Capitalism: A Love Story

Nach den Filmen «Roger & Me» über GM, «Bowling for Columbine» über den Waffenbesitz der Amerikaner, «Fahrenheit 9/11» über die Geschäfte der Bush-Familie und «Sicko» über das US-Krankheitswesen untersucht der hoch dekorierte Michael Moore in «Capitalism: A Love Story» wie immer kritisch und mit bissigem Humor Ursachen und Auswirkungen der globalen Finanzkrise.

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Michael Moore (55) hat im neuen Film sein Herz für diejenigen entdeckt, die die aktuelle Finanzkrise verursacht haben. Mit einem ironischen Spendenaufruf für die Vorstände diverser US-Banken wendet er sich jetzt auf seiner Webseite an die amerikanische Gesellschaft, den armen Bank-Chefs zu helfen. In Tat und Wahrheit schlägt sein Herz jedoch für jene, die unter den kriminellen Machenschaften skrupelloser Banker und ihren Lobbyisten in der Regierung, der Verwaltung und den Medien leiden. «Dieser Film wird keine Lektion in Ökonomie, sondern eher ein Vampir-Film», so Moore, «nur, dass sich die Hauptakteure nicht am Blut ihrer Opfer weiden, sondern an ihrem Geld. Und, wie es aussieht, bekommen sie nie genug davon.»

Die Filme von Moore sind immer interessant und unterhaltsam. Er hat Witz, ist frech, macht das, was wir nicht zu machen uns getrauen und liefert, an Einzelschicksalen aufgezeigt, Analysen der Systeme, nach denen die verschiedenen Bereiche die Welt funktioniert. Dafür beschafft er sich und uns eine Unmenge heisser Informationen, von denen viele auch gut Informierten bei uns nicht bekannt sein dürften. Unter Selbstverständlichkeiten und Trivialitäten sind bei ihm immer wieder äusserst wertvolle Trouvaillen zu finden.

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So sehen wir im neuen Film eine längst verschollen geglaubte Rede von Franklin D. Roosevelt, der sozial gerechtere Änderungen der «Bill of Rights» einforderte. Diese Rede unterstützt die These, dass das amerikanische Wirtschaftssystem seit je auf Kosten des kleinen Mannes geht und die derzeitige Wirtschaftkrise bloss der Höhepunkt einer falschen Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg sei. Moore schliess daraus: Die Demokratie hat die Wirtschaft zu bändigen, zu kontrollieren, in ihrer Führungsfunktion zu entheben.

Was machen wir mit diesen Provokationen?

Die für hiesige Film- und TV-Rezipienten (zu) vielen, (zu) schnell und (zu) kurz gezeigten Informationen sind gefährdet, bereits am Schluss des Films vergessen zu sein. Zurück bleibt – so hoffe ich wenigstens – eine grosse Wut über die unendliche Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Leicht wird man, emotionalisiert durch den geschickt gemachten Film, schliessen mit der Feststellung: Die Welt ist ein Irrenhaus, dagegen etwas zu unternehmen, ist hoffnungslos. Ob dies richtig ist oder falsch, hat jeder, hat jede für sich zu beurteilen.

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Die politischen Konsequenzen eines solchen Schlusses oder Kurzschlusses (?) können zweifach sein: Ein Teil des Publikums wird durch diese Provokation herausgefordert, sich weiter oder neu zu engagieren, dafür zu arbeitet, um diesen Irrsinn wenigstens in eigenen Umfeld zu verkleinern. Ein anderer Teil wird ganz einfach aufgeben, resignieren, da alles ja doch keinen Sinn hat, Normen wie Gerechtigkeit oder Mitmenschlichkeit in diese Welt nicht existieren, und dann einfach drauflos leben und das Leben für sich gemütlich einrichten.

Noch eines ist erwähnenswert: Moore filmt über Amerika. Doch vieles trifft, vor allem im neuen Film, weitgehend auch auf Europa und vor allem die Schweiz, diesen Musterknaben des Kapitalismus, zu. Anschauungsmaterial gibt es täglich: Von den Banken, die nichts gelernt haben, der Politik, die sich der weiter Wirtschaft fügt, und von den Chefideologen des Kapitalismus, die zwar etwas leiser geworden sind, doch schon jetzt wieder jede staatliche Kontrolle verdammen und weiter das Loblied auf die sich selbst regulierende so genannte freie Wirtschaft singen.

Alles in allem: Vieles zum Nachdenken und Handeln, dank Michael Moore