Jimmy's Hall

Sozialkritik: altersmild: Der 78jährige Ken Loach, bekannt mit seinen über dreissig sozialkritischen Spielfilmen, schuf mit «Jimmy’s Hall» ein weiteres Werk über Solidarität und Unterdrückung.

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Irland 1932: Jimmy Gralton kommt nach mehr als zehn Jahren Exil aus den USA in sein Heimatdorf zurück. Inmitten der rauen irischen Landschaft stand hier einst die Pearse-Connolly-Hall, ein Tanzsaal: ein Ort der Freiheit und der Inspiration, des Träumens und des gemütlichen Zusammenseins. Mit Jimmys Rückkehr erwacht der Saal von neuem und gibt der jungen Generation Hoffnung auf ein selbstbestimmtes, freies Leben. Das aber gefällt den konservativen Kreisen im Ort ganz und gar nicht.

Der Regisseur Ken Loach und sein Drehbuchautor Paul Laverty, zwei Menschen, die ihre Ideale nie verraten und mit mehr als einem Dutzend gemeinsam realisierten Filmen belegen, überzeugen auch mit «Jimmy’s Hall». Vom Leben eines James Jimmy Gralton, der wirklich gelebt hat, und turbulenten politischen Ereignissen, die sich in den 1930er-Jahre in Irland abgespielt haben, inspiriert, pendelt der Film zwischen Zärtlichkeit und Zorn, schlitzorigem Humor und Altersmilde. Zusammenfassen kann man den Film des Meisterregisseurs, der 2013 in Berlin für sein Lebenswerk mit dem «Goldenen Ehrenbären» ausgezeichnet worden ist, als eine Märtyrer-Geschichte von aufrechten Kommunisten, Macht erhaltenden Klerikern und irischen Nationalfaschisten.

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Ein Tanzsaal als Gemeinschaftszentrum

Eine einfache und eindrückliche Geschichte

Nach einem Prolog mit historischen Dokumentaraufnahmen in Schwarz-weiss kommt Jimmy aus Amerika, wohin er geflohen war, nachdem er als kommunistischer Rädelsführer hätte verhaftet werden sollen, in seinen Geburtsort, jetzt farbig, das frische Grün der Insel und das warme Braun der Innenräume betonend. Zusammen mit Freunden und Nachbarn hatte er früher ein Gemeindezentrum im Sinne sozialistischer Arbeiterbildung ausserhalb des Zugriffs der Kirche aufgebaut: eine Dance-Hall, die dem Singen und Tanzen diente, wo aber auch Mal- und Literaturkurse angeboten wurden, wo man diskutierte und boxte. Für Alt und Jung ein Freiraum, auch für politische Auseinandersetzungen.

Schon bald danach hatten die Jungen im Dorf, auch Oonagh, Jimmys Jugendfreundin und Tochter des Faschistenführers, den Heimkehrer davon überzeugt, dass das Zentrum wieder geöffnet werden muss. Mit vereinten Kräften geschah das denn auch bald. Doch der Erfolg dauerte nur solange, bis der Pfarrer von der Kanzel herunter das unzüchtige Treiben an diesem Ort verurteilte.

Weil die Auseinandersetzung zwischen dem aufrechten und beliebten Kommunisten Jimmy und dem gebildeten, doch der reaktionären Kirche verpflichteten Pater Sheridan im Zentrum des Filmes steht, fühlt man sich an Don Camillo und Beppone erinnert. Hier jedoch ohne deren italienischen Humor und satirischen Karikierungen. Die Dialoge im ganzen Film sind differenziert, doch nicht naturalistisch, die Bilder schön, doch nicht geschönt, die Musik einladend, doch nicht einlullend, die Story bewegt, doch nicht hektisch.

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Jimmy mit seiner Jugendfreundin Oonagh

Wie es zum Film kam

«Jimmy’s Hall» ist eine Geschichte, die im Kino schon oft erzählt wurde, wenn auch nicht genauso wie hier vom Sozialisten Loach. Doch es tut immer wieder gut, sich daran zu erinnern, wie ungerecht die Welt in der Vergangenheit war und immer noch ist. Wenn Jimmy am Ende, diesmal offiziell deportiert, wieder nach New York verreist, dann verweist der Film in die Gegenwart, die auch nicht besser ist, in Irland und vielen Orten der Erde. «Manchmal überfällt einen die Idee für einen Film wie ein Geschenk aus heiterem Himmel», erzählt der Drehbuchautor die Vorgeschichte. Das Projekt «Jimmy’s Hall» sei ihm in den Schoss gefallen, als ein alter Freund plante, auf den Leidensweg der Asylbewerber in Irland, die meist jahrelang inhaftiert und von der Abschiebung bedroht werden, aufmerksam zu machen. Er plante ein Stück, halb Theater, halb Ballett, welches das Schicksal der Asylanten mit jenem von Jimmy Gralton verbindet. Denn dieser war der einzige gebürtige Ire, der ohne Gerichtsverfahren aus seinem eigenen Land ausgewiesen worden war, nachdem man ihn zuvor zum «illegalen Einwanderer» erklärt hatte.

Als Laverty über das Leben von Jimmy Gralton recherchierte, wurde er überwältigt von den sozialen und kulturellen Leistungen der damaligen Dorfbevölkerung, die sich mit der Hall einen Ort geschaffen hatte, in dem man sich, unbehelligt von Kirche und Regierung, begegnen und austauschen konnte. Ein Raum, wo sie sich weiterbilden und auf den Weg machen, die Welt zu verbessern. In einem zunehmend autoritäreren Land, in dem die herrschenden Katholiken die Erziehung im Sinne der heiligen Mutter Kirche als ihre angestammte Domäne verteidigte, waren Jimmy und seine Mitstreiter fest entschlossen, sich eine eigene Zukunft zu bauen.

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Tanzen und Gemeinschaft erleben

«Nachdem ich den Ort des einstigen Tanzsaals gesehen hatte, besuchte ich Jimmys Haus, das jetzt eine Ruine ist und in einem versumpften, von Schilf überwucherten Land liegt. Es fällt nicht schwer, sich das harte Leben in dieser den Elementen ausgesetzten Hütte vorzustellen. Das Schicksal der Bewohner ist in die Landschaft eingeschrieben, und ich stellte mir jene bitterarmen katholischen Grossfamilien vor, die ihr Einkommen durch ihre Arbeit als Helfer bei den Kartoffelernten in Schottland aufstocken mussten. Ich stellte mir vor, wie sich in dieser Misere Jimmys Sinn für soziale Gerechtigkeit schärfte, wozu zweifellos auch seine politisch denkenden Eltern beitrugen. Das Leben von Jimmy Gralton ist bestimmt von grossen historischen Ereignissen, von denen wir durch Zeitungsreportagen wie auch die mündliche Überlieferung Kenntnis erhielten.» So erinnert sich Laverty an die Vorarbeiten zum Film, was beim Film in die Details und Feinheiten des Hintergrundes einfloss. «Frei inspiriert» von der historischen Person des Jimmy Gralton, das liefert die äussere Geschichte. Die innere Geschichte ist erfunden von Ken Loach, dem engagierten Sozialisten, der während seines langen Lebens als Filmemacher viele Innenansichten leidender, aufbegehrender, zorniger und wütender Menschen beschrieben hat.

Regie: Ken Loach, Produktionsjahr: 2014, Länge: 106 min, Verleih: Filmcoopi

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