Kinshasa Symphony

Erfrischend dieser schöne, kleine Film von Martin Baer und Claus Wischmann über das Orchestre «Symphonique Kimbanguiste», berührend in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa die «Neunte» von Beethoven zu hören. Anregend die Tatsache, wie in einem Land, in welchem 90% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, Musik gemacht und gehört wird.

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Mit der Leidenschaft des echten Amateurs

Trailer

«Kaum etwas könnte weiter von der Realität subventionierter klassischer Musik im Westen entfernt sein», meinte Wischmann, als er dieses Orchester zum ersten Mal gesehen hatte. Und Baer, ergänzt: «Für mich liegt der Reiz des Dokumentarfilmes und der Kameraarbeit darin, Menschen dabei zu beobachten, wie sie etwas mit Leidenschaft tun. Und das tun die Musiker des Orchestre: Sie machen Dinge, die wir nie geglaubt hätten. Sie bauen sich ihre Instrumente selbst. Und sie wissen, dass sie nicht alles schaffen können, was sie sich vornehmen. Aber sie haben die Entschlusskraft, sich selbst zu helfen.» – Zu Recht erhielt der Film an der Berlinale 2010 den Publikumspreis.

In völliger Dunkelheit spielen zweihundert Orchestermusiker «Freude schöner Götterfunken», bis ein Stromausfall wenige Takte vor dem letzten Satz sie überrascht. Probleme wie dieses sind noch die kleinste Sorge des einzigen Symphonieorchesters in Zentralafrika. In den fünfzehn Jahren seiner Existenz haben die Musiker zwei Putsche, mehrere Krisen und einen Krieg überlebt. Doch da ist die Konzentration auf die Musik, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. «Kinshasa Symphony» zeigt Menschen in einer der chaotischsten Städte der Welt, die eines der komplexesten Systeme menschlichen Zusammenlebens aufbauen. Ein Film über die Kraft der Musik, ein Film über den Kongo, ein Film über andere Menschen.

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Als Alleinerziehende mit ihrem Jungen bei der Probe

Einer der Musiker ist Albert Matubanza. Er hat vielen Streichern im Orchester die Noten und ihr Instrument erklärt. Dabei ist er selbst Gitarrist und kann weder Geige noch Cello spielen. Gerade baut er an einem neuen Kontrabass für das Ensemble. Andere Handwerker unter den Orchestermitgliedern haben inzwischen eine ganze Kollektion von oft selbst erfundenen und gebauten Werkzeugen, um jede erdenkliche Reparatur eines Instruments durchzuführen. Nebenbei schneidern die Musikerinnen und Musiker ihre Anzüge und Kleider für die Auftritte, beschaffen sie sich die Noten und sorgen während der langen Probenabende für die Aufsicht über ihre Kinder. Die meisten Orchestermitglieder sind Autodidakten und Amateure, also «Liebhaber». Selbst für die Glücklichen, die über eine Berufsausbildung und halbwegs geregelte Arbeit verfügen, ist der Alltag in der Zehn-Millionen-Metropole Kinshasa ein Kampf ums Überleben. Für viele beginnt der Arbeitstag um sechs Uhr morgens, für jene oft noch früher, die sich die Fahrt im Sammeltaxi nicht leisten können und ihren kilometerlangen Arbeitsweg zu Fuss zurücklegen. Trotzdem wird praktisch jeden Tag bis in die Nacht hinein geprobt.

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Festlich in den selbst verfertigten Anzügen

Auch Joséphine Nsimba muss um fünf Uhr aufstehen. Dann fährt sie zum grössten Markt Kinshasas, um Omeletts zu verkaufen. Ihre monatlichen Einnahmen reichen gerade für die Wohnungsmiete. Weil die importierten Eier aus Brasilien und den Niederlanden die Preise kaputt machen, ist es ein schweres Geschäft. Ohne Pause geht es anschliessend zur Probe. Sie gehörte zu Alberts ersten Cello-Schülerinnen. Heute sind die beiden verheiratet. Ihr achtjähriger Sohn Armand ist seit langem krank. Trotz der hohen Kosten entscheiden sich Albert und Joséphine schliesslich für eine Operation. Joseph Masunda Lutete, der Elektriker und Friseur, ist im Orchester für die Bratsche und das Licht zuständig. Wenn bei den Proben wieder einmal der Strom ausfällt, ist er gefragt. Die Querflötistin Nathalie Bahati sucht für sich und ihren Sohn nach einer neuen Wohnung. Kein einfaches Unterfangen in einem Moloch wie Kinshasa und mit nur wenig Geld in der Tasche.

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Der Dirigent auf der Strasse für die Aufführung werbend

Armand Wabasolele Diangienda, der ausgebildete Pilot, ist Gründer und Dirigent des Orchesters. Er ist der Enkel von Simon Kimbangu, eines im Kongo hochverehrten Märtyrers, der gegen die belgischen Kolonialisten kämpfte und eine eigene Kirche gründete. Schon sein Grossvater gab ihm mit auf dem Weg, dass er ein Orchester gründen solle. In den Anfangsjahren teilten sich einige Dutzend Musikbegeisterte die wenigen Instrumente. Damit jeder an die Reihe kam, wurde in mehreren Schichten geprobt. Heute stehen den bei Konzerten des Orchestre Symphonique Kimbanguiste zweihundert Musikerinnen und Musiker auf der Bühne.

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Harte Arbeit da, heiteren Klänge dort

Zum Unabhängigkeitstag der Demokratischen Republik Kongo plant das Orchester ein grosses Open Air. Mehrere tausend Zuschauer werden erwartet, obwohl nur wenige Erfahrungen mit klassischer Musik haben. Auf dem Programm stehen Beethovens «Neunte», «Carmina Burana», Werke von Dvorak und Verdi. Doch Armand Diangienda weiss: Noch klingen die heiklen Musikpassagen nicht sehr überzeugend, und auch der Chor kämpft mit den Tönen und mit der deutschen Sprache. Aber der Tag des Konzerts rückt immer näher…