Na putu - Zwischen uns das Paradies

Nach dem Spielfilm «Grbavica» im Jahre 2006 drehte Jasmila Žbanić 2010 ihren ebenso wichtigen neuen «Na putu – Zwischen uns das Paradies».

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Damit nimmt die 1974 in Sarajevo geborene Regisseurin in der Region Bosnien-Herzegowina den Puls ihrer gesellschaftlichen Befindlichkeit. Mit einer berührenden Liebesgeschichte schildert sie gleichzeitig die Geschichte eines Landes, das sich nach dem blutigen Krieg zu erholen beginnt, doch gleichzeitig bereits wieder in einen Glaubenskrieg zu versinken droht.

Luna und Amar sind ein verliebtes Paar. Sie haben begehrte Jobs und geniessen das Leben im pulsierenden Alltag von Sarajevo. Sie ist als Flight Attendant viel in der Luft, und er verliert manchmal an Boden, wenn er ein Glas zu viel hebt. Als man ihn im Tower des Flughafens mit Schnaps im Kaffee erwischt, wird er suspendiert. Bei einem Ausflug mit Freunden trifft er einen alten Bekannten, findet er bei ihm eine Anstellung in der religiösen Gruppierung der Wahhabiten, einer konservativ dogmatischen Richtung des sunnitischen Islams. Dieser schliesst er sich an, verändert sich und entfremdet sich von der lebensfrohen Luna.

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Eine Liebesgeschichte mit politisch religiösem Hintergrund

In der Eingangsszene von «Na putu» betrachtet sich Luna von allen Seiten mit ihrem Handy. Im Grunde dauert diese Selbstbefragung die ganze Länge des Films. Sie sucht in der sich wandelnden Umwelt ihre Identität: Wie weit kann ich auf Amar eingehen und seine neue Welt annehmen, ohne mich selbst aufzugeben? Im selben Sinn befragt der Film die Menschen in Bosnien: Wohin steuert das Land? Erhält es eine gemeinsame Zukunft oder spaltet es sich in zwei Gruppen, eine diesseitig orientierte, liberale, säkulare, weltoffene und eine jenseitig orientiert, konservative, fundamentalistische und nationalistische?

Jasmila Žbanićs erster in der Schweiz gezeigte Film erzählt die Geschichte einer Tochter in Sarajevo, die glaubt, das Kind eines Kriegshelden zu sein und erfahren musst, dass sie das Kind einer Vergewaltigung im Krieg ist. Der neue Film wächst aus dem ersten heraus, blickt nach vorne in eine ungewisse Zukunft – was Angst auslöst angesichts ähnlicher Entwicklungen in verwandter Religionsgemeinschaften, etwa jener der orthodoxen Juden, der radikalen Islamisten oder der fundamentalistischen Christen.

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Wie ist es für die beiden jungen Menschen hier und jetzt möglich, ein ganz gewöhnliches Leben zu führen, eine unbeschwerte Liebesbeziehung zu leben? Die Regisseurin gibt auf diese Frage keine Antwort, führt uns jedoch vor Augen, dass die Vergangenheit des Bruderkrieges durch alle Ritzen der Jetztzeit herein bläst und dass sich bereits wieder eine neue nationalistische, radikale und fundamentalistische Stimmung anbahnt, die nichts Gutes erwarten lassen. Der Fokus auch dieses Films liegt auf der Frau, auf Luna. Dass die beiden anfänglich unbedingt kein Kind haben möchten, doch schliesslich, als es medizinisch möglich wird, nicht mehr wollen, steht symbolisch dafür, dass es für die beiden und schliesslich die Gesellschaft kein Miteinander mehr gibt. Am Schluss des Filmes gehen sie getrennte Wege, so wie sich die Volksgruppen zu trennen scheinen, die Schichten sich separieren – vergleichbar der aktuellen Situation im Iran, in Israel oder Afghanistan.

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Durch ihr Ausleuchten der gesellschaftlichen Hintergründe, verkörpert in der Liebesgeschichte, von der Vergangenheit des Krieges in die Gegenwart der heutigen Ideologien, geht der Film über das Individuelle von Luna und Amer und das Lokale von Ex Jugoslawien hinaus. Er wird eine allgemeinmenschliche Parabel, ist für die ganze Welt gültig. Denn oft sind es die gleichen Gründe, die Leid und Krieg verursachen: die Idee, mit Krieg Probleme lösen zu können, obwohl damit nur immer neue geschaffen werden, und die Idee der monotheistischen Religionen, dass jeweils nur ihr Gott der einzig wahre ist und jener andere bekämpft werden muss.

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Zrinka Cvitešić, die Darstellerin von Luna, zu ihrer Rolle und zum Film

«Ich hoffe, das Publikum erkennt in Luna sowohl die Stärke einer Frau als auch ihre Zerbrechlichkeit. Die verletzliche und schwache, aber auch die starke und kraftvolle Luna. Sie ist gleichzeitig Frau und Kind. Sie kämpft um den Mann, den sie liebt, steht gleichzeitig aber auch zu sich selbst. Ich glaube, dass das Leben und die Menschen nie schwarz oder weiss sind. Luna war eine endlose Quelle von Schattierungen, nie nur schwarz, nie nur weiss. So fand ich Luna in mir selbst, und Luna fand sich in mir.»

«Luna und Amer haben beide den Horror des Krieges erlebt, der Narben hinterlässt, aber auch starke Gefühle, was zu einer besonderen Bindung und einer speziellen Art der Liebe zwischen ihnen führt. Am liebsten wäre mir, dass die Menschen diese Liebe in „Na putu“ erkennen – die Liebe, die uns alle bestimmt, die uns tun lässt, was wir der Liebe wegen zu tun bereit sind. Die Leute sollen sich erinnern, dass wir für die Liebe kämpfen sollten. Bis zu unsrem letzen Atemzug. Aber dass wir uns bis zu diesem letzten Atemzug treu bleiben sollten. Wer mit sich selbst nicht in Frieden ist und in sich ruht, kann kein Glück mit anderen finden.»

www.trigon-film.org