Woman

Hymne an die Frau: Yann Arthus-Bertrand und Anastasia Mikova haben mit ihrem Dokumentarfilm «Woman», mit über 1000 Interviews an 50 Orten der Erde, eine Hymne auf die Frau geschaffen, die das Frau-Sein in seiner Schönheit und Tragik, Grösse und Alltäglichkeit auslotet. – Ab 11. Juni im Kino.
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Frauen in ihrer Vielfalt und Klarheit

Begegnungen, die berühren

Während fast zwei Stunden begegnen wir schönen, aussagekräftigen und herausfordernden Bildern von mehr als tausend Frauen aus mehr als fünfzig Ländern: in Gross- oder Nahaufnahmen, statisch oder bewegt, sprechend oder stumm, in natürlicher Umgebung oder im Studio. Ihre Aussagen behandeln Themen aus dem Frauenleben: angefangen beim ersten Date, über die erste Menstruation, die Hochzeit, das Leben mit dem Partner, auch dessen Untreue oder Gewalttätigkeit. Es geht um Frauen- und Männerfreundschaften, Geschlechtsumwandlung, intensiv beschrieben um ihre Beziehung zu sich und ihrem Körper. Wir begegnen Frauen aus allen Kontinenten und in allen Lebenslagen, bei der Arbeit, in der Bildung oder Politik. Sie thematisieren auch Zwangsehe, Frauenhandel, Genitalverstümmelung, Vergewaltigung und Erniedrigung in Kriegen, weiter wenn sie Brustkrebs oder Einsamkeit durchleben oder um ihren Partner trauern. Gelegentlich werden die schweren, ernsten, bewegenden Statements von fröhlichen, frechen, lustigen, glücklichen Frauen, von Teenagern bis Greisinnen, abgelöst.
Meist sind es die Worte, welche direkt in die Kamera gesprochen werden, die betroffen machen, oft ist es die Mimik, welche intime Geschichten offenbart. Manche Frauen entsprechen in keiner Weise den verbreiteten kommerziellen Schönheitsidealen. «Woman» erzählt in Kurz- und Kürzestfilmen Lebensgeschichten, die berühren.
Untermalt werden die Bilder gelegentlich mit leisen Klängen und Gesang oder mit Zwischensequenzen, beispielsweise mit einer Frau, die mit elegant fliessenden Bewegungen in der Tiefe des Meeres parallel mit einem Fisch schwimmt, oder mit einer Gruppe Frauen, die, wunderbar choreografiert, über Hauswänden tanzen. Immer wieder neuen Sinn stiftet die Montage der Bilder und Szenen. – Leider vermag meine Aufzählung in keiner Weise die Schönheit und Faszination zu schildern, welche diese Frauen ausstrahlen – denen ich im Laufe des Films nähergekommen bin.

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Über tausend Frauenporträts

Und wir im Kino

Der Film «Woman» konzentriert sich in voller Länge auf die Frau. Die Welt rundherum dient bloss als Hintergrund, als Zusatzinformation. Die Frauen sprechen uns an, stellen Fragen und geben Antworten. So können sie den Zuschauern, vor allem den Zuschauerinnen, helfen, ihre unbekannten, kaum erahnten, vergessenen oder verdrängten Fragen und Antworten in ihr Leben zurückzuholen. Denn der Film besitzt, so glaube ich, eine motivierende, helfende, ja therapeutische Funktion.Von «Home» zu «Human» und zu «Woman»

Ein Mann und eine Frau haben «Woman» produziert und realisiert. Er: Yann Arthus-Bertrand, 1946 in Paris geboren, Filmregisseur, Fotograf, Journalist, Reporter, Umweltaktivist und Ritter der Ehrenlegion. Mit seinem Film «Human» hat 2015 das Zusammenleben der Menschen auf dem Planeten thematisiert, mit «Woman» 2019 die Frauen dieser Erde in umfassender Art vor Augen geführt.

Sie: Anastasia Mikova, 1982 in Kiev geboren, Regisseurin, Dokumentaristin und Journalistin, hat, neben zahlreichen Fernsehsendungen, bei den beiden Filmen mit Yann Arthus-Bertrand zusammengearbeitet: für «Human» 600 und für «Woman» gegen w000 Interviews konzipiert und realisiert und als Vertrauensperson zwischen den Frauen vor der Kamera und der Filmproduktion gewirkt.

«Human» bietet in Frontalansicht Bilder auf die Menschheit, auf Männer und Frauen; «Woman» gibt Einblicke auf Augenhöhe, von Du zu Du, Innenansichten der Welt der Frauen, die bekanntlich die Hälfte der Weltbevölkerung ausmacht. In diesem Film sind sie nie Objekt, sondern stets Subjekt.

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Yann Arthus-Bertrand und Anastasia Mikova

Aus einem Gespräch mit Anastasia Mikova

Welcher Aspekt weckte bei Ihnen das Bedürfnis, einen Film über Frauen zu machen? Während wir «Human» drehten, überraschte uns der Unterschied zwischen den Interviews mit Männern und Frauen. Wenn wir das Projekt präsentierten, stellten uns die Männer Fragen, die Frauen sassen daneben, hörten zu und sahen uns misstrauisch an. Sobald sie aber vor der Kamera sassen, war es so, als ob sie ihr ganzes Leben auf diesen Moment gewartet hätten. Jetzt hatten sie Gelegenheit: Hier sind wir! Wir existieren! Eines Tages kam Yann zu mir: Ich glaube, wir sollten uns auf Frauen konzentrieren. Danach wurde es auch mir klar. Wenn wir sehen, was mit den Frauen auf der ganzen Welt geschieht, und wenn wir die Bewegungen beobachten, bei denen Frauen die Führung übernehmen, überrascht es uns wenig, dass wir das schon vor fünf Jahren geahnt haben.

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Aufnahmen mit intimen Aussagen

Inwieweit unterscheidet sich «Woman» von «Human»? Wir haben uns entschlossen, die Interviewform mit Nahaufnahmen der Gesichter beizubehalten. Wir haben Verschiedenes ausprobiert und festgestellt, dass dies die effizienteste Art ist, jemandem zuzuhören. Bei «Woman» möchten wir tiefer gehen und herausfinden, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Manchmal bringen dies drei Frauen aus drei Generationen zum Ausdruck, manchmal zwei Frauen aus verschiedenen Ländern, manchmal in einem Mosaik verschiedener Frauen, die über ein universelles Thema sprechen. Es ist uns wichtig, Einblick in das Leben dieser Frauen zu geben.
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Hintergründe in der Totale

Was suchen Sie mit Ihren Interviews? Wie schulen Sie Ihre Journalistinnen? Für «Human» habe ich mehr als 600 Interviews geführt, für «Woman» über 1000. Eine bestimmte Technik gibt es dafür nicht. Man bringt seine eigene Persönlichkeit und die Art, wie man die Welt sieht, ein. Ich sage allen Interviewerinnen: Wenn ihr mit einem Interview beginnt, müsst ihr wissen, dass die Frau vor euch ein unbeschriebenes Blatt ist. Ihr wisst nicht, was auf diese Seite geschrieben wird. Beim ganzen Interview geht es darum, in das Innere der Person vorzudringen, nicht in ihren Kopf, nicht zu den Fakten ihres Lebens. Wir müssen ein tieferes Verständnis darüber zu erlangen, wer sie ist. Wenn ihr etwas spürt, konzentriert euch darauf: Das ist die Geschichte!

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Eine Choreografie des Lebens

Manchmal sind die Momente, über welche die Frauen sprechen, erschütternd, manchmal positiv und motivierend. Achten Sie darauf, ein Gleichgewicht zwischen beidem zu finden? Als wir angefangen hatten, habe ich festgehalten, dass der Film ausgewogen sein soll. Es gibt Fragen über Schwierigkeiten und Diskriminierung, über Liebe und Glück und die vielfältige Rolle starker Frauen. Doch um ehrlich zu sein, sind die meisten Geschichten, die wir bringen, sehr schwer. Das Leben einer Frau ist oft ein Kampf. Es gibt Frauen in Chefpositionen in der Politik oder in der Industrie, die genau so Gewalt erlebt haben wie Frauen aus kleinen Dörfern, ohne Ausbildung und ohne Rechte. Wir versuchen, die innere Stärke dieser Frauen zu zeigen und

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Lust am Leben als Frau

Stellen Sie immer dieselben Fragen, auch in Ländern, in denen bestimmte Dinge tabu sind? Wenn man in eine Gemeinschaft kommt, in der Frauen niemals Informationen mit Fremden teilen, muss man das Vorgehen vorbereiten. Wir arbeiten bis zu vier Monate im Voraus mit Kontaktpersonen zusammen, um eine Situation zu schaffen, in der sich die Menschen wohlfühlen. Nächsten Monat beispielsweise gehen wir nach Bangladesch und planen ein Interview mit Rohingya-Frauen, die ihr Land verlassen mussten, nachdem viele vergewaltigt wurden. Wir arbeiten mit einer gemeinnützigen Organisation zusammen, die uns hilft. Die Mitarbeiter bringen den Frauen unser Projekt näher. Es ist wichtig, dass alle Frauen, die wir interviewen, sich sicher fühlen und uns vertrauen, damit sie sich öffnen können. Und es ist wichtig, dass sie bereit sind, ihre Geschichte mit Millionen von Menschen zu teilen. Wir arbeiten dafür auch mit Psychiatern, die uns bestätigen, ob eine Frau stark genug ist, vor die Kamera zu treten.

Der Trailer für «Woman» stellt die Frage: Wo werden Frauen in der Welt von morgen sein? Wie denken Sie darüber, nach Ihren Erfahrungen mit dem Film? Ich blicke hoffnungsvoll in die Zukunft. Diese Frauen, die noch nie eine Chance in ihrem Leben hatten – was wäre, wenn die Chance morgen da ist? Die Frauen von heute wollen nicht mehr warten. Damals dachten wir, wenn wir warten, ändert sich vielleicht etwas, wenn wir es besser erklären, werden die Männer sich ändern, oder vielleicht, wenn dies oder jenes passiert. Heute aber sagen die Frauen: Wir wollen nicht warten, was morgen geschieht, wir wollen an dieser Veränderung teilhaben, sie mitgestalten.

Regie: Yann Arthus-Bertrand und Anastasia Mikova, Produktion: 2020, Länge: 114 min, Verleih: JMH