Watermark

Eine Metaphysik des Wassers: Der Dokumentarfilm «Watermark» von Edward Burtynsky zeigt, wie das Wasser den Menschen und der Mensch das Wasser verändert. Ein Opus Magnum des grossen Fotografen.

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Wasserbilder wie von Künstlerhand

Als Grundlage jeden Lebens hat Wasser seit jeher eine starke Anziehungskraft auf Menschen, dient es allen Lebewesen als Nahrung, vielen Tieren als Lebensraum, der Wirtschaft als Energieerzeuger – und weckt Sehnsucht nach einem Sinn hinter allem, nach Metaphysik. Wasser kann aber auch aus menschlichem Verschulden oder als Schicksalsschlag Unheil und Tod verbreiten. Wasser hat unserem Planeten Gestalt verliehen, unser Umgang damit verändert das Gesicht der Erde.

Der Dokumentarfilm «Watermark» erzählt in 20 Geschichten aus 10 Ländern rund um den Erdball von der Lebensnotwendigkeit und Schönheit des Elements Wasser. Die Grossartigkeit der Landschaftsaufnahmen und die Intimität der Menschenaufnahmen fordern heraus. Wie andere bedeutende Werke begeistert und erschüttert der Filmessay, kann er kathartisch wirken.

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Jahrhunderte-alte Reisfelder in der Provinz Yunan in China

Edward Burtynskys Opus Magnum

«Watermark» ist das zweite Gemeinschaftswerk der prämierten Regisseurin Jennifer Baichwal und des berühmten Fotografen Edward Burtynsky, der diesmal die Ko-Regie übernommen hat. In der Schweiz wurde er 2006 mit dem Film «Manufactured Landscapes» bekannt, international mit grossen Fotoausstellungen berühmt: 2003 mit «Before the Flood», 2003 bis 2005 mit «Manufactured Landscapes», 2005 bis 2008 mit «China», 2009 mit «Oil» und 2013 mit «Water».

Burtynsky, 1955 in Ontario geboren, gilt als herausragender Künstler Kanadas und international als renommierter Fotograf. Formal ist er bekannt für seine hochauflösenden Fotografien, mit denen er inhaltlich die Folgen menschlichen Wirkens auf die Natur dokumentiert und den Übergang von Industrie und Natur analysiert. Mit «Watermark» schliesst er seine fünfjährige Beschäftigung mit dem Thema «Wasser» ab, die zusätzlich den Bildband «Burtynsky: Water» (Steidl Verlag) hervorbrachte, und ergänzte damit seinen Dokumentarfilm «Manifactured Landscapes».

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35 Millionen Menschen im Ganges

Ausschnitte aus dem Monumentalwerk

In der Einleitungssequenz von «Watermark» schiessen gigantische Wassermassen mit Wucht aus einem Staudamm, die klar machen, welche Gewalten am Werk sind. Dennoch, oder gerade deswegen, ist dieses Wasser am Xiaolangdi-Staudamm, der den Gelben Fluss in der chinesischen Provinz Henan staut und zum Teil abgelassen wird, eine Touristenattraktion. Während hier Wasser in verschwenderischer Fülle vorhanden ist, bietet in Südamerika das ausgetrocknete Flussdelta des einst mächtigen Colorado in der nächsten Sequenz des Films ein trauriges Gegenbild. Aus der Luft betrachtet meint man, dass das Wasser in Mexiko in die Karibik führt. Doch Kilometer vor dem Meer versiegt es, der Rest des Flusslaufes ist tot. Eine alte Indianerin erzählt dazu vom Fischreichtum, den sie in ihrer Jugend einst am Colorado erlebt hatte.

Welchen Preis es haben kann, Wasser umzuleiten, weiss man in Kalifornien. Als 1913 der Owen’s Lake und der Owen’s River in einem Aquädukt nach Los Angeles umgeleitet wurden, glaubte man, das Wasserproblem für die Mega-City gelöst zu haben. Zehn Jahre später waren der Fluss und der See ausgetrocknet. Zurück blieb giftiger Staub auf dem See- und Flussboden. Um zu verhindern, dass der Wind das darin abgelagerte Gift aufwirbelt, muss kostspielig bewässert werden.

Dass die Herstellung von Produkten ohne Wasser mancherorts unmöglich ist, erzählt eine Geschichte in Dhaka, Bangladesch. Hier verbraucht man tausende von Litern Wasser für die Herstellung von Schuhleder, das am Ende exportiert wird. Das Wasser, welches Färben und Spülen benötigen, fliesst ungefiltert durch die Strassen und sucht sich seinen Weg durch den Müll, bevor es ein stinkender Bach wird.

Wasser eignet sich auch vorzüglich als Projektionsfläche für Wünsche und Träume, sei es in den Sagen und Märchen, aber auch in den Texten der Religionen. Wasser weist auf geheimnisvolle Untergründe der Seele oder bietet Gelegenheit zur Reinigung von Sünden. Religionen verlangen von ihren Gläubigen Reinigungsrituale. Gigantisch feiert der Hinduismus dies bei der Maha-Kumbh-Mela-Wallfahrt zum Ganges, wo fünfunddreissig Millionen Gläubige (mehr als das Dreifache der Schweizer Bevölkerung) in den Ganges steigen, um sich von ihren Sünden, die sie durch Tun, Denken und Fühlen begangen haben sollen, zu reinigen. Sie waschen sich in diesem heiligen Wasser und trinken daraus. Die Sehnsucht nach dem Wasser soll dem Menschen in seine DNA eingeschrieben sein, erklärt man sich heute die tiefere Bedeutung des Wassers.

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Was klein beginnt, kann riesig enden.

Wasserzeichen

«Watermark», Wasserzeichen, steht für die Sehnsucht nach der Grösse und Unergründlichkeit der Natur, aber auch die Hybris der Menschen, alles Machbare machen zu müssen. Dass dahinter oft Geld und Profit stehen, wird einem im Film immer wieder bewusst. – Ein Seitenblick auf den Film «More Than Honey» von Markus Imhoof über das Leben und Sterben der Bienen lässt einen hier wie dort ähnliche Zusammenhänge ahnen. Edward Burtynsky: «Wir müssen lernen, langfristig über die Folgen dessen, was wir tun, nachzudenken.» Dass wir beim nächsten Glas Wasser, das wir trinken, beim Regen, der unsern Garten tränkt, aber auch beim Wasser, das wir für das Waschen des Autos oder das Spülen der Toilette brauchen, innehalten und nachdenken, was wir da eigentlich tun, ist wohl auch ein Ziel, das Edward Burtynsky mit diesem Film verfolgt.

Regie: Jennifer Baichwal und Edward Burtynsky
Produktionsjahr: 2013
Länge: 93 min
Verleih: www.praesensfilm.ch.

Bis 25. Juli stellt Edward Burtynsky in der Galerie Scheublein + Bak (www.scheubleinbak.com) im Schloss Sihlberg in 8002 Zürich grossformatige Bilder zum Thema des Filmes aus.