A Sisters Tale

Für den Lebenstraum gekämpft: Nasreen, eine iranische Ehefrau und Mutter, erhofft sich nichts Schöneres, als Sängerin zu werden, was ihr der Islam aber verbietet. Ihr Kampf dafür, den ihre Schwester Leila Amini während sieben Jahre mit Kamera und Mikrofon in «A Sisters' Tale» festhält, ist authentisch, berührend und von universeller Bedeutung. Ab 19. Dezember im Kino
A Sisters Tale

Leila und Nasreen

Kino von den grossen und ein Film von den kleinen Dingen des Lebens

Seit einigen Jahren nehmen iranische Filme im Weltkino eine bemerkenswerte Position ein. Filmemacher:innen wie Abbas Kiarostami, Mohsen Makhmalbaf, Jafar Panahi, Asghar Farhadi und Mohammad Rasoulof, aktuell mit seinem Meisterwerk «The Seed of the Sacred Fig» bei uns in den Kinos, werden an den Festivals immer häufiger ausgezeichnet – und machen auf die Situation im Land aufmerksam.

«A Sisters' Tale» gehört zwar nicht zu den ganz grossen Filmen mit weltbewegenden Themen und aufwendigen Inszenierungen. In meinen Augen jedoch ist Leila Aminis Film herausragend, schön, bewegend, wichtig und notwendig: für die Menschen im Iran und auch für uns. Mit feinen Pinselstrichen schildert die Dokumentaristin den Alltag einer Frau und den «Innenraum einer Familie«, aus nächster Nähe wahrgenommen und mit schwesterlicher Empathie gefilmt. Das trifft mitten ins Herz und wirkt wohl auch nach aussen, gemäss dem Slogan «Das Private ist politisch.»

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Nasreen mit Mutter

Statement von Leila Amini


Meine Schwester Nasreen erfüllte einst unser Haus mit ihrer schönen Stimme. Sie hörte jedoch auf zu singen, als sie unter Druck gesetzt wurde, zu heiraten. Im Laufe der Jahre bemühte sie sich, eine bestmögliche Ehefrau und Mutter zu sein. Ihr Mann Mohammad war häufig abwesend. Er arbeitete viel und liess Nasreen mit ihrer Sehnsucht nach den einfachen Freuden und Zärtlichkeiten des Ehelebens allein.

Als Hana geboren wurde, vertraute Nasreen mir an: «Ich werde alt und habe Angst. Meine einzige Errungenschaft im Leben ist, Mutter von zwei Kindern zu sein.» Ich spürte eine deutliche Veränderung in ihr. Sie beschloss, ihrer lebenslangen Leidenschaft, dem Singen, nachzugehen, obwohl dieses im Iran für Frauen in der Öffentlichkeit verboten ist.

Mohammads Abwesenheit und mangelnde Unterstützung frustrierten Nasreen und führten immer häufiger zu Streit. Der Mann wurde konservativ und religiös erzogen. Nasreens Mutter und die jüngere Schwester taten ihr Bestes, um ihre Ehe zu retten. Wir machten uns Sorgen um ihre Zukunft. In den sieben Jahren, in denen gefilmt wurde, habe ich ihre Reise zur Befreiung ihrer Stimme als Sängerin und als Frau hautnah miterlebt. Von einer verletzlichen Hausfrau verwandelte sie sich allmählich in eine Person, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Nasreens Emanzipation brachte einen grundlegenden Wandel für ihre Kinder, für mich, meine jüngere Schwester Sareh und unsere Mutter und setzt hoffentlich auch Impulse für unser Land.


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Geburtsparty von Hamid

Die Protagonist:innen


Nasreen ist 37, seit 15 Jahren in arrangierter Ehe, in den letzten zehn Jahren vor allem Hausfrau. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes kämpfte sie mit postpartalen Depressionen, sie fühlte sich unglücklich und von Mohammad distanziert. Trotz ihrer Bemühungen, die Ehe zu retten und die Familie zusammenzuhalten, spürte sie wachsende Unzufriedenheit. Als älteste Tochter erlebte sie von allen Schwestern die strengsten Regeln, durfte beispielsweise keine Kunstschule besuchen, um Singen zu lernen. Viele ihrer Entscheide wurden durch ihre Eltern bestimmt. Nach dem Tode des Vaters begann sie, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkunden und ihre Pflichten als Mutter zu verbessern. Der Film zeichnet ihre Emanzipation nach: von der Hausfrau, die davon träumt, auf der Bühne zu singen, zur Frau, die keine Kompromisse mehr eingeht.

Mohammad, 45, ist Motorradtechniker mit Leidenschaft für die Arbeit, die meiste Zeit verbringt er in seiner Garage. Er missbilligt Nasreens Gesang. Seine Meinung äussert er nur selten und verhält sich passiv-aggressiv und distanziert zu ihr. Obwohl er ein verantwortungsbewusster Vater ist, wird sein Engagement immer zurückhaltender. Auch er ist in der arrangierten Ehe ein Gefangener, geniesst als Mann jedoch mehr Freiheiten.

Hamid, 10, ist sensibel und von der Krise seiner Eltern betroffen, eher introvertiert und behält seine Gefühle für sich, insbesondere seine Sorgen wegen der Scheidung der Eltern. Zu Hause ist er eine Stütze für Nasreen, hilft bei der Betreuung seiner jüngeren Schwester und reift bis zum Schluss zu einem jungen Mann heran. Hana ist zu Beginn ein sieben Monate altes Baby, am Ende ein Kind, das eingeschult wird. Während sich Nasreens musikalische Versuche entfalten, wächst Hanas Interesse an der Musik, und sie macht ihre ersten Schritte beim Entdecken dieser Welt bei der Mutter. Sie verkörpert die Zukunft der iranischen Frauen und repräsentiert den Geist der Hoffnung.

Leila, 35, die Schwester von Nasreen, ist die Regisseurin. Sie hat Film studiert und geht ihrer Leidenschaft als Künstlerin nach. Sie musste sie nie die gleichen Einschränkungen hinnehmen wie Nasreen, die als älteste Schwester für die Freiheit ihrer jüngeren Geschwister Opfer bringen musste. Leila ist sich dessen bewusst und will mit dem Film vor allem Nasreens Entscheidungen unterstützen. Obwohl sie die Kamera führt und selbst nicht ins Bild kommt, wird ihre Präsenz durch ihre Stimme spürbar. Sie hält sich mit ihrer Meinung über Nasreens Situation zurück, unterstützt sie jedoch in kritischen Momenten oder legt die Kamera auch mal weg, um sich um die Kinder zu kümmern.

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Im Tonstudio

Zur Bedeutung des Singens


Um die innere Dramatik und seelische Dynamik in ihrer ganzen Bedeutung zu verstehen, helfen vielleicht die folgenden Zeilen, die ich in einem langen Text von Yehudi Menuhin gefunden habe. Das hier Gesagte wird im Film nicht thematisiert, dürfte sich jedoch unbewusst bei Nasreen, und im besten Fall auch bei uns, auswirken.

«Das Singen ist die eigentliche Muttersprache aller Menschen: Denn sie ist die natürlichste und einfachste Weise, in der wir ungeteilt da sind und uns ganz mitteilen können, mit all unseren Erfahrungen, Empfindungen und Hoffnungen. Das Singen ist zuerst der innere Tanz des Atems, der Seele, aber es kann auch unsere Körper aus jeglicher Erstarrung zum Tanzen befreien und uns den Rhythmus des Lebens lehren. Immer geht uns der Gesang eines Menschen unmittelbar an, wächst ein Verstehen, Teilhaben und Begreifen über alle Begriffe hinaus. Wir Menschen sind im Singen schöpferische Klangwesen: Wir vermögen durch Gesang unsere Welt und unser Handeln zu beseelen, singend Liebe, Freude, Hoffnung und Zuversicht zu schenken, uns aber auch den Schmerz von der Seele zu singen und unser Herz durch Verzeihen zu beschwingen. Wenn einer aus seiner Seele singt, heilt er zugleich seine innere Welt. Wenn alle aus ihrer Seele singen und eins sind in der Musik, heilen sie auch die äussere Welt.»

 

Zurück in den Alltag


«Ich will  zu den Frauen singen. Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren, um unsere Träume zu erreichen. Irgendwo, in weiter Ferne, warten unsere Ziele darauf, bis wir sie erreichen.» Das spricht Nasreen gegen Schluss vor sich hin und schliesst mit dem Satz: «Wenn ich singe, bin ich von Glück erfüllt.»

Interview mit Leila Amini

Regie: Leila Amini, Produktion: 2024, Länge: 93 min, Verleih: Vinca Film