Das Kongo Tribunal
Adalbert Hurhi, der (inzwischen entlassene) Minenminister der Provinz Süd-Kivu, befragt von Jurymitglied Colette Braeckman
Jean-Paul Sartre und Bertrand Russell veranstalteten 1966 das «Vietnam Tribunal»; analog dazu inszenierte der Schweizer Theatermann Milo Rau 2015 das «Kongo Tribunal». Der Film darüber und ein Buch (im Verbrecher Verlag in Berlin erschienen) dokumentieren die Ereignisse. – Eine traurige Neu-Aktualität des Films liefern die Enthüllungen der «Paradise Papers», die ein Kapitel des Tribunals, die Schürfung von Gold und Coltan im Kongo durch Glencore beleuchten.
Seit über 20 Jahren verwandelt der unüberschaubare Bürgerkrieg im Kongo das Gebiet von der Grösse Westeuropas in eine Hölle auf Erden. Der aufgrund der direkten oder indirekten Verwicklung aller Grossmächte wütende Kongo-Krieg wurde schon als «Dritter Weltkrieg» bezeichnet. Regisseur Milo Rau gelang es, erstmals in der Geschichte dieses Krieges, ein symbolisches Tribunal unter Beteiligung aller Parteien mitten im Bürgerkriegsgebiet abzuhalten. Präsidiert von einem halb kongolesischen, halb internationalen Expertengremium sowie zwei Anwälten des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, wurden in Bukavu die zentralen Konfliktlinien des Kongo-Kriegs anhand von Hearings mit Opfern, Augenzeugen, Milizionären, Politikern, UNO- und NGO-Angehörigen sowie Rohstoffhändlern und lokalen Menschenrechtsaktivisten beleuchtet. Das Massaker im Dorf Mutarule und die gewaltsamen Enteignungen und Zwangsumsiedlungen der Schürfer in Twangiza und Bisié zeichneten ein plastisches Bild der jüngsten Vergangenheit, der blutigen Gegenwart und der Zukunft des Konflikts. Während die Hearings im Ostkongo auf diese konkreten, aber bisher von keinem Gericht verhandelten Fälle fokussierten, standen in Berlin die Verwicklung der EU, der Weltbank, der internationalen Gemeinschaft und der multinationalen Unternehmen im Mittelpunkt, analysiert von den führenden Philosophen, Ökonomen, Politikwissenschaftler, Juristen und Soziologen unserer Zeit.
Anonymer Zeuge (ehemaliger Rebel) im Kongo Tribunal
«Dieser Film ist der letzte Hilfeschrei an die Kongolesen»
Die Hearings in Bukavu und Berlin wurden mit sieben Kameras aufgezeichnet, im Vorfeld des Tribunals führten mehrere Recherchereisen und Drehphasen das Filmteam zu den zentralen Schauplätzen des Konflikts mitten im Bürgerkriegsgebiet, in entlegene Dörfer und offiziell unzugängliche Minen. Wir lernen die Menschen und ihre Geschichten kennen: Opfer und Täter, Regierung und Opposition, Militärs und Rebellen, Menschenrechtsaktivisten, lokale Bergleute und Vertreter multinationaler Konzerne. Der Dokumentarfilm zeichnet mittels eindringlicher Untersuchungen ein unverschleiertes Porträt dieses gewaltigen Wirtschaftskriegs, seiner ökonomischen und politischen Ursachen wie seines konkreten Gesichts vor Ort. Ein Film über einen Konflikt globalen Ausmasses, in dem es nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern um die Frage, was uns der Reichtum der ersten Welt eigentlich wert ist.
Als Milo Rau und sein Team im Juli 2017 den Dokumentarfilm den Protagonistinnen und Protagonisten, den lokalen Machthabern und der Bevölkerung im ostkongolesischen Bürgerkriegsgebiet vorstellten, waren die Reaktionen überwältigend: Tausende Kongolesen waren gekommen, um sich den Film im Rahmen von fünf Aufführungen anzusehen. «Dieser Film ist der letzte Hilfeschrei an die Kongolesen: Erhebt Euch! Worauf wartet ihr!», sagte ein Zuschauer einem der Journalisten. Für den Träger des Alternativen Nobelpreises, Denis Mukwege, Leiter des Pansi-Hospitals in Bukavu, ist es ein Film «von unschätzbarem Wert für unser Land». Gegenüber dem Schweizer Radio SRF erklärte Milo Rau: «Der Film hat eine Unmöglichkeit möglich gemacht. Die Regierung wurde angeklagt, zwei Minister mussten demissionieren. Die Leute haben gesehen: Man kann Dinge ändern!»
Milo Rau anlässlich der Präsentation des Films im Dorf Mushinga, Süd-Kivu, im Juli 2017
Statement des Autors und Regisseurs Milo Rau
«Das Kongo Tribunal» beginnt, fast unvermittelt, mit den Bildern eines Massakers, dessen Zeugen ich und mein Team zufällig während eines Recherchedrehs wurden: des Massakers von Mutarule in der Nähe der Stadt Bukavu, das im Juni 2014 stattfand und dem über 30 Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Es sind wohl die grausamsten und, zu Beginn, unverständlichsten Aufnahmen, die ich je gemacht habe. Denn warum dieses Massaker stattfand, darüber sagen sie nichts. Die gleichsam alttestamentarische Realität der aus 1000 solcher Massaker und Vertreibungen bestehenden ostkongolesischen Katastrophe, die bis heute über 6 Millionen Opfer gefordert hat, erklären sie nicht. Und dies ist der Grund, warum wir das «Kongo Tribunal» durchgeführt haben: Um zu verstehen, warum Mutarule, warum all diese Vertreibungen und Massaker stattgefunden haben und weiter stattfinden und was wir selbst, über unsere Zeugenschaft hinaus, damit zu tun haben.
Wenn ich mich von all den Theater- und Filmprojekten, die ich gemacht habe, für eines entscheiden müsste, dann wäre es «Das Kongo Tribunal». In dem Film sind alle meine Interessen, aber auch alle meine Formate versammelt, die mich in den letzten 15 Jahren umgetrieben haben. Es handelt sich um ein theatrales Tribunal, bei dem aber alles echt ist: vom Minenarbeiter über den Rebellen und zynischen Minister bis zum Anwalt aus Den Haag spielen sämtliche Teilnehmer nichts anderes als sich selbst. Gleichzeitig entsteht in dem Film etwas, was eigentlich dokumentarisch gar nicht darstellbar ist: ein Porträt der Weltwirtschaft, eine sehr konkrete Analyse all der Gründe und Hintergründe, die dazu führen, dass der Bürgerkrieg im Ostkongo seit über 20 Jahren nicht aufhört. Und wer ein Interesse daran hat, dass das auch so bleibt.
Gläubige vor der Kirche von Bukavu, Süd-Kivu
Gerechtigkeit ist möglich
Denn es mag zynisch klingen: Die infernalische Situation, wie sie sich in der Region um die beiden ostkongolesischen Städte Bukavu und Goma präsentiert, ist aus Sicht eines politischen Theater- und Filmemachers eine vielleicht einmalige Konstellation. Denn in dem Konflikt um Gold und Coltan zeigen sich so eindrücklich und exemplarisch wie wohl in keiner anderen Weltregion die menschlichen Kosten des globalen Handels mit Rohstoffen. Internationale Multis, durch Bestechung an ihre Gold- und Coltan-Konzession gekommen, vertreiben die Bevölkerung, und wer nicht von alleine geht, wird durch europäische oder amerikanische Monopolgesetze vom Markt gedrängt. Die entstehenden Konflikte aber werden, unter Aufsicht der UNO-Friedenstruppen, je nach Notwendigkeit von der kongolesischen Armee unterdrückt oder überhaupt erst provoziert.
In allen Produktionsphasen stellte «Das Kongo Tribunal» so ein ungeheuerliches Unternehmen dar. Bis heute verstehe ich nicht ganz, warum der (später entlassene) Minen- und der (ebenfalls entlassene) Innenminister, mehr oder weniger direkt verantwortlich für das Massaker in Mutarule, an dem Tribunal teilnahmen. Wie es möglich war, dieses im Herz des Bürgerkriegsgebiets durchzuführen – vor 1000 Zuschauern, aufgezeichnet von 7 Kameras, an einem Ort, an dem es kaum genug Strom für ein paar Glühbirnen gibt. Und dass schliesslich nicht nur die kongolesische Regierung und ihre Opfer, sondern auch die Armee und Rebellengruppen, die UNO, die NGOs, die Vertreter der Weltbank und damit sämtliche westlichen Industrienationen vor die Schranken unseres Theatertribunals traten.
Mit dem «Kongo Tribunal» versuchen wir, hinter die Fassade des Welthandels zu gucken, der das Massaker in Mutarule und die Schächte der Coltanminen genauso einschliesst wie die Headquarters der UNO oder das europäische Parlament, in dem aktuell gut gemeinte, aber für die kongolesischen Minenarbeiter verheerende Gesetze zur Regulierung des Rohstoffabbaus diskutiert werden. Und bei all den im Film gezeigten Schrecken, bei aller Anklage geht es mir dabei vor allem auch darum, die Hoffnung nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn wenn das «Kongo Tribunal» eines bewiesen hat: Die Wahrheit kann gefunden werden, egal, wie kompliziert die Zusammenhänge sind. Und Gerechtigkeit ist möglich, hier und heute. Wir müssen sie nur herstellen.
Soeben hat der Film den Zürcher Filmpreis 2017 erhalten. Aus der Laudatio: «Der Filmemacher adelt das Kino und macht das, was die Realität nicht kann. Indem er einen gesellschaftspolitischen Konflikt raffiniert und multimedial in Szene setzt, gelingt es ihm, ein sehr komplexes und brisantes Thema aus unterschiedlichen Winkeln zu beleuchten ...»