Women without men

Vier Frauen erleben den Iran und erleiden den Islam

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Um es vorweg zu nehmen: Der Film ist nicht leicht verständlich, setzt historisches Vorwissen und Erfahrung im Umgang mit poetischen Bilder voraus. Er ist komplex, vielleicht für viele zu komplex, er hat viele Ebenen, Dimensionen, Realitäten. Darum nachfolgend einige Hilfen zum Verständnis. Da gibt es einmal die Geschichte von vier Frauen; weiter die Parabel eines Gartens; sodann eine Lektion in politischer Geschichte; schliesslich eine Symphonie von Landschaften und Gesichtern.

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Im Debütfilm der Videokünstlerin Shirin Neshat wird ein Garten zur verwunschenen Utopie. In der Tradition des Paradiesgartens schafft sie Bilder des Lebens in der Gemeinschaft und der Versöhnung mit der Natur, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Zugleich gelingt es der Künstlerin, den magischen Realismus wie selbstverständlich mit einer politischen Geschichte zu verweben. Am Festival von Venedig erhielt die Künstlerin für diese deutsch-österreichisch-französische Produktion 2009 den Silbernen Löwen für die beste Regie, nachdem sie bereits zuvor mit insgesamt 17 Installationen Weltrum erlangt hatte.

Der Hintergrund: Mossadegh, der Schah und die USA

«Women without Men» greift eine politische Episode auf, die im Westen weitgehend vergessen ist, aber für das kollektive Bewusstsein des iranischen Volkes weitreichende Folgen hatte: den Sturz des vom Parlament gewählten Premierministers Mossadegh durch einen Komplott des amerikanischen Geheimdienstes CIA im Jahr 1953. Die Amerikaner und Briten wollten nicht, dass Mossadegh die Ölquellen verstaatlichte. Für die 1957 im Iran geborene Regisseurin war dies die Ursache für den Antiamerikanismus und in der Folge die islamistische Radikalisierung, die 1979 zum Sturz des Schahs führte und den Keim für eine noch schlimmere Diktatur durch die Ayatollahs legte. Im Abspann widmet Shirin Neshat ihren Film denn auch den Freiheitskämpfern von 1953 bis zur «grünen Revolution».

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Der Vordergrund: Der Machismus und die Religion des Islam

Der» Spielfilm mit dokumentarischem Hintergrund erzählt in kunstvollen Bildern von vier Frauen, die in den Wochen des Militärputsches eine entscheidende persönliche Entwicklung durchmachen. Fakhri, eine Frau mittleren Alters ist in einer lieblosen Ehe gefangen, muss mit ihren Gefühlen für einen ehemaligen Liebhaber fertig werden, der gerade aus Amerika zurückgekehrt und wieder in ihr Leben getreten ist. Zarin, eine junge Prostituierte, versucht der erschütternden Erkenntnis zu entfliehen, dass sie Männern nicht mehr ins Gesicht sehen kann. Munis, eine politisch wache junge Frau, wehrt sich gegen die Abschottung, zu der sie ihr religiös-traditioneller Bruder zwingt, und bringt sich in einer surrealen Weise öffentlich ein, nachdem sie zuvor Selbstmord begangen hat. Ihre Freundin Faezeh nimmt den Tumult in den Straßen nicht wahr und sehnt sich nur danach, Munis’ tyrannischen Bruder zu heiraten.

Die Geschichten der vier Frauen sind so geschickt miteinander verknüpft, dass der Film souverän zwischen Realismus, Traum, subjektiv erlebter Wirklichkeit und symbolhaft aufgeladenen Landschaften hin- und herpendeln kann. Auf diese Weise gelingt ihr das Kunststück, in Bildern von großer künstlerischer Kraft zu schwelgen und die Visionen jeden Moment in den Dienst der Geschichte zu stellen.

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Die Höhen: Traumbilder einer möglichen Zukunft

Im Prinzip beantwortet Shirin Neshat die Frage nach der Emanzipation der Frauen und nach der politischen Emanzipation generell, am Beispiel des Islam – leicht zu übertragen auf das Judentum und, abgeschwächt, auch das Christentum. «Women without men» heißt schon der Roman der iranischen Schriftstellerin Sharnush Parsipur, der dem Film zugrunde liegt. Das bedeutet nicht, dass Männer draußen bleiben sollten, sondern dass die Frauen hier ihren Weg gegen den Widerstand der Männer allein gehen müssen.

Das schwarze Schleiertuch spielt im Film, wie früher schon in ihren Installationen, eine zentrale Rolle. Es wird hier zur Metapher für die Ver- und Entschleierung der Wünsche und Schicksale der vier Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und die dennoch zueinander finden sollen. Ihre geheimen Wünsche und Bedürfnisse müssen verdeckt bleiben, da sie alle von der Männerwelt existentiell unterdrückt werden. Erst als Fakhri sich von ihrem chauvinistischen Gatten lossagt und vor den Toren Teherans einen Garten kauft, in dem alle sich wiederfinden, besteht Hoffnung auf ein besseres Leben.

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Die Tiefen: Albträume der Vergangenheit und Gegenwart

Über eine minutenlange, virtuose Fahrt des Kameramanns Martin Gschlacht führt Shirin Neshat in diesen utopischen Ort ein, um ihn zu einem traumhaften Zaubergarten zu verklären: Symbol für Exil, Zuflucht, Oase. In dieser märchenhaften und irrealen Welt leben die gestrandeten Frauenfiguren wie in einem neuen Gefängnis, in einem parallelen Universum, das zunächst von der Realität, die sie hierher gebracht hat, abgeschnitten ist.

Die Unruhen, die damals in Teheran tobten, werden von Neshat auf ähnlich ästhetisierende Weise dargestellt wie das Leben im Zaubergarten. Sie sind grafisch ebenso durchorganisiert wie die Videoinstallationen der Künstlerin und werden durch den Einsatz der Zeitlupe und eine ungewöhnliche Farbgebung abstrahiert. Die politischen Spannungen im Sommer 1953 sind reduziert in den Chiffren «Mossadegh! Nieder mit Großbritannien!» und «Lang lebe der Schah!».

Aus einem Interview mit Shirin Neshat

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Sie kamen erst 1957 zur Welt. Können Sie trotzdem den Einfluss beschreiben, den der August 1953 auf Ihre Familie hatte?

Zu der Zeit, als ich geboren wurde, war es praktisch ein Tabu, über den Staatsstreich von 1953 offen zu sprechen, deshalb kann ich mich kaum an Diskussionen, auch innerhalb der eigenen Familie, erinnern. Erst viel später habe ich erfahren, dass einige meiner nächsten Verwandten und Freunde der Familie Sympathisanten von Dr. Mossadegh und eigentlich Kommunisten waren, die es aber nie wagten, darüber zu sprechen. Die Realität war, dass der Schah direkt nach dem Staatsstreich die totale Kontrolle über das Land, einschließlich des Militärs, übernahm und die einst demokratische iranische Gesellschaft in eine Diktatur verwandelte, indem er das Volk durch die Geheimpolizei SAVAK strengstens überwachen ließ. Es war deshalb sehr problematisch, den Schah sogar bei privaten Zusammenkünften zu kritisieren, weil bekannt war, dass auch normale Bürger als Agenten für die SAVAK arbeiteten. Nichtsdestotrotz formierte sich landesweit eine grosse studentische  Oppositionsbewegung gegen den Schah und seine ausländischen Alliierten, vor allem gegen die USA. Diese studentische Bewegung führte schließlich zur Bildung der Islamischen Revolution 1979.

Sie sind offensichtlich vom Bild des Tschadors begeistert. Ist diese Faszination rein filmisch oder steckt etwas Tieferes dahinter?

Mein Interesse am Schleier oder Tschador hat sowohl ästhetische als auch metaphorische Gründe. Der Schleier war schon immer ein komplexes Thema. Einige sehen darin ein «exotisches» Zeichen, andere halten ihn für ein Symbol der «Unterdrückung», während er wiederum für andere ein Symbol von «Freiheit» darstellt. Der Schleier scheint eine westliche Kontroverse zu sein. Viele muslimische Frauen tragen ihn in der Öffentlichkeit, ohne dass er für sie politisch aufgeladen ist. Da «Women without men» in den 1950er Jahren spielt, als Frauen tatsächlich die «Wahl» hatten, ob sie ihn tragen wollten oder nicht, haben wir Frauen wie Munis und Faezeh dargestellt, die permanent verschleiert sind, und Fakhri, die verwestlicht,  oder bewusst und unverschleiert ist.

Der Garten spielt eine wichtige Rolle, sowohl in der persischen Kultur als auch in Ihrer eigenen Biographie. Was ist für Sie die wichtigste Bedeutung des Gartens – in Ihrer Kultur, Ihrem Werk und in diesem Film?

Das Konzept des Gartens steht im Mittelpunkt der mystischen persischen und islamischen Literatur, etwa in der klassischen Dichtkunst von Hafez, Khayyam und Rumi, in der vom Garten als einem Ort «spiritueller Transzendenz» die Rede ist. In der iranischen Kultur wird der Garten auch politisch verstanden und wird somit mit Konzepten wie «Exil»,  «Unabhängigkeit» und «Freiheit» assoziiert. (…) Auch in «Women without men» ist der Garten ein Ort des Exils, der Zuflucht, eine Oase, in der man sich sicher und geschützt fühlen kann.

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Auferstehung und Erlösung in der Poesie

«Der einzige Weg, sich von dem Schmerz zu befreien, ist sich von der Welt zu befreien», sagt die Gedankenstimme der politisch wachen Munis im Off, die erst nach ihrem Selbstmord als Geist zur Aktivistin geworden ist. Ihre Geschichte bringt auf den Punkt, was auch die andern Frauen miteinander verbindet: Nur in einer geistigen Parallelwelt können sie ihren eigentlichen Wünschen und Bedürfnissen nachgehen. Einen Weg zu neuen Formen und einem neuen Leben suchen sie. Ihre Handlungen in diesem Paralleluniversum bleiben jedoch ohne Wirkung auf die Realität. Und damit steigern sich Historie und Biografien zu einer Metaphysik oder, wie es Shirin Neshat wohl eher benennen würde, zur Poesie: der Erschaffung einer neuen Welt aus dem Nichts oder dem Chaos.