Rams

Parabel vom Überleben: In einem isländischen Tal müssen sich zwei Brüder, die nicht mehr miteinander reden, versöhnen, um zu retten, was ihnen am liebsten ist: ihre Schafe. Im eindrücklichen Spielfilm «Rams».
Rams

Die Böcke vor der Prämierung

Gummi und Kiddi leben als Nachbarn in einem einsamen Tal auf Island, wo sie sich um ihre Schafe kümmern. Ihr Bestand gilt als einer der besten des Landes, und die beiden Brüder werden immer wieder für ihre Schafböcke ausgezeichnet. Obwohl sie Land und Leben teilen, haben die beiden seit vier Jahrzehnten nicht mehr miteinander gesprochen. Als Kiddis Schafe von einer tödlichen Seuche befallen werden, beunruhigt dies das ganze Tal, denn die Behörden beschliessen, alle Tiere der Region zu töten, um den Ausbruch der Seuche einzudämmen. Für die Bauern, deren Einkommen und Emotionen damit getroffen werden, kommt dies einem Todesurteil gleich. Viele von ihnen verlassen ihr Land. Gummi und Kiddi aber weigern sich. Jeder versucht, das Unheil auf seine Weise abzuwenden: Kiddi, indem er sein Gewehr, Gummi, indem er seine Schläue einsetzt. Als die Behörden ihnen aber dennoch auf die Schliche kommen, müssen sich die Brüder, wohl oder übel, zusammentun, um ihre Zucht und sich selbst vor dem Untergang zu retten.

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Kiddi und Gummi (v. l.), erst in der Not gemeinsam

Interview mit Grímur Hakonarson, dem Regisseur von «Rams» (Hrútar)

Wie kamen Sie darauf, die Geschichte zweier zerstrittener Brüder und ihrer Schafe zu erzählen?

Mein Film basiert zum Grossteil auf eigenen Erfahrungen mit den ländlichen Bewohnern und der ländlichen Kultur Islands. Meine Eltern sind auf dem Land aufgewachsen, und auch ich wurde, bis ich siebzehn war, im Sommer meistens zum Leben und Arbeiten dorthin geschickt. Dadurch habe ich ein gewisses Gespür für die Geschichten, die Charaktere – und auch die Bildsprache dieser ländlichen Regionen Islands entwickelt. Ich hatte immer einen Hang zu ländlichen Geschichten, «Rams» ist nicht der erste Film, den ich in dieser Umgebung gedreht habe.

Mein Vater arbeitete für das Landwirtschaftsministerium, was mir Einblick verschaffte, wie die Verwaltung rund um das Agrarwesen funktioniert. Eine der härtesten Entscheidungen, die mein Vater in seinem Berufsleben treffen musste, betraf die Frage, ob beim Ausbruch einer Seuche ein Viehbestand geschlachtet werden muss oder nicht.

Bis ins späte zwanzigsten Jahrhundert war die Schafzucht im Norden Islands und in anderen ländlichen Gegenden der Insel zentraler Bestandteil des Broterwerbs und der Kultur der Menschen. Deshalb war und ist das Islandschaf vielen Menschen dort immer noch heilig: Es steht für ihren Stolz und die Lebensweise der Alteingesessenen. Jahrhunderte lang spielten die Schafe für das Überleben eine zentrale Rolle.

In Bardardalur, wo wir «Rams» gedreht haben, ist die Schafzucht die Haupteinnahmequelle. Irgendwie war die Beziehung zwischen Mensch und Schaf immer besonders eng, und dieses Phänomen weckte mein Interesse und meine Neugier.

Diese Welt wollte ich in meinem Film darstellen: Menschen, die allein mit ihren Schafen leben und zu ihren Tieren eine starke emotionale Beziehung aufbauen. In der modernen Gesellschaft ist so etwas selten geworden, Menschen wie Gummi und Kiddi wird es bald nicht mehr geben. Ich finde, das ist eine Schande. Bis zu einem gewissen Punkt mag ich Verschrobenheit und Eigentümlichkeit, und ich wünschte, auch in der modernen Gesellschaft würden diese Eigenschaften weiterleben.

Ihre Protagonisten sind Schafzüchter, Nachbarn und Brüder, doch haben sie seit vierzig Jahren nicht miteinander gesprochen.

In Island sind Nachbarschaftskonflikte auf dem Land weit verbreitet. Ich selbst kenne viele Fälle, in denen sich Nachbarn plötzlich verkracht und danach Jahrzehnte lang kein Wort mehr miteinander gewechselt haben. Oft vergessen sie sogar den ursprünglichen Grund für ihre Feindschaft. Isländer sind sture und eigensinnige Menschen, die auf ihren eigenen Füssen stehen wollen und allem, was von aussen kommt, misstrauen. Sie haben einen Hang zu unabhängigem Denken, das manchmal jeder Logik entbehrt. Wenn man in einer abgelegenen Gegend und in einer kleinen Gemeinde lebt und mit seinem nächsten Nachbarn nicht reden kann, dann ist das ein tragischer Zustand. Gleichzeitig finde ich diese Situation ziemlich komisch. Die beiden Brüder können nur zu ihren Tieren sprechen. Sie sind zu stolz, um einzulenken. Das ist ein guter Ausgangspunkt für einen tragikomischen Film oder ein mit trockenem isländischem Humor versetztes Drama. Es ist genau die Art von Geschichte, die mir persönlich liegt.

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Zu Zweit auf der Flucht in die Berge

Ein Entscheid und seine tragischen Folgen

«Rams» ist ein Film, in dem Schafe und Schafböcke die Hauptrollen spielen, zu ihnen gesellen sich die zwei Brüder Gummi und Kiddi, die lediglich bei den regionalen Schafzüchterwettbewerben gegeneinander antreten und für dringende Mitteilungen ihren Hofhund zum Überbringen eines Zettels schicken. Als Gummi seinen eifersüchtigen Blick über Kiddis Siegerschaf streifen lässt, entdeckt er bei ihm Anzeichen der tödlichen Traberkrankheit. Nachdem die Behörden davon erfahren haben, müssen alle Tiere des Tales abgetan werden, was für die Bevölkerung ein Desaster bedeutet. Wütend, traurig und resigniert schickt sie sich in ihr Schicksal. Nur die beiden Böcke Gummi und Kiddi weigern sich. Sie versuchen, ihre Schafe zu retten. Doch als sie entlarvt werden, gibt es keinen Ausweg mehr als Einzelne, sondern nur noch als Team.

Damit kippt die Geschichte. Jetzt wird sie dicht und dichter, wird ein Thriller. Einerseits berühren einen die Räume durchdringende Einsamkeit, in der die Menschen leben, gleichzeitig aber auch die Zärtlichkeit, welche Menschen, meist Junggesellen, und Tiere miteinander verbinden. Entstanden ist so ein Sittengemälde, in getragenem Rhythmus (Schnitt Kristján Loðmfjörð) und mit wenigen, Stimmung schaffenden Klängen (Musik Atli Örvarsson).

Die Handlung, die im Schlussteil nur noch von den beiden Brüdern getragen wird, grossartig gespielt von Siguroður Sigurjónsson und Theodór Júliusson, erinnert gelegentlich an Stücke von Beckett, Erzählungen von Kafka oder griechische Tragödien und spielt sich ab in einer weiten, mächtigen, unwirtlichen Natur. Grímur Hakonarson, der Regisseur, reduziert sie bis zur Abstraktion, lässt alles Nebensächliche und Zufällige weg und verdichtet sie zu einer Parabel vom Überleben, umgesetzt in grandiosen Tableaus des schwedischen Kameramanns Sturla Bandth Grøvlen: mit Landschaften, die einen zittern und frieren lassen, und Fensterbildern, durch die wir in diese Landschaften hinausschauen.

«Rams» wurde zum Wettbewerb «Un certain regard» nach Cannes eingeladen und am Zürich Film Festival 2015 als bester internationaler Spielfilm ausgezeichnet.

Regie: Grímur Hakonarson, Produktion: 2015, Länge: 93 min, Verleih: Xenixfilm