Yuni

Mit Gedichten die Adoleszenz umschreiben: Mit ihrem dritten Spielfilm «Yuni» liefert die aufstrebende indonesische Regisseurin Kamila Andini das bewegende Porträt einer Jugend zwischen lokaler Tradition und jugendlichem Freiheitsdrang, weniger konfrontativ als andere, dafür einfühlsamer und hintergründiger. Ab 12. Mai im Kino
Yuni

Yuni gegen Schluss des Films

Hinein ins Leben von Yuni

 

Dass Yuni im Wohnzimmer gerade ihrem potenziellen Bräutigam begegnet ist, erfährt sie fünf Minuten später von der Inhaberin des Quartierladens: «Bekommst du heute nicht einen Antrag?» Alt genug dafür wäre Yuni nach dem Brauchtum Indonesiens, und der Anwärter eine gute Partie. Doch sie lehnt entschieden ab. Die Gedanken der 16-Jährigen kreisen um vieles, doch bestimmt nicht ums Heiraten. Selbstbewusst, schlau und schön lebt Yuni mit der Grossmutter in der Provinz, während ihre Eltern in der Hauptstadt arbeiten. Sie fiebert ihrem Schulabschluss entgegen und hofft, ein Stipendium für die Uni zu ergattern. Viel wichtiger als konkrete Zukunftspläne sind für sie ihre Freundinnen. Die Mädchen fläzen nach der Schule im Park, tratschen über die neusten Gerüchte und fotografieren sich gegenseitig für den nächsten Instagram-Post. Schüchtern, aber voller Vertrauen besprechen sie auch ihre immer drängender werdenden Fragen zum Frauwerden und ihre ersten sexuellen Erfahrungen.

Schon steht der nächste Verehrer vor der Tür, was sich schnell herumspricht und die Gerüchteküche brodeln lässt. Mehr als zwei Anträge abzulehnen, so der Aberglaube, soll Unglück bringen. Yuni fühlt sich in Bedrängnis, mag sich aber in kein Schema pressen lassen. Gern bewegt sie sich auch ausserhalb der Schule. In der Stadt trifft sie Suci, die, kinderlos und selbstständig, so gar nicht den Vorstellungen einer Frau in Indonesiens traditioneller Gesellschaft entspricht. Yuni schmeichelt es, wenn ihr der gleichaltrige Yoga regelmässig Gedichte schreibt, auch wenn sie ihn am liebsten als Hausaufgabenhilfe und Chauffeur benützt.

Und bald schon steht ein dritter Mann an Yunis Tür - und sie fällt aus allen Wolken, des Antragstellers ebenso wie seiner Motive wegen. Und die Frage, was sie zu riskieren bereit ist, um ihr Leben selbst zu gestalten, stellt sich immer drängender. Ob jedoch die Welt, in der sie lebt, dies zulässt, diese Frage stellt sich für sie und uns durch den ganzen Film.

Yuni 04
Unbeschwert und heiter beginnt die Romanze

Anmerkung der Regisseurin


«Yuni ist der Name eines Mädchens, das im Juni geboren ist. Der Film ist inspiriert von einem berühmten indonesischen Gedicht mit dem Titel «Regen im Juni» über einen Regen, der zur falschen Jahreszeit niedergeht. Dabei kam mir die Idee, die Figur der Yuni zu entwickeln: ein Mädchen, das aufzublühen gezwungen ist, aber nicht im rechten Moment, eine Jugendliche voller Träume, besonders aufgrund der sozialen Medien, die ihr vermitteln, die Welt liege zu ihren Füssen, während sie sich im Alltag mit Ehe und Heiratsanträgen auseinandersetzen muss.

Ich habe in meinem Land schon so viele Geschichten über junge Mädchen gehört, deren Potenzial an die Ehe verloren ging, und habe das Bedürfnis, darüber zu sprechen. In dieser speziellen Geschichte geht es jedoch nicht darum, die Gesellschaft zu überzeugen, sondern, sich selbst zu befreien. Der Film dreht sich um Selbstbestimmung. Ich möchte damit den Konflikt und die Gegensätze innerhalb der Gesellschaft sichtbar machen. Dies aus einer intimen und persönlichen Perspektive: die Entfremdung von ihrem Alter, ihren Entscheidungen, ihrem Dorf, ihren Träumen, die Yuni erlebt.»

Yuni 02
Wenn die Mädchen sich in ihre Sexualität hineindiskutieren

Warum Kamila Andini die Jugend als Thema ausgewählt hat


«Seit meinem ersten Spielfilm liebe ich es, über das Coming-of-Age Geschichten zu schreiben. Aber in diesem Film wollte ich als Autorin auf Momente meiner eigenen Teenager-Zeit zurückblicken. Das ist eine komplexe Phase, in der man glaubt, die Welt im Griff zu haben, und sich doch nicht in allem sicher ist. Man hat einerseits den grossen Traum, der aber verschwommen bleibt, weil man noch nicht genau weiss, was man eigentlich möchte, andererseits schwebt einem als Mädchen das Bild von Heirat, Kindern und ewiger Liebe vor. Eine Frau trägt diese beiden Lebensentwürfe bereits in ihrer Jugend in sich; gerade in der Phase, in der man sich seiner selbst nicht wirklich sicher ist, wird das zu grossem Druck.»

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Bildung und Religion als gesellschaftliche Fesseln

Annäherung an den Film «Yuni»


«Yuni» beginnt wie ein modisch versponnener Teenager-Film, der in Indonesien spielt, doch ebenso gut bei uns spielen könnte, und erzählt subtil und einfühlsam, was in der Psyche junger Mädchen in diesem Alter abläuft. Schon bald entwickelt sich der Film zu einem Coming-out, das zeigt, dass das Leben bereits in diesem Alter nicht mehr nur unbeschwert und heiter, sondern bereits von Konflikten durchzogen sein kann. Allmählich entfernen wir uns auch als Zuschauende von der Oberfläche des Lokalkolorits und tauchen ein ins Allgemeingültige.

Im Verlauf des leise dahinfliessenden Films entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die zeigt, wie Lieben nicht nur Freude, sondern auch Schmerz bereiten kann. So heisst es, einen Text des indonesischen Dichters Sapardi Djoko Damono (1940 – 2020) übernehmend: «Ich will dich auf einfache Art lieben, mit Worten, die nicht gesagt werden, die Zunder für die Flamme wären und sie in Asche verwandeln würden, mit Zeichen, die nicht ausgedrückt werden, die Wolken für den Regen wären und sie verblassen liessen.» Schon bald geht es nicht mehr nur um Liebe, sondern um das Leben als Ganzes: «Ich glaubte, dass ich alles werden könnte. Nun weiss ich nicht mehr, was ich wirklich will.» Was heisst hier Wollen, was Leben? Kamila Andini plädiert mit «Yuni» für eine Bejahung des Lebens in der Gemeinschaft, mit der Mutter, dem Freund, der Tradition.

Weiter entwickelt sich die Handlung mit den auf Zetteln geschriebenen Gedichten, etwa so: «Es wird der Tag kommen, an dem mein Körper nicht mehr existiert. Aber mit den Zeilen dieses Gedichts lasse ich dich nie allein. Es wird der Tag kommen, an dem meine Stimme versagt, aber in den Worten dieses Gedichtes werde ich weiterhin über dich wachen. Es wird der Tag kommen, an dem meine Träume entschwinden, aber zwischen den Zeilen dieses Gedichts werde ich nie müde, dich zu suchen.» Damit weitet er sich über das Hier und Jetzt hinaus. Auf dem dramatischen Höhepunkt sind es drei Personen, die abwechselnd, das abschliessende Gedicht rezitierend, vorsichtig auf einen Ausgang verweisen: «Es gibt nichts Stärkeres als Regen im Juni, der seine Sehnsucht in Nieselregen an den blühenden Baum treibt. Es gibt nichts Weiseres als Regen im Juni, der die zögerlichen Spuren auf dem Weg verwischt. Es gibt nichts Feinfühligeres als Regen im Juni, der das Unausgesprochene aus den Wurzeln des Baumes zieht.» Jetzt sind es neben den Worten auch die Bilder, die Töne, die Musik, die die Botschaft der Dichterin Kamila Andini übernehmen. Spätestens jetzt wird klar, dass die Worte, wie aus einer andern Welt kommend, uns einbeziehen und unser Bewusstsein in ein Geheimnis mitnehmen.

Yuni 05
Wenn es mit der Liebe richtig ernst wird

Ein Gedicht über das Leben und Lieben im Konjunktiv


Will man die Mehrdeutigkeiten dieses Films verstehen, dann würde ich ihn als Gedicht über Leben und Lieben im Konjunktiv umschreiben: als Leben und Lieben in der Möglichkeitsform, nicht im Indikativ, der Wirklichkeitsform. Auf den Weg dahin startet «Yuni» leicht und verspielt, wird schwer und schwerer in der Form, schwierig und schwieriger in der Aussage.

Um ein Werk besser zu verstehen, helfen einem gelegentlich Vergleiche mit ähnlichen Werken: In der Literatur erinnere ich mich an Tschechows «Onkel Wanja», wo es gegen Schluss, trotzig und resigniert zugleich, heisst: «Was soll man machen, wir müssen leben! Wir werden weiterleben.» Von den Filmen erinnere ich mich bei «Yuni» (Titelbild) an «Clara Sola» (Bild unten) der costaricanischen Regisseurin Álvarez Mesén. In beiden Filmen kämpft eine Frau dafür, sich aus den Banden der gesellschaftlichen Normen zu befreien. Und dies mit unterschiedlichem Erfolg ...

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Schlussbild aus «Clara Sola» im Vergleich zum Bild gegen Schluss in «Yuni»


Regie: Kamila Andini, Produktion: 2021, Länge: 95 min, Verleih: trigon-film