Pandora’s Box
Ihre drei erwachsenen Kinder reisen aus Istanbul an, um die vermisste Mutter in den Bergen zu suchen und in die Stadt mitzunehmen, wo klar wird, dass sie an Alzheimer erkrankt ist und mehr Betreuung braucht, als sie meinten. Nicht nur das Leben mit der Kranken wird zur Herausforderung, sondern auch ihre familiären Beziehungen.
Der stille und bewegende Spielfilm der türkischen Regisseurin Yesim Ustaoglu beginnt mit wunderschönen Landschaften, begleitet von Hundegebell, Hühnergegacker und Kuhglockenklängen, spielt dann in der Grossstadt und schwenkt am Schluss nochmals aufs Land zurück. Er handelt von der dementen Nusret – grossartig gespielt von Tsilla Chelton –, doch tiefer von unserer aller Krankheit: die Abkapselung durch Anpassung, die Isolierung durch Egoismus, die nur durch gute zwischenmenschliche Beziehungen zu heilen ist. Die Beton-Bilder, die kalt Grenzen setzen, wechseln mit Wasser-Bildern, die sanft Verbindungen schaffen. «Der Idealismus wird schleichend ersetzt durch Konformismus», meint die Regisseurin. Und so sind es am Schluss auch nicht die angepassten Töchter, die sich bis zur Selbstaufgabe um die Mutter kümmern, welche ihr näher kommen, sondern der Enkel, der ausgegrenzt und nonkonformistisch wie sie in einer anderen Welt lebt.
Um das Leben in verschiedenen Welten – Alzheimer als Beispiel und Symbol – und den Schwierigkeiten, sich über Grenzen hinweg näher zu kommen, geht es diesem poetischen Film: Wie Güzin ihre Beziehung beendet, Faruk zu Nesrin zurück kommt, Murat sich mit der Grossmutter einlässt, sich beide aneinander schmiegen, er sie am Ufer ausführt und schliesslich wegziehen lässt. «Lass mich zu meinem Berg gehen. Sonst vergesse ich auch die noch», meint sie und geht ihren Weg in ihre Freiheit. Wo lebe ich? Wer bin ich? Was soll ich? So etwa scheint sie sich zu fragen, wenn sie wie abwesend in eine andere Welt schaut. Für sich, für die andern und für uns stellt sie diese Fragen, wodurch der Film allgemein gültig wird.
Was bedeutet der Titel «Pandora’s Box»? Der Link auf Wedekinds gleichnamiges Theater führt nicht weiter. Doch vielleicht die griechische Mythologie? Ursprünglich soll Pandora als Göttin der Erde den Menschen nämlich nicht nur Übel, sondern auch Gaben, alles zum Leben Notwendige, geschenkt haben. Die demente Nusren hilft also, wie Pandora im Götterhimmel, ihrer Familie auf der Erde, zum Wesentlichen: zu neuen Beziehungen, die Not wenden, die Sinn stiften.
www.trigon-film.org. Kinofilm und DVD