Saint Ralph

Motivation ist alles

Der kleine kanadische Independentfilm «Saint Ralph», Regie-Erstling von Michael McGowan, erzählt schnörkellos und gradlinig, ehrlich und optimistisch eine Internatsgeschichte aus den fünfziger Jahren. Gleichzeitig ist es die Story eines Jungen, der sein Ziel sehr hoch steckt und es auch erreicht.

Der vierzehnjährige, seit Jahren vaterlose Ralph Walker kämpft permanent gegen Regeln und Gebote des streng katholischen Internats, in dem er als Einzelgänger lebt und zur Schule geht. Die neueste seiner oft etwas seltsamen Unternehmungen ist seine ernsthafte Vorbereitung auf den Bostoner Marathon. Ein Sieg, so glaubt er naiv und inbrünstig, wäre genau das Wunder, das es braucht, um seine Mutter, die im Koma liegt, ins Leben zurückzuholen.

So viel Blasphemie bringt das Schuloberhaupt Pater Fitzpatrick zur Weissglut. Wunder seien allein Sache Gottes, meint er. In der Saint-Magnus-Schule gilt Individualismus als Sünde. Doch Ralphs Rebellion macht ihn selbst stark, gibt ihm die Energie, die er für die Verwirklichung seines Traumes braucht. Ein Mitbruder des Obern, der etwas «aussenseiterische» Pater Hibbert, der im Unterricht Nietzsche zitiert, nimmt den Jungen ernst, unterstützt ihn in seinem Plan und wird sein Coach. Dass die nette, zärtlich angebetete Krankenschwester Alice für den Jungen fiebert, gibt ihm den letzten Kick.

Energie für den Jungen, Motor für die Welt

Wie der Junge sein Ziel angeht, all seine Kräfte dafür einsetzt und nicht aufgibt – das fasziniert, regt an zum Nachdenken über den Sinn eines solchen Tuns, das «realistisch» gesehen unsinnig erscheint. Doch seine Betroffenheit – ausgelöst durch das Schicksal der Mutter, die Anteilnahme des Lehrers und die Liebe von Alice – lässt Ralph über sich hinauswachsen. «Soyez réalistes, demandez l»impossible», stand an einer Mauer der Sorbonne im Mai 1968 als Symbol eines ähnlichen «élan vital» (Henri Bergson), wie ihn der Protagonist verkörpert. Oft verwenden wir den Satz «Der Weg ist das Ziel» etwas gar leichtfertig. Dieser Film macht bewusst und erfahrbar, was er in seiner Tiefe bedeuten kann. Ralph wird nicht erster, sondern wird bloss zweiter. Doch das Wunder geschieht dennoch. Die Mutter erwacht aus ihrem Koma.

Etwas vom Atem des «Prinzip Hoffnung» (Ernst Bloch) schwebt über dem Film. Aus dem Akt des Hoffens wird ein Prinzip: für Ralph der Grund der Motivation zu seiner übermenschlichen Tat, für Lehrpersonen ein Rettungsanker vor dem Zweifel, der sich nur allzu oft einschleichen möchte.