Left Foot Right Foot

Jugendliche nach der Schulzeit: Lehrpersonen kennen Jugendlichen vor allem als Schülerinnen und Schüler, wohl wissend, dass diese neben der Schule noch ein anderes Leben führen. Ein solches zeigt der Spielfilm «Left Foot Right Foot» von Germinal Roaux. Am Beispiel von drei Menschen um Zwanzig werden uns Schwierigkeiten heutiger Jugendlicher vor Augen geführt.

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Die 19-jährige Marie, vom schnellen Geld angezogen, driftet ohne es richtig zu merken, in die Gelegenheitsprostitution ab. Der 21-jährige Vincent, ein unbekümmerter Skater, surft durch den Tag, schuldet überall Geld und will nicht erwachsen werden. Zusammen leben sie am Rande von Lausanne, sind gefangen in einer Gesellschaft, in der vor allem Geld, Oberflächlichkeit und Coolness zählen. Sein autistischer Bruder Mika bringt ihre Beziehung durcheinander und versucht, soweit er es kann, mit beiden zu kommunizieren.

Vincent ist kein Aussteiger, will bloss nicht einsteigen, den Job erlebt er als dumpfe Maloche. Seine Freundin Marie liebt er, weil er so wenigstens jemanden hat, die ihn die Einsamkeit etwas vergessen lässt. Nur für seinen Bruder macht er alles. Marie versucht ansatzweise einen Ausweg aus dem Milieu, in dem sie verstrickt ist. Doch statt miteinander zu sprechen, bleiben sie beide stumm und treten, was der Filmtitel andeutet, von einem Fuss auf den andern.

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Einblicke in eine (vielleicht) fremde Welt

«Left Foot Right Foot» schildert, inmitten eines genau beschriebenen Schweizer Milieus eine Innenschau junger Menschen. Zu ihrer persönlichen Unsicherheit an der Schwelle zur Adoleszenz kommen ständige Geldnot, kaputte Familien und eine omnipräsente Unterhaltungsindustrie. Marie muss einsehen, wohin sie auch schaut, dass sie eine Versagerin ist, auch ihre Berufskollegin verstärkt ihr das Gefühl, Aussenseiterin zu sein. Vinc vertreibt weiter seine Zeit mit den Kumpels, bringt nur wenig ein in die Beziehung mit Marie. Ähnlich lebt auch seine Mutter am sozialen Abgrund. Mit den beiden Jungen geht es bergab, wenn eine Lösung auch nicht unmöglich ist. Der Film bleibt offen.

Germinal Roaux seziert in diesem brillant gedrehten Schwarzweiss-Spielfilm eine soziale Misere. Ihm ist aufgefallen, dass Jugendarbeitslosigkeit nicht nur den Geldbeutel des Staates belastet, sondern auch die soziale Tragfähigkeit der Gesellschaft. Die vorgeführten Protagonisten sind fast noch Kinder, haben erst vor wenigen Jahren die Schule verlassen und leben heute randständig an einem Ort, der gar nicht so weit weg ist von Spanien, wo Vincents Mutter herkommt und wo die Jugend zu 60 % arbeitslos ist. Vor solchem Elend kann der Regisseur seine Augen nicht verschliessen. Wenn er die Geschichte auch am Rande des Klischees wiedergibt, entscheidend ist, wie er sie, auf verschiedenen Ebenen und mit vieldeutigen Anspielungen, erzählt: Sie geht unter die Haut und bietet gleichzeitig Aufklärung. Ist die Analyse auch erbarmungslos, der Film als Ganzes ist anteilnehmend und berührend.

Regie: Germinal Roaux            Produktionsjahr: 2013             Länge: 105 min                 Verleih: Filmcoopi