim, Basler Zeitung, 29. April 2002

Diese autobiographisch anmutende Erzählung trägt auch meditative Züge. Im anbrechenden Jahrtausend ziehen diese Figuren durch eine von zahlreichen Gesetzen regierte Welt. Aber ihre Träume haben sie sich nicht nehmen lassen, in ihnen sind die Mythen einer Versöhnung von Natur, Tier und Mensch noch wach.
Jean Perret, Visions du réel, Nyon, 28. 4. 2002

Die Faszination von Langjahrs Film liegt in der Exotik dieses einstmals traditionellen Lebens, das nicht irgendwo im Himalaja stattfindet, sondern in der mehrheitlich urbanisierten Schweiz. Die Geburt eines Schafes oder einer Ziege, das Balzverhalten des Geissbocks, die körperliche Schwerstarbeit beim Käsen werden zum cineastischen Naturereignis der erwachsenen Stadtkinder im Kino. Erich Langjahr schaut genau hin: Er lässt sich Zeit, gibt der Natur ihren Raum.
Madeleine Corbat, Berner Zeitung, 27. April 2002

Langjahr lässt sich Zeit, gibt der Natur und den in ihr lebenden Menschen viel Raum, beobachtet sie mit geduldiger Zuneigung und fasziniert mit eindrücklichen Bildern.
Hans Hodel, medien tipp, Herbst 2002

Erich Langjahr stellt sich nicht gegen den Fortschritt, aber er plädiert für einen Fortschritt ohne Seelenverlust. Darum berühren seine Filme auf unaufdringliche, subversive Art und Weise und greifen an das Gemüt.
Andreas Iten, Rontaler Brattig, 5. Ausgabe/Jahrgang 2003

 

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Susanna Landis-Giacometti mit Ziege

 

Feedbacks aus dem Ausland

Der Film lässt Zeit- und Raumbezüge aufregend neu erfahren.
Silvia Hallensleben, Der Tagesspiegel, Berlin, 22. 10. 2002

In bester Tradition des klassischen dokumentarischen Autorenfilms geht Langjahr auf Spurensuche von dem, was in der hochentwickelten Schweiz an überlieferten Werten der bäuerlichen Kultur übrigbleibt. Am Beispiel der dargestellten Wanderhirten zeichnet er mit der ihm eigenen Beharrlichkeit und Sorgfalt das Bild einer brüchig gewordenen Einheit zwischen Mensch und Kosmos.
Festival Leipzig, Internationale Jury, 20. 10. 2002

«Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» zeugt von einer filmischen Vertiefungskunst, die vielleicht in der von Walter Benjamin beschriebenen «Aura» des fotografischen Bildes ihren Ursprung hat. Der Film gewann zu Recht die «Goldenen Taube», weil er Grundlegendes über das Verhältnis von Mensch, Natur und Gesellschaft erzählt und dank Bildwitz und Rhythmus zur Musik des «Contemporary Alphornorchesters» über die gesamten 124 Filmminuten unterhält.
Cornelia Fleer, Filmdienst, Bericht 45. Int. DOK Leipzig, 20. 10.2002

Versöhnt schied vom Festival in Nyon, Vision du réel, wer Erich Langjahrs grossen Film «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» gesehen hatte. Der Darstellung der Schrecken industrieller Tierhaltung in Langjahrs «Bauernkrieg» (1998) folgt nun ein scheinbar idyllisches Opus. Doch die ethnographisch genauen Bilder lassen keine landselige Schwärmerei aufkommen. Stunden, Tage, Jahre vergehen, ohne Leerlauf und nie sorgenfrei.
Hans-Jörg Rother, Frankfurter Allgemeine, 7. Mai 2002

Poetische wie genaue Beobachtung des Lebens der Hirten im Wechsel der Jahreszeiten und im Wandel der Zeiten.
Norbert Wehrstedt, Leipziger Volkszeitung, 45. Int. DOK Leipzig, 2002

Der Film lässt Zeit- und Raumbezüge aufregend neu erfahren.
Silvia Hallensleben, Der Tagesspiegel, 22. Okt. 2002

In stimmungsvollen Bildern, mit genauem Hinsehen, verfolgt Langjahr den Dialog zwischen Mensch, Tier und Landschaft und findet heraus, was in der hochentwickelten Schweiz an überlieferten Werten der bäuerlichen Kultur übrigbleibt.
Günter Agde, Die Welt am Sonntag, 27. Okt. 2002

Nomaden. Es gibt sie kaum noch, die Wanderhirten, die im Winter im Mittelland von Weide zu Weide ziehen und sommers ihre riesigen Schafherden weit hinauf in die Berge führen. Der bekannte Schweizer Dokumentarfilmregisseur hat zwei von ihnen über sieben Jahre begleitet. «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» ist das faszinierende Ergebnis. Nähe zu den Tieren, ein entbehrungsreiches Leben, grandiose Landschaften ein grosser, meditativer Abgesang auf eine im verschwinden begriffene Kultur mit unvergesslichen, meisterhaften Bildern.
In München, Programm Magazin, März 2004

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Hirt Thomas Landis mit beladenem Esel und den Schafen auf dem Feld

Zwei längere Texte

Thomas steht am Rande eines nebelverhangenen Feldes und lässt den Blick schweifen. Ab und zu schnalzt, gurrt oder pfeift er. Ruft seinem Hund einen Befehl zu. Dirigiert die Schafherde, die zu seinen Füssen weidet: Thomas ist – wie Michel, der andere Protagonist aus «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» – Wanderhirt. Begleitet von Hund und Esel zieht er vom November bis im März mit einer riesigen Schafherde durchs Luzerner Mittelland. Steht mit der Sonne auf, wandert tagsüber mit der Herde über die Felder, schläft, selbst wenn es regnet und schneit, in einem einfachen Unterschlupf neben seinen Tieren. Thomas strahlt Ruhe aus. Hat eine Gelassenheit, die so gar nicht zur Hektik der heutigen Zeit passen will: Wie, hat sich der Schweizer Dokumentarfilmer Erich Langjahr gefragt, sieht das Hirtentum am Übergang ins dritte Jahrtausend aus?
Er stellt mit «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» nach «Sennen-Ballade» und «Bauernkrieg» den letzten und überzeugendsten Teil seiner Trilogie vor, die sich mit den elementaren Fragen des Menschen und seiner Existenz auseinandersetzt. Sechs Jahre hat er zwei in der Schweiz lebende Wanderhirten und ihre Angehörigen mit der Kamera begleitet. Ist mit Michel gegen den Gotthard, mit Thomas ins Bündnerland und ins Tessin gezogen. Hat ihnen bei der Tierpflege und der Verrichtung alltäglicher Arbeiten zugeschaut. Wunderbar wortkarg, phasenweise mit urchig-jazziger Musik von Hans Kennel unterlegt, entwirft «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» in meditativer Geruhsamkeit ein betörend ungewohntes Bild der heutigen Schweiz und einiger ihrer Bewohner.
Irene Genhart, Arthouse Movie News, 9/10/2002

Wider die laute Verödung. Langjahrs «Hirtenreise»
Der Schweizer Erich Langjahr ist ein Mann der Beharrlichkeit. Unbeirrbar verweigert er sich dem Diktat gängiger Erwartungen an Rasanz, Farbigkeit, Beliebigkeit leicht verdaulicher Kinokost.
Seine Dokumentarfilme hasten nicht von Station zu Station, geben Gesprächspartnern mehr als die modischen dreissig Sekunden, um Gedanken und Gefühle auszudrücken. Damit wird er auf ganz unspektakuläre Weise zu einem Rebellen wider alles Oberflächliche.
So auch mit «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend». Beobachtet werden Hirten, die auf Schweizer Höhen mit scheinbarem Gleichmut ihrer traditionellen Arbeit nachgehen. Lange Einstellungen schenken dem Zuschauer Musse, das Miteinander von Mensch und Tier zu erleben. Ein Genuss.
Die Geburt eines Schafes, das Balzen eines Geissbocks, das stille Grasen werden dabei zu Metaphern auf den leisen Widerstand gegen die laute Verödung unserer Welt durch ein Mehr und Mehr an genormten Abläufen und Verhaltensmustern. Lange Passagen sind von geradezu meditativer Kraft.
Wenn die Hirtenreise nach zwei Stunden zu Ende ist, möchte man das Kino gar nicht verlassen. Denn zu schön ist dieses Abtauchen in die Weite eines Daseins fern alltäglicher Hast. Hier wird der Kinobesuch gleichsam zu einer Urlaubsreise – bei der das Denken allerdings nicht ausgeschaltet wird.
Wenn da in kargen Worten von Freiheit die Rede ist, von Träumen, von Angst vor einer Zukunft, in der das Jahrhunderte alte Handwerk des Hirtens möglicherweise nicht mehr gebraucht wird, setzt ein Nachsinnen über den Gang der Zeit ein. Sollten wir nicht vielleicht die Uhren manchmal bewusst ein kleines Bisschen zurückstellen?
«Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. als bester Schweizer Dokumentarfilm dieses Jahres und mit der Goldenen Taube des Internationalen Filmfestivals Leipzig. Trotzdem hat der Film in Deutschland keinen Verleih gefunden.
Aber auch in diesem Fall gilt: Beharrlichkeit. Erich Langjahr bringt den Film nun im Selbstverleih heraus. Wie seine Protagonisten lässt er sich von der Ignoranz der Zeitlaufmächtigen nicht verunsichern.
Peter Claus, 27. Nov. 2003, Berliner Morgenpost

Regie: Erich Langjahr, Produktion: 2002, Länge: 124 min, Verleih: langjahr-film Distribution