Smoke Sauna Sisterhood

Frauenleben: In Estland treffen sich Frauen häufig in der Sauna, wo sie im schützenden Dunkel von ihren Liebschaften und Ängsten, ihrer Selbstliebe und der Gewalt der Männer erzählen. Im Dokumentarfilm «Smoke Sauna Sisterhood» zeigt Anna Hints faszinierende und intime Frauenbilder mit allgemeingültiger Bedeutung. Ab 11. 1. 2024 im Kino
Smoke Sauna Sisterhood

Erfahrungen mit dem Wasser

Anstelle konventioneller Frauenklischees

Untersuchen wir im Mainstreamkino die Frauenbilder, werden wir verblüfft sein: Welche Rollen haben dabei die Frauen? Wo werden Frauen erfolgreich, wo sympathisch gezeigt? Was sehen wir von ihrem gesellschaftlichen Leben? Wie viel erfahren wir von ihrem Privatleben? Welches sind die Motive ihres Verhaltens? Welche Vergangenheit bestimmt ihre Gegenwart? Wie viel erfahren wir über ihre Eltern, Partner, Freundinnen und Freunde? Welche früheren Verletzungen sind an den aktuellen Wunden noch abzulesen?

Doch davon gibt es wenig zu sehen und zu hören. Vielleicht ein paar zufällige Pinselstriche oder flüchtige Notizen. Mehr nicht. Am ehesten noch die üblichen durch die Medien weltumspannend verbreiteten Klischees. Kaum einmal wird etwas Neues sichtbar oder hörbar, was bei uns Zuschauenden die alten Frauenbilder vielleicht aufweichen könnte.

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Abgeschieden vom Alltag

Persönliche und innovative Frauenbilder

Anders verhält es sich bei den Bildern und Tönen, Worten und Klängen, Körpern und Räumen weiblicher Lebenswelten im Film «Smoke Sauna Sisterhood» der Estländerin Anna Hints, einer humorvollen und quicklebendigen Sängerin, Musikerin und Cineastin, der ich bei der ZFF-Premiere ihres Films begegnete.

Hier ist keine Geschichte zu beschämend, keine Belastung zu schwer, dass sie nicht in einer «Schwesternschaft» geteilt und damit erträglicher gemacht werden könnte. Sauna ist eine tief in der estnischen Kultur verankerte Tradition und geht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Davon gibt es mehrere Arten, eine aussergewöhnliche ist die mit «Rauch», laut Schätzungen etwa 3000 an der Zahl. Sie gelten alle als spirituelle Orte, wo Seele und Körper gereinigt und geheilt werden. Im Gegensatz zur regulären Sauna hat die Rauchsauna keinen Schornstein. Bei ihr zirkuliert der Rauch eine Weile in der Schwitzhütte und wird erst wenn die Steine heiss genug sind, nach draussen geleitet und dann Wasser auf die heissen Steine gegossen, was Dampf erzeugt.

In einer solchen Sauna im südwestlichen Teil Estlands hat die 1982 geborene Filmemacherin Anna Hints ihren ersten, mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm gedreht und bietet damit einen berührenden und anregenden Einblick in die einzigartige Saunakultur und in die weibliche Lebenswelt, von der vor allem die Männer so wenig wissen. Hints begleitete die Frauen während des Drehens und hörte und schaute ihnen zu. Nebst den Kleidern fallen dabei auch die Tabus: In der schützenden Rauchsauna mischen sich Geschichten von Geburtsschmerzen, Missbrauch, erster Liebe und sexueller Lust mit Gelächter und ausgelassenen Momenten, während die sinnliche, aber niemals voyeuristische Kamera ihre nackten Körper durch den Dampf in ästhetisch schönen Bildern festhält. Manchmal singen sie zusammen oder vertreibt eine die bösen Geister der andern, Beschwörungsformel murmelnd, mit einem Laubbündel.

Von den 25 Frauen, die im Film vorkommen, wollten viele ihr Gesicht nicht zeigen. Häufig ist nur ein Fuss, eine Hand, ein Schenkel oder ein Bauch in Nahaufnahme zu sehen. Der Film erinnert in seiner Optik an barocke Gemälde und macht die mystische und heilende Wirkung des Rituals spürbar. Oft ist nicht auszumachen, welche der Frauen gerade eine Anekdote erzählt, denn der Film bietet über alle Körperformen und Geschichten hinweg eine Art generellen Rundblick über vielfältige weibliche Lebensrealitäten, mit einfühlsamen Aufnahmen (Kamera Ants Tammik), leiser Musik (Eeter, Edvard Egilsson) und einem abwechslungsreichen Einbezug der Umgebung.

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Abkühlen in der Natur

Drei Fragen an die Regisseurin Anna Hints
(von Stefanie Rusterholz von trigon-film gestellt)

Wie sind Sie auf die Idee zu «Smoke Sauna Sisterhood» gekommen?

Die Idee des Films liegt sozusagen in meinen Wurzeln. In gewisser Weise konnte ich nicht vor dem Film flüchten. Ich bin im Südwesten von Estland aufgewachsen, und auch meine Vorfahren kommen aus dieser Region. Dort ist die Rauchsauna tief in der Kultur verankert und gewissermassen ein heiliger Ort. In meinem Fall hat mich meine Grossmutter in diese Kultur eingeführt.

Ein eindrückliches Erlebnis hatte ich mit elf Jahren. Mein Grossvater war gestorben, und alle Frauen in der Familie gingen vor der Beerdigung in die Rauchsauna. Sie reinigten Körper und Seele, wie bei allen wichtigen Ereignissen. In der Sauna erzählte die Grossmutter, dass ihr Mann sie über Jahre betrogen hatte. All ihren Schmerz, ihre Wut und ihren Frust konnte sie zum ersten Mal rauslassen, und wir alle haben ihr still zugehört. Nach der Sauna war sie mit sich im reinen und konnte ihren Mann ohne Groll beerdigen. Damals habe ich das erste Mal verstanden, dass die Sauna eine Art geschützter Raum für Frauen ist, wo sie sich öffnen können und ihnen zugehört wird. Es ist ein Ort der Ermächtigung und der Heilung. Genau dies möchte ich mit meinem Film erreichen. Ich nehme die Zuschauenden mit in den dunklen Raum der Sauna und vermittle ihnen die gleiche individuelle und immersive Erfahrung.

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Eiswasser als Kontrast

Wie haben Sie die Frauen für den Film gefunden?

Zuerst habe ich mit Frauen meines Freundeskreises in den Rauchsaunas, die ich persönlich besuche, gedreht. Insgesamt habe ich am Film während sieben Jahren immer wieder gedreht. Irgendwann haben mich auch fremde Frauen kontaktiert, weil sie gehört hatten, dass ich darüber einen Film drehte, und sie mitmachen wollten.

Ich arbeitete intuitiv und wusste zum Teil nicht, welche Geschichten die Frauen erzählen werden, spürte aber, wann sie sich wohl fühlten und sich öffnen wollten. Beim Dreh hatte ich die Regel, dass wir nie vorher abmachten, über welche Themen wir in der Sauna sprechen. So hatten wir Saunasitzungen, die mehr als acht Stunden dauerten. Oft braucht es Zeit, bis sich Körper und Seele öffnen. Jede Aufnahme dauerte genau so lange, wie es brauchte, bis eine Geschichte an die Oberfläche kam. Denn der Film ist komplex, einerseits mit den persönlichen Geschichten, anderseits mit seiner Nacktheit. Im Film «Smoke Sauna Sisterhood» geht es um kostbare Erfahrungen, erweckt und veröffentlicht mit weiblicher Solidarität.

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Stillen als eine weibliche Urerfahrung

Der Film hat eine eindrückliche Bildgestaltung. Wie haben Sie das visuelle Konzept erarbeitet?

Wie filmen wir nackte Menschen? Wie stellen wir sicher, dass die Körper nicht sexualisiert werden? Das war unsere Herausforderung. Denn in den Medien werden Frauenkörper oft als Objekte der Begierde dargestellt. Wie kann ich den Zuschauenden zeigen, dass Körper auch anders abgebildet werden können? Nacktheit ist in der Sauna natürlich und hat nichts mit Sex zu tun. Dies wollte ich im Film authentisch rüberbringen.

Mein Kameramann und ich haben lange daran getüftelt. Wir haben an meinem Körper ausprobiert, was funktioniert, was nicht, um den richtigen Stil zu finden. Uns war wichtig, dass wir nicht den üblichen männlichen Blick reproduzierten. Eine Kamera ist niemals objektiv, hat immer einen subjektiven Blick. Wir haben also an meinem nackten Körper gedreht und dann die Bilder angeschaut. Sobald mich die Bilder überzeugten und ich mich wohl fühlte, wusste ich, dass wir das richtige visuelle Konzept gefunden hatten. Ich habe den Protagonistinnen vor den Drehs frühere Aufnahmen gezeigt und erklärt, wie wir die Körper hier filmen.

Persönliche Einladung

Was und wie die Frauen aus ihrem Leben erzählen, wirkt für mich rundum authentisch und bringt mir Spannendes und Neues über das Frausein zutage, was das Mainstreamkino nur selten leistet. Erst ein Arthouse-Film wie «Smoke Sauna Sisterhood» von Anna Hints bringt uns solch einfühlsame und tiefschürfende, dennoch heitere und lustige Frauenbilder – zum Sinnieren und Nachdenken über das Frausein und schliesslich, indirekt, auch das Mannsein.

 

Regie: Anna Hints, Produktion: 2023, Länge: 89 min, Verleih: trigon-film