Black Box

Ein Thriller mit Tiefe: Was geschah an Bord des Fluges Dubai-Paris vor dem Absturz? Gozlans Thriller «Black Box – Gefährliche Wahrheit» gibt einen realistischen Einblick in die Untersuchung, zeichnet differenzierte Porträts der Ermittler und hinterfragt das Suchen nach der Wahrheit: hoch spannend und tief sinnig.
Black Box

Mathieu Vasseur (Pierre Niney)

Jemandem, der wie ich nicht gerne Krimis schaut, stellte «Black Box» als Erstes die Frage, ob dieser Film überhaupt auf seiner Website besprochen werden soll – und ich kann nach der Visionierung mit Überzeugung sagen: Der Film ist so gut und so wichtig, dass er hier vorgestellt und empfohlen werden muss.

Der Gepflogenheit der Krimi-Fans folgend, verrate ich nur wenig vom Inhalt; denn die Spannung muss bleiben. Lediglich auf die inhaltlichen und formalen Qualitäten soll hingewiesen werden. Dies umschreibt meine Wertschätzung und Begeisterung für den Film:

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Mathieus Freundin Noémie (Lou de Laâge)

  • «Black Box» ist formal brillant und inhaltlich wertvoll: perfekt gespielt und gefilmt. Nach meinen persönlichen Kriterien, «Filme sollen Werte vermitteln, auf Fragen des Lebens Antworten suchen oder Sinn stiften», musste ich am Anfang noch suchen, doch ganzheitlich und gefühlsmässig entspricht der Film meinen Kriterien vollauf.«
  • Yann Gozlan begleitet in «Black Box» die Wissenschaftler beim Ermitteln des Flugzeugabsturzes hautnah und temporeich. Ihre Professionalität erstaunt, ihr Engagement berührt, selbst wenn das Suchen nach der Wahrheit in eine Art Sucht treibt: ein allgemeines Phänomen, das auch aus andern Bereiche bekannt ist.
  • «Black Box» hat vor allem den Hauptakteur Mathieu und seine Freundin Noémie mit ihren persönlichen Beziehungen und fachlichen Kompetenzen im Fokus. Mit minutiöser Akribie wird eine grossartig verwobene Bipolarität zwischen Privat und Öffentlichkeit, Liebe und Beruf ausgelotet, wie sie ähnlich oft zu beobachten ist.
  • Immer wieder werden in «Black Box – Gefährliche Antwort» die einmal erreichten Antworten neu infrage gestellt, was der Handlung einen atemraubenden Thrill verleiht. Und dies mit einem überzeugenden Ethos, das den aktuellen wissenschaftlichen Standards und den abendländischen philosophischen Ideen entspricht.
  • Mehr als zwei Stunden fiebern wir mit dem Protagonisten und dem Team in der anfänglich fremden und schliesslich vertrauten Welt und durchleben wir «probehandelnd» ihr Tun und Lassen in ihren Beziehungen, Vernetzungen und Verwicklungen, wie wir sie, wenn auch meist banaler, aus dem eigenen Leben kennen.
  • «Black Box» bleibt mit seinen Recherchen methodisch nicht in der Gegenwart und in der Vergangenheit stecken, sondern verwendet intensiv die Werkzeuge und Methoden, welche die moderne Forschung der Künstlichen Intelligenz bereitstellt, die bei der Fahndung helfen, aber auch stören.
  • Ohne mehr zu verraten, aber dennoch etwas von der Vorgeschichte und den Hintergründen zu erfahren, folgen nachstehend die Ausschnitte aus einem Interview mit dem Regisseur Yann Gozlan, das helfen kann, mit offenen Sinnen und wachem Geist diesen Film zu verstehen und zu geniessen. Zur Vertiefung dient das integrale Interview im Anhang.

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Mathieu mit seinem Chef (André Dussollier)

Aus einem Interview mit Yann Gozlan

Woher kam die Idee für den Film?

Aus einer doppelten persönlichen Faszination heraus. Erstens die Faszination für eine ganz spezielle Welt, nämlich die der Luft- und Raumfahrt. Diese in meinen Augen sehr filmische Welt mit ihren kolossalen finanziellen Auswirkungen, in der unterschiedliche Interessen (Flugzeughersteller, Fluggesellschaften, Piloten usw.) aufeinandertreffen, schien mir ein origineller und faszinierender Rahmen für einen Film zu sein. Und dann ist da noch die Faszination der Blackbox, des Flugschreibers selbst – diese berühmten Blackboxe, von denen die Zeitungen immer wieder berichten, ohne dass wir wirklich wissen, was sie sind.

Es gibt zwei Arten: den FDR (Flight Data Recorder), der die technischen Parameter des Fluges aufzeichnet, und den CVR (Cockpit Voice Recorder), der alle Geräusche und Gespräche der Piloten im Cockpit aufzeichnet. Die ersten Flugschreiber stammen aus den 1930er Jahren. Damals enthielten sie einen fotografischen Film, auf den die Anzeigen der Fluginstrumente projiziert wurden. Dieser lichtempfindliche Film war in einem dunklen Raum eingeschlossen, der «Black Box» genannt wurde, weil er lichtdicht war. Dieser Name hat sich gehalten, während die heutigen Flugschreiber orange mit weissen Reflexionsstreifen sind, damit sie in den Trümmern leichter zu erkennen sind. Ich glaube, dass die Blackbox einen besonderen Platz im kollektiven Unterbewusstsein einnimmt, da sie den Schlüssel zur Erklärung der Kette von Ereignissen enthält, die zu der Tragödie führten.

Die Analyse der Black Boxen und insbesondere des CVR (der Aufzeichnung der letzten Worte der Besatzung vor dem Absturz) als dramatisches Thema erschien mir interessant. Bei meinen Recherchen entdeckte ich die Existenz des BEA (Bureau d'Enquêtes et d'Analyses), einer Organisation, die für die Untersuchung von Flugzeugunfällen und -vorfällen zuständig ist. Ich wollte diesen Mikrokosmos betreten, seine Codes entdecken und sie mit der Öffentlichkeit teilen. Um glaubwürdig und realistisch zu sein, habe ich viel recherchiert und mich mit verschiedenen Personen getroffen, die in diesem Bereich tätig sind: Piloten, Ingenieuren, BEA-Ermittlern usw. Diese Treffen und Gespräche inspirierten mich dazu, eine Geschichte über eine komplexe Absturzuntersuchung zu schreiben. Auch wenn ich mich von realen Fällen inspirieren liess, wollte ich keinen einfachen Dokumentarfilm machen oder eine Flugzeugkatastrophe rekonstruieren, die sich ereignet hatte.

Mein Ziel war es vielmehr, auf die neuen Themen hinzuweisen, die die Zivilluftfahrt revolutionieren werden, nämlich die umfassende Unterstützung der Piloten und die schrittweise Automatisierung der Cockpits durch künstliche Intelligenz. Das Schreiben des Drehbuchs hat viel Zeit in Anspruch genommen: Neben der notwendigen Dokumentationsarbeit hat uns die verschlungene Handlung schwer zu schaffen gemacht. Aber das Eintauchen in dieses Universum war aufregend!

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Mathieu und Noémie: Liebespaar, Kollegen, Rivalen

Seit Ihren Anfängen haben Sie es vorgezogen, ein Gefühl des Unbehagens zu erzeugen, indem Sie den Zuschauer unter Spannung setzen.

Mit diesem Film wollte ich die Öffentlichkeit für die genannten Probleme sensibilisieren, indem ich sie mit den Waffen des Kinos behandelte, das mich schon immer fasziniert hat, das Kino von Hitchcock oder Alan J. Pakula, ein Kino, das den Zuschauer einbezieht, indem es mit seiner Intelligenz und seinen Nerven spielt. Daher mein Wunsch, eine Fiktion so atemberaubend und fesselnd wie möglich zu gestalten. Ein echter paranoider Thriller vor dem Hintergrund einer heiklen Untersuchung, die als Auslöser für den Konflikt zwischen Mathieu und seiner Frau Noémie dient. Mein Ziel war es, das Intime und das Spektakuläre zu mischen, das Röntgenbild eines Paares in der Krise und die Beschreibung der Welt der Luftfahrt, sentimentale Beziehungen und berufliche Herausforderungen.

Mathieu ist buchstäblich besessen davon, die Wahrheit zu finden.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Verschwörungstheorien und die Suche nach der Wahrheit in einem ständigen Konflikt. Diese Besessenheit von der Wahrheit ist meiner Meinung nach das zentrale Thema des Films. Durch die Figur des Mathieu wollte ich zeigen, wie komplex, obsessiv und vor allem zerstörerisch der Weg zur Wahrheit sein kann.

Interview mit Yann Gozlan, dem Regisseur von «Black Box»

Regie: Yann Gozlan, Produktion: 2021, Länge: 129 min, Verleih: Frenetic