A Serious Man

Das Leben eines sympathischen Ehemanns, sorgenden Vaters und bekannten Professors stürzt wie ein Kartenhaus in sich zusammen, worüber das Brüderpaar Joel und Ethan Coen einen höchst lustigen Film drehten.

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Eigentlich lebt Larry Gopnik ein beschauliches Leben in einer kleinen jüdischen Gemeinde im Mittleren Westen der USA. Er ist ein liebender Ehemann, fürsorglicher Vater und erfolgreicher Professor. Doch irgendwie läuft plötzlich nichts mehr so wie gewohnt. Larrys Gattin verlangt die Scheidung, um mit ihrem selbstgefälligen neuen Liebhaber zusammenleben zu können. Sein Sohn hat Probleme in der Schule und mit Drogen, die Tochter bestiehlt ihn, um sich eine Nasenkorrektur zu finanzieren. Sein psychisch labiler Bruder hockt nur noch auf der Couch herum. Und als ob die Familie nicht schon genügend Probleme hätte, gerät auch noch Larrys Karriere ins Trudeln. So beschliesst er, sich Hilfe bei einem Rabbi, ohne Erfolg, weitere folgen – und das Kartenhaus fällt weiter und weiter in sich zusammen.

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Beobachtungen im Kino – Exkurs über Komik

Komik ist sehr subjektiv. «De gustibus est certandum» meinten schon die Römer. Doch wenn sie an die Grenzen des Commonsense geht, ist es noch vielmehr subjektiv, weil Geschmacksache. Die Gebrüder Joel & Ethan Coen, die mit ihrem fünfzehnten Film, nach «Baton Fink», «The Big Lebowski» und «Fargo», haben in Cineastenkreisen Kultstatus, gehören in die Kategorie der «genialen Spinner». Weshalb die eingefleischten Filmfreaks in den Aufführungen, die ich besuchte, vom ersten bis zum letzten Bild ihr Gaudi hatten, wenn sich daneben andere langweilten.

Den kurzen, in Jiddisch gesprochenen Prolog hätten sie ruhig weglassen können. Die Erklärung der Autoren, sie glaubten, eine kleine, in sich abgeschlossene Geschichte würde gut als Einführung passen, und da sie keine geeignete jiddische Fabel kannten, dachten sie sich eben eine aus, die im Grunde nichts zu tun mit dem Hauptfilm, half ihnen lediglich, mit dem Nachdenken über den Film anzufangen.

Was die Komik, den Witz der Cohen-Filme ausmacht, zu erklären, fällt mir schwer. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Witz am besten funktioniert, wenn er ein Tabu bricht. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, was Sigmund Freud meinte, wenn er schrieb: «Als Witz bezeichnet man einen kurzen Text, der einen Sachverhalt so mitteilt, dass nach der ersten Darstellung unerwartet eine ganz andere Auffassung zutage tritt. Der plötzliche Positionswechsel, die Pointe, vermittelt die Einsicht, dass das Urteil über den Sachverhalt nicht zwingend einer einzigen Auffassung unterworfen ist. Die Öffnung zu anderen Auffassungen wird als befreiend empfunden, die zunächst aufgebaute Beklemmung wegen eines vermeintlichen Problems löst sich auf in befreiendes Lachen. Das Gelächter der Zuhörer zeigt an, dass sie den Positionswechsel erkannt haben und ihn mit vollziehen».

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Bloss Unterhaltung. Oder doch mehr?

Die zwei Kultfilmer haben zugeschlagen: persönlicher und verrückter als in früheren Filmen. Die beiden Juden nehmen in ihrem Film jüdisches Verhalten frech und exzessiv auf den Arm. Sie drehten eine Geschichte, die ankommt, wenn man sie nicht verstehen will. Das heisst, wenn man sie nicht deuten und nach einem tieferen Sinn befragen will. Mir persönlich scheint die Geschichte eigentlich ohne Be-Deutung zu sein. Sie ist lediglich Vorwand für zahllose höchst unterhaltsame, überraschende und amüsante Einfälle formaler, dramaturgischer, filmischer, sprachlicher, visueller und psychologischer Art. Höherer Stumpfsinn? Geniale Comedy? Slapstick? Situationskomik? Filmischer Dadaismus?

Oder vielleicht stimmt es, was A. O. Scott in der «New York Times» schrieb: Der Film «ist, wie sein biblischer Ursprung, eine destillierte, übertriebene Erzählung der menschlichen Lage». Also doch ein Bild der «Conditio humana», vielleicht in einer Sprache, die wir nicht alle auf Anhieb verstanden haben. So auch Mary Zophres, die den Film ähnlich sieht, nämlich als eine «Komödie der Angst. Es gibt Dramen und Leid, und das alles erzählt mit einem grossartigen Sinn für Humor. Also ist es für mich so wie das Leben, es ist einfach wahnsinnig komisch.» Die Cohen-Brüder selbst haben dem Film einen Satz vorangestellt, der vielleicht als Schlüssel dienen kann: «Empfange mit Schlichtheit alles, was dir passiert. Das ist ein grossartiges Mantra, um sich immer zu vergegenwärtigen, wie man sein Leben lebt.»

Sucht man in der Filmgeschichte nach Vergleichen, so fallen mir Laurel und Hardy und die Marx Brothers ein: Komiker, die vor allem darauf aus sind, verbal oder brachial drauflos zu schlagen, zu zerstören, abzubrechen, kaputt zu machen, ad absurdum zu führen. Mit grossem Lustgewinn bei den Künstlern und einem Gefühl der Befreiung beim Publikum.

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Einige Karten des einstürzenden Kartenhauses

Der 13-jährige Danny Gopnik benimmt sich daneben, wird in der Schule beim Musikhören und beim Haschen erwischt und büsst dafür, obwohl er gerade vor seiner Bar Mitzwa steht. – Larry Gopnik schreibt eine riesige Wandtafel mit mathematischen Formeln voll, die jedoch nur er allein versteht. – Von einem Studenten, der bessere Noten erwartet hat, lässt er sich über den Tisch ziehen. – Seine Frau Judith ist immer häufiger schlecht gelaunt, die Tochter Sarah kann sich nicht die Haare waschen, weil ihr Onkel Arthur im Bad stundenlang seine ekligen Talgzysten entleert. – Unerwartet kündigt Judith die Scheidung an. – Danny versucht erfolglos bei einem Rabbi einzubrechen, ohne Erfolg. – Der Vater will die TV-Antenne auf dem Dach reparieren und entdeckt dabei eine Nachbarin nackt im Garten. – Ein Hobbyjäger, wirft ihm genüsslich den erlegten Hirsch vor die Füsse, als würde er am liebsten die Jagd auf Juden eröffnen. – Der Vater des durchgefallenen Studenten taucht auf und droht mit einem Prozess. – Das frisch verliebte Paar turtelt direkt vor Larry und will mit ihm die praktische Fragen seiner Scheidung diskutieren, er soll ins örtliche Motel umziehen und gleich den lästigen Arthur mitnehmen. – Dem Gehörnten bleibt nichts anderes als einen Anwalt zuzuziehen, der dann noch das letzte Geld, als er ohnehin nicht hat, einfordert. – Wegen anonymer Briefe an den Arbeitgeber droht seine Verbeamtung zu misslingen. – Nun braucht er spirituelle Unterstützung. Wie diese aussieht, das ist ein Kapitel für sich… Unaufhaltsam geht es mit unserem «ernsten Mann» nach unten.

Was die beiden Juden Joel und Ethan Coen sich hier erlauben, würde jedem andern Regisseur als rassistisch, ja antisemitisch angelastet. Wirklich mutig und toll die rücksichtslose Frechheit dieses Films, wie sie nur in der Kunst möglich ist, welche Wahres und Allgemeinmenschliches zu Tage fördert!

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Glossar zur Welt der Juden

Mit grösster Selbstverständlichkeit, ohne je eine Erklärung anzubieten, verwenden die Filmemacher zahllose Begriffe aus der Welt der Juden, die viele nicht kennen. Hier deshalb einige davon kurz erklärt:

Aguna: geschiedene Person, der es aus religiösen Gründen verboten ist, wieder zu heiraten

Bar Mitzwa: wichtige jüdische Feier, die in der Synagoge stattfindet, vergleichbar mit der Kommunion und Konfirmation im Christentum

Dibbuk: Seele eines Toten, die sich der Seele von Lebenden zu bemächtigen versucht, verwandt dem Dämon der Katholiken

Goi: Nichtjude, Ungläubiger

Haftora: Hebräisch geschriebene Auszüge aus der Tora

Hashem: hebräischer Begriff für Gott

Mitzwa: umgangssprachlich unter amerikanischen Juden ausserhalb des religiösen Kontextes verwendet für eine gute Tat

Rabbi, Rabbiner: religiöser Gelehrter, vermittelt die religiöse Lehre, ist Kenner der Tora, aber auch in weltlichen Angelegenheiten

Sabbat: arbeitsfreier siebter Wochentag, von Freitagabend bis Samstagabend dauernd

Synagoge: jüdisches Gotteshaus

Tora: die wichtigsten fünf Buchrollen der hebräischen Bibel, des alten Testaments der Christen

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Dany, umgeben von Joel und Ethan Coen und zwei Rabbinern