Blackbird Blackbird Blackberry

Eine Frau geht ihren Weg: Die georgisch-schweizerische Regisseurin Elene Naveriani stellt uns in ihrem Spielfilm «Blackbird Blackbird Blackberry» mit grosser Lakonie und viel Herz eine Frau vor, die sich in der herrschenden Männergesellschaft ihre Freiheit nimmt. Die kluge Regie und das eindrückliche Spiel der Protagonistin lassen uns ihren Weg nachverfolgen. Ab 26. Oktober im Kino
Blackbird Blackbird Blackberry

Etero und Murman

Von der Regisseurin Elene …

Die Regisseurin Elene Naveriani wurde 1985 in Tiflis geboren und so erzogen, dass sie ihren sozialen Rückzug akzeptierte. Als Frau bedeute dies, dass sie sich im Hintergrund halten, passiv zuhören, sich unsichtbar machen und vor allem mit dem ihr zugewiesenen Platz zufriedengeben musste. Nachdem sie mit 23 Jahren Georgien verlassen hatte, entdeckte sie neue persönliche und künstlerische Räume, in denen sie einen eigenen Weg entwickeln konnte. Zunächst galt es, sich von ihrer Vergangenheit zu befreien und neu zu erfinden: als Person, die ihre eigene Stimme hört und sich im Leben wohlfühlt. Es war und ist immer noch ein mühsamer Prozess. Geholfen haben ihr dabei die Literatur und das Kino. Im Film versuchte sie, Muster zu finden oder zu erschaffen, die ihr im Leben bisher fehlten. In ihren kurzen und langen Filmen, darunter dem Spielfilm «Wet Sand», der die heteronormative patriarchale Struktur in ihrer Heimat in Frage stellt, versuchte sie, unsichtbare Geschichten sichtbar, ungehörte Stimmen hörbar zu machen und ihnen einen Raum für ein marginalisiertes Leben zu schaffen. Ihre Praxis ist die Sprache des Widerstands gegen Verleugnung und Vergessen. Mit «Blackbird Blackbird Blackberry» ist ihr das Porträt einer höchst ungewöhnlichen feministischen Heldin gelungen, die in dem Moment aufblüht, in dem die Menschen um sie herum zu verblassen beginnen: die letzte und süsseste Brombeere am Strauch. Der Film zeichnet sich aus durch grosse inszenatorische Reife und gleichzeitig jugendliches Temperament. Er verleiht den vielen vermeintlichen Nichtigkeiten im Leben eine erhabene Bedeutung.

Elene Naveriani

Elene Naveriani, die Regisseurin

… zur Protagonistin Etero Gelbakhiani

Die 49-jährige Etero (Ela Chavleishvili) lebt in einem kleinen abgelegenen georgischen Dorf allein, hat keine Familie, nur einen kleinen Laden mit dem täglichen Bedarf. Männer, Ehe, Kinder – nach Eteros Meinung braucht das keine Frau, da dies nur Leiden mit sich bringt. Dass ihre Nachbarinnen und Freundinnen sich über sie das Maul zerreissen, stört sie nicht, kontert sie entschieden: «Wenn Ehe und Schwänze glücklich machen würden, dann wären viele Frauen glücklich. Aber wer ist denn hier schon glücklich?» Schliesslich findet sie deren Alltag voller Beziehungen, Belastungen und Verpflichtungen unerträglich und ist überzeugt, als Einzelgängerin die bessere Wahl getroffen zu haben. Als sie sich jedoch plötzlich und unerwartet in eine Affäre mit dem höflichen und charmanten Murman (Temiko Chichinadze) hineinstürzt, werden ihre Welt und ihre Überzeugungen auf den Kopf gestellt. Einerseits versucht sie, die Beziehung mit allen Mitteln geheim zu halten, andererseits muss sie feststellen, dass einige ihrer Überzeugungen möglicherweise doch nicht so unverrückbar sind, wie sie dachte. Ausserdem wird klar, wie sehr Etero und ihre Lebensweise das Produkt ihrer eigenen, problematischen Familiengeschichte sind.

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Etero mit Nachbarinnen

Von der Hauptfigur …

Etero ist auf ihre Weise eine Feministin, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie kämpft gegen schmerzhafte Erfahrungen, die sie in ihrer Vergangenheit erlitten hatte. Sie war unsichtbar und hat sich seit dem Tod ihres Bruders und ihres Vaters, die sie in einer kurzen Rückblende als Hure anbrüllen, ihr Leben fernab von Männern eingerichtet. Sie betreibt einen Laden für Haushaltswaren, die nur von Frauen gekauft werden, und führt ein einfaches, unabhängiges Leben. Jeden Tag gewinnt sie eine kleine Revolution, indem sie sich der Rolle stellt, die die Gesellschaft ihr zuweist. Ihr Ziel ist es nicht, die Welt zu revolutionieren, sie wartet nur auf ihren Ruhestand, bis sie mit dem hart verdienten und in Büchern versteckten Geld niemandem mehr dienen muss. Denn sie ist mit ihrem bescheidenen Leben zufrieden.

Eine komplexe Person voller Widersprüche ist Etero: Was sie in der Öffentlichkeit tut und sagt, lehnt sie zu Hause ab und hasst es. Sie lebt ein Doppelleben: Einerseits hat sie Angst davor, beurteilt zu werden, andererseits ist ihr egal, was andere denken. Sie hält sich vom Klatsch im Dorf fern, indem sie ein sauberes öffentliches Image aufrechterhält. Ihre Beziehungen zu ihren Nachbarinnen sind oberflächlich. Dank langjähriger Erfahrung und einer starken Intuition ist sie eine unabhängige Feministin. Die ganze vorsichtige Ordnung von Eteros Welt bricht mit Murmans Ankunft zusammen. Mit 49 Jahren hat sie ihre erste sexuelle Beziehung. Sie war ihr ganzes Leben lang Single und er ist ein verheirateter Mann. Sollte diese verbotene Liebe öffentlich werden, würde sie zur Ausgestossenen im Dorf. Trotz der Risiken sagt ihr Instinkt, dass sie weitermachen soll, denn diese Beziehung löst bei ihr Gefühle und Empfindungen aus, die sie noch nie erlebt hat. Die Entdeckung der Sexualität im fortgeschrittenen Alter ist ein Element, das für sie wichtig wird. Der Körper wird zu einem wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit. «Dahin geht also meine achtundvierzigjährige Jungfräulichkeit» spricht sie im leeren Haus vor sich hin. Sie trägt eine natürliche Sinnlichkeit in sich und springt mit beiden Beinen in die Freuden des Sex, ohne Scham oder Grenzen.

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Beim Treffen im Wald

… und deren Verfilmung

Elene Naveriani und die Kamerafrau Agnesh Pakozdi teilen eine präzise Bildsprache, die ein Schlüssel ist zu all ihren bisher gemeinsam realisierten Filmen. Sie wollten, dass die Verfilmung die Geschichte auf eine vorsichtige und sensible Weise verhüllt und enthüllt. Die Kamera tritt bei ihr etwas in den Hintergrund, ihr Körper und ihre Gesten sind wichtiger: Körperhaltungen, kleine Bewegungen und Blicke sind die Schlüssel zu ihrer Seele. Die beiden glauben an eine Filmsprache, die den Zuschauenden Raum für die Reflektion lässt, dass sie die Emotionen frei erleben, nicht diktiert erhalten.

Für «Blackbird Blackbird Blackberry» mussten die Filmenden Formen und Volumen der Körper aufnehmen, die normalerweise nicht auf der Leinwand zu sehen sind. Sie haben sehr darauf geachtet, sie mit Sympathie und Zärtlichkeit zu zeigen und ihre Texturen zu betonen, um einen Effekt der Intimität und die erotische Spannung zu erzeugen, die für die Erzählung ohne Scham und Grenzen notwendig sind. Etero tut etwas, was andere Frauen nie wagen würden, und sie weiss es. So spielen wie im letzten Film von Elene Naveriani auch in diesem Körper, Politik und Sexualität eine wichtige Rolle. Kulturell und gesellschaftlich werden mit zunehmendem Alter der Frauen ihr Körper, im Vergleich zu jüngeren, von der Gesellschaft in Waren verwandelt und als «veraltet» angesehen. Etero trägt ihr leichtes Übergewicht und ihre Rundungen mit Selbstbewusstsein. Sie lässt sich nicht von konventionellen Schönheitsnormen beeinflussen. Sie liebt sich selbst, ihren ganzen Körper, ihre Brüste, ihre Hüften, sie fühlt sich attraktiv. Ihre Überzeugung ist persönlich, aber ihre Haltung revolutionär. Jede Bewegung von Etero ist mit sexueller Spannung gesättigt, ihr Alltag aufgeladen mit Erotik. Die Regisseurin wollte sie so darstellen, weil Eteros Sexualität und Körper das sind, was auf den Leinwänden des Mainstreamkinos fehlt.

Die Regisseurin

Elene Naveriani wurde 1985 in Tiflfis geboren, machte 2003 ihren Abschluss an der Staatlichen Kunstakademie in Tbilissi im Fach Monumentalmalerei, nach einem Master Critical Curatorial Cybermedia an der Haute école d'art et de designe de Genève begann sie ihr Filmstudiium. Heute lebt sie meist in der Schweiz.

Anmerkungen der Regisseurin Elene Naveriani
Regie: Elene Naveriani, Produktion: 2023, Länge: 112 min. Verleih: Frenetic

Regie: Elene Naveriani, Produktion: 2023, Länge: 112 min. Verleih: Frenetic