A Good Wife

Wahrheit, die herausfordert. Milena Karanović versucht als Protagonistin und Regisseurin im Spielfilm «A Good Wife» verdrängte Wahrheiten im Nachkriegs-Serbien öffentlich zu machen. Wichtig für die Politik, auch für heute.
A Good Wife

Vlada und Milena in glücklichen Tagen

Die Serbin Milena, eine Frau mittleren Alters, ist vor allem Ehefrau und Mutter. In einem gediegenen Viertel Belgrads hat sie sich ihr Leben gut eingerichtet. Im Stillen macht sie sich schön, pflichtbewusst bekocht und unterhält sie die Familie, und regelmässig geht sie zur Chorprobe. Mit ihrem Mann schläft sie, wenn er es will, hin und wieder gehen sie auch aus und verbringen beschwingte Abende mit befreundeten Paaren. Doch ihr schön geordnetes Leben gerät aus den Fugen, als Milena beim Putzen auf ein Video stösst, das ihren Mann Vlada schwer belastet. Was sich daraus entwickelt, ist eine politische Geschichte, wie sie in Ex-Jugoslawien noch mehr erzählt werden könnte – und müsste.

Auf den ersten und den zweiten Blick

Auf den ersten Blick ist die fünfzigjährige Milena eine Frau, die unschuldig den Traum ihres Lebens lebt. Ihr Mann Vlada, ein ehemaliges Mitglied der Sonderpolizei während der Kriege in Ex-Jugoslawien, ist heute ein erfolgreicher Bauunternehmer. Er schlägt sie nicht, hat keine Affären, zumindest keine, von denen sie weiss, und ermöglicht ihr ein angenehmes Leben, so wie es im modernen Serbien gängig ist. Sie sprechen nicht oft miteinander, was Milena nicht gross stört. Denn sie haben ein hübsches Haus, zwei Autos und zwei wunderbare Kinder, Katarina und Miloš, die noch zu Hause leben, und ein drittes, Nataša, die sich von den Eltern distanziert hat und nach Belgrad ausgezogen ist.

Das grosse Erwachen beginnt mit einem Untersuch beim Arzt. Erste Zweifel an ihrer Gesundheit kommen auf. Der stereotype Satz, es werde alles gut, wird obsolet. Aufgewühlt kommt sie nach Hause und versucht, um die Tatsache zu verdrängen, einen wilden Frühjahresputz. Dabei entdeckt sie einen Kasten mit Vladas Gegenständen vom Krieg und eine Videokassette mit Filmmaterial, das seine Einsatzmannschaft im Krieg beim Töten von Zivilisten zeigt. Auf den Aufnahmen erkennt sie Vlada und einige seiner Freunde, die noch heute in der Nachbarschaft leben. Milenas Leben bricht auseinander, beginnt sich aufzulösen, als sie der Wahrheit ins Gesicht schaut und sie akzeptiert. Von jetzt an kämpft sie, beginnt sie, die kleinen und grossen Dinge ihres Alltags zu überdenken. Doch es ist der einzige Weg, weiter zu gehen, ein Leben ohne Lügen zu leben. Die Entscheidung, die sie trifft, steht für das Ende des einen und den Beginn eines andern Lebens.

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Milena, wohlsituiert, doch verunsichert

Anmerkungen der Regisseurin Mirjana Karanović

Die Idee für den Film «A Good Wife» beruht auf einer wahren Geschichte, dem Fall «Skorpion»: als Mitglieder dieser serbischen paramilitärischen Spezialeinheit sechs gefangene Bosnier exekutierten und dies auf einer VHS-Kassette festhielten. Jahre später gelangte das Filmmaterial an die Öffentlichkeit. Wie sich herausstellte, stammten alle Kriminellen aus demselben Dorf und kannten sich von Kindsbeinen an. Obwohl der Spielfilm durch diese Geschehnisse angeregt worden ist, wird hier das Verbrechen als Katalysator für die sich entwickelnden Geschehnisse verwendet, welche die Hauptfigur dazu zwingen, alles, was sie im Leben für selbstverständlich gehalten hat, in Frage zu stellen und neu zu überdenken.

«A Good Wife» macht nicht die Analyse des Krieges, sondern beobachtet die dysfunktionalen Familien der Kriegsverbrecher nach dem Krieg. Der Film beschäftigt sich mit dem Erwachen der Hauptfigur Milena aus dem wohligen, paradiesischen Schlaf einer angesehenen Dame der Gesellschaft.

Ich erzähle eine Geschichte über all die Kompromisse, die wir machen, ohne uns über deren Preis im Klaren zu sein. Sie handelt von Menschen, die durch das Leben gehen und vorgeben, das Böse, das vor ihren Augen geschieht, nicht zu sehen, nur weil sie persönlich nicht davon betroffen oder direkt involviert sind. Auch jene, die es unterlassen haben, Leid zu verhindern, müssen Verantwortung übernehmen. Der einzige Weg, vorwärtszugehen, besteht darin, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Von vor der Kamera nach hinter die Kamera

Die jugoslawische, beziehungsweise serbische, 1957 geborene Schauspielerin Mirjana Karanović hatte auf der Bühne über 100 Theaterrollen und in 50 Filmen einen Part gespielt, ist in ihrer Heimat ein Star. Ihr Debüt auf der Leinwand gab sie 1980. Weltruhm erlangte sie mit Hauptrollen in Emir Kusturicas Filmen «Underground» und «Papa ist auf Dienstreise», die beide in Cannes die Palme d’Or gewannen. Eine ihrer erinnerungswürdigsten Rollen war jene als Esma in «Grbavica» von Jasmila Žbanić, die 2006 mit dem Goldenen Bären an der Berlinale ausgezeichnet wurde. Für diese Rolle erhielt sie eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis. Grosse Beachtung brachte ihr die Hauptrolle im Film «Das Fräulein» der Schweizer Regisseurin Andrea Staka, der 2006 mit dem Pardo d‘Oro am Filmfestival von Locarno ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2008 wurde sie mit dem Winning Freedom Award geehrt, einer Auszeichnung, die an Frauen verliehen wird, die sich in ihren Werken für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Toleranz in der Gesellschaft einsetzen. Motiviert, selber Regie zu führen, hat sie «Le silence de Lorna» der Gebrüder Dardenne. «A Good Wife» ist ihr Regiedebüt, uraufgeführt im Rahmen des Internationalen Wettbewerbs des Sundance Filmfestivals 2016.

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Milena kämpft innerlich um eine zweifache Wahrheit

Nachbemerkung

Bei meiner Beurteilung des Films «A Good Wife» war ich vorerst unsicher, bis ich auf den folgenden Satz der bekannten Performancekünstlerin Marina Abramovic gestossen bin: «Kunst muss verstörend sein. Wenn sie nur politisch ist, ist sie am nächsten Tag veraltet.» Damit sehe ich jetzt klarer und möchte nun den Film von Mirjana Karanović, mit etwas Zurückhaltung, empfehlen. Denn das Zitat zieht eine feine Grenze zwischen Kunst und Politik, und unser Film befindet sich exakt in diesem Grenzbereich. Er ist «politisch», aber nicht «verstörend». Dennoch ist es wichtig, für die Vergangenheitsbewältigung in einem Land, von wo auch Menschen zu uns gekommen sind und weiter kommen.

Regie: Mirjana Karanović, Produktion: 2016, Länge: 94 min, Verleih: LookNow