Class Enemy

Im Chaos der Beziehungen: Gibt es einen Weg zwischen Kuschelpädagogik und autoritär? Rok Biček führt uns im Film «Class Enemy» auf eine spannenden Slalomfahrt zwischen beiden Extremen und thematisiert die Grenzen des Wahrnehmens.

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Dicht und intensiv ist der mehrfach ausgezeichnete slowenische Spielfilmerstling «Class Enemy» über den Mikrokosmos einer gewöhnlichen Schulklasse. Mit einem Drehbuch, das Einzelgeschichten klug miteinander verbindet, mit einer Kamera, die Bilder mit starken Aussagen hervorbring, Darstellerinnen und Darstellern, die einen mitnehmen, sowie dem Regisseur Rok Biček (*1985), der den komplexen Stoff bändigt und uns stets aufs Neue verunsichert.

Als neuer Deutschlehrer einer Oberstufenklasse wird Robert Zupan den Schülern vorgestellt: streng, gerecht und leistungsorientiert, oft emotionslos, gelegentlich herablassend. Sein erklärtes Ziel ist es, die jungen Menschen auf den Ernst des Lebens vorzubereiten, wozu er aus der Belletristik, etwa «Tonio Kröger» von Thomas Mann, und den Regeln und Riten der Gesellschaft Anregungen findet. Im Klassenzimmer herrscht eine angespannte Stimmung zwischen ihm und den Jugendlichen, die eben ihre Lieblingslehrerin Nusa verabschieden mussten, weil sie ein Kind erwartet. Eines Tages verlässt die sensible 17-jährige Schülerin Sabina nach einem Gespräch mit dem neuen Lehrer tränenüberströmt den Raum. Als sie sich wenig später das Leben nimmt, hält die Klasse ihn schuldig und beginnt, auch wenn Beweise fehlen, einen Kampf gegen den Lehrer, die Schule, das System. Jetzt steht nicht mehr die Tote im Mittelpunkt, sondern sind es die Hinterbliebenen. Der Aufstand beschreibt die aktuelle Identitätskrise des Lehrer-Seins ebenso präzise wie die Hybris einer Generation, die keinen Respekt mehr kennt. Die Direktorin bringt es auf den Punkt: «Willkommen im 21. Jahrhundert. Früher hatten die Schüler Angst vor uns, jetzt haben wir Angst vor ihnen.»

Der neue Mann hat es nicht leicht, denn er ersetzt eine Frau, die es geschafft hat, ihre wilde Klasse mit emotionaler Nähe zu zähmen oder zumindest ruhig zu halten und sich so beliebt gemacht hat. Er dagegen hat andere Ansprüche an die Pädagogik: «Lernen heisst nicht wissen, wollen heisst nicht können», zitiert er den slowenischen Schriftsteller Ivan Cankar gleich in der ersten Stunde. Damit steht eine Problematik im Raum, die es heute in Schulen, aber auch anderen Einrichtungen gibt.

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Wer ist wohl schuld an Sabinas Suizid?

Hilflosigkeit all überall

Nach der anfänglichen Beklommenheit und den ersten flüchtigen Tränen macht sich in der Schule Hilflosigkeit breit. Die Jugendlichen, die Lehrpersonen und die Direktorin sind überfordert, selbst die Schulpsychologin versteckt sich hinter Floskeln. Richtig trauern kann niemand. Stattdessen bricht in der Klasse offene Rebellion gegen den Deutschlehrer aus, der am Tage des Begräbnisses bereits den Unterricht auf gewohnte Weise fortsetzen möchte. Doch er hat es nicht nur mit rebellierenden Jugendlichen zu tun. Auch im Lehrerzimmer wird heftig diskutiert, und hinter den Jugendlichen stehen die Eltern, die sich nicht wesentlich anders benehmen als ihre Kinder. Mit dieser Ausweitung deutet Rok Bi ek wohl an, dass es ihm nicht bloss um Erziehungskritik, sondern auch um Gesellschaftskritik geht.

Wer nun glaubt, die Sympathien des Films lägen klar bei den Schülern oder beim Lehrer, irrt sich. Obschon wir immer wieder dazu neigen, rasch mit der einen oder anderen Seite zu sympathisieren, wird dies hier verhindert. Der Regisseur hat sich zu keinem Zeitpunkt klar für die eine oder die andere Seite entschieden. Er lenkt unsere Anteilnahme und Sympathie zunächst auf die eine, dann die andere und schliesslich die dritte Seite und konfrontiert uns zum Schluss mit der grundsätzlichen Erkenntnis, dass der Schein immer wieder trügt, dass Wahrnehmen immer subjektiv, nie objektiv ist.

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Klassenkampf mit den Mitteln der Jugendlichen

Neues Wissen suchen, neues Handeln einüben

Ausgehend von Ereignissen, die in jeder Schule, jedem Team, jeder Gemeinschaft möglich sind, zeigt «Class Enemy» akribisch genau, welche Prozesse sich dabei abspielen können. Der Film konfrontiert uns mit Fragen wie: Wer ist ein guter Lehrer? Ein verständiger Vorgesetzter? Wie reagieren Teams in der Krise? Was bedeutet Empathie? Wie funktioniert die Gruppendynamik? Wann hat Kommunikation Erfolg?

Solches in einem Film mitzuerleben, kann wertvoll, vielleicht sogar notwendig sein. «Class Enemy» ist deshalb ein wichtiger Film, auch wenn er manchmal etwas spröd und kopflastig daherkommt. Während fast zwei Stunden werden unsere Sympathien und Überlegungen hin- und hergerissen, wohl mit dem Ziel, unsere Urteile und Vorurteile wahrzunehmen, zu verstehen und nötigenfalls zu korrigieren.

Regie: Rok Bi ek
Produktionsjahr: 2013
Länge: 112 min
Verleih: trigon-film