Cold War – Der Breitengrad der Liebe
Das Liebepaar Wiktor und Zula
Der Musiker Wiktor begegnet Zula bei einem Vorsingen und engagiert die eigensinnige junge Frau mit der göttlichen Stimme, ohne gross nachzudenken, für seinen Chor. Zwischen den beiden entflammen sofort heftige Liebesgefühle, ihre Leidenschaft scheint keine Grenzen zu kennen. Wiktor wird zunehmend politisch vereinnahmt. Anfangs der 1950er-Jahre nutzt er deshalb einen Auftritt in Ostberlin, um sich in den Westen abzusetzen. Während er etwas später in Paris den Jazz entdeckt, macht sie in Polen Karriere. Vergessen können sich die beiden nicht. In Berlin, Warschau, Paris und Split führt sie das Leben immer wieder für kurz oder lang zusammen. Der Film dieser Amour fou ist gleichzeitig ein Dokument des Kalten Krieges in Polen. Der Filmemacher Pawel Pawlikowski widmete ihn seinen Eltern.
«Cold War – Der Breitengrad der Liebe» erstreckt sich über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren. Obwohl er chronologisch erzählt ist, macht er Auslassungen. Jahre bleiben aussen vor. Auch im realen Leben gibt es versteckte Gründe, unvorhersehbare Auswirkungen, Doppeldeutigkeiten, Geheimnisse und Sprünge, «dass es schwerfällt, dies alles in ein konventionelles Drama mit Ursache und Wirkung umzusetzen. Es ist deshalb besser, nur die starken und entscheidenden Momente der Geschichte zu zeigen und das Publikum die Lücken mit seiner eigenen Vorstellungskraft und Lebenserfahrung füllen zu lassen», meint der Regisseur, und «der Effekt ist, dass diese Liebe unter einem schlechten Stern die Struktur des Filmes reflektiert.»
Der Chorleiter und Pianist Wiktor
Die Schauplätze der Liebesgeschichte
Polen, 1949: Zu Beginn des Films kämpft Polen mit den Kriegsfolgen, auf dem Land gibt es keine Elektrizität, Warschau liegt in Ruinen. Wiktor und Zula reisen als musikalische Ethnografen durchs Land, mit dem Resultat: das Tanz- und Musik-Ensemble Mazurek.
Ostberlin, 1952: Das Ensemble wird zum Jugendfestival nach Ostberlin geladen. «Heute Berlin, morgen Moskau», proklamiert Kaczmarek, der zuständige Funktionär. Wiktor sieht das anders, kennt das Risiko seiner Reise nach Berlin; Zula ist sich dessen ebenfalls bewusst, reist aber nicht mit.
Paris, 1954: Wiktor spielt in einem Jazzclub Piano. Unvermittelt taucht Zula auf. Das Mazurek-Ensemble tritt hier erstmals ausserhalb des Ostblocks auf, wird von der polnischen Staatssicherheit überwacht. Doch die beiden Liebenden entwischen. Diese Episode war von einem realen Ereignis inspiriert.
Jugoslawien, 1955: Mazurek tritt in der Sozialistischen Republik Jugoslawien auf. Das Land ist unabhängig, es scheint für Wiktor sicher, zu Zula reisen zu können. Mit einem Pass als Staatenloser fährt er nach Split. Doch bevor sie sich treffen, wird er von der Polizei weggebracht.
Paris, 1957: Zula besucht Wiktor in Paris. Sie hat inzwischen geheiratet. Damals konnte man Polen rechtmässig verlassen, wenn man einen Westler heiratete und keine Staatsgeheimnisse hütete. Sie bleibt, schlägt sich in Paris als Sängerin durch, Wiktor vertont Filme.
Paris, 1959: Nach dem Ende ihrer Beziehung kehrt Zula nach Polen zurück, um dort ihre Karriere fortzusetzen. Indem Wiktor ihr folgt, weiss er, was auf ihn zukommt, er geht dennoch und wird inhaftiert.
Polen, 1959: Sie kehrt in ihre Heimat zurück. Er fährt ebenfalls, wird gefoltert, soll für fünfzehn Jahre ins Exil, trifft Zula. Sie hat ein Kind, verspricht, ihn zu befreien. Wiktor und Zula suchen eine verfallene, alte Kirche auf und heiraten. Und der Film schliesst mit offenem Ende.
Zula als Sängerin
Liebe und Politik
Den Film «Cold War – Der Breitengrad der Liebe» hat Paweł Pawlikowski seinen Eltern gewidmet. Der echte Wiktor und die echte Zula starben 1989 kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. Sie hatten die letzten vierzig Jahre zusammen verbracht, trennten und fanden sich immer wieder, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. «Es waren starke, wunderbare Menschen, aber als Paar eine komplizierte und zerrissene Liebe, eine unendliche Katastrophe», erinnert sich der Filmemacher. Obwohl das fiktive Paar anders ist als das echte, sinnierte der Filmemacher fast ein Jahrzehnt, wie er die Geschichte seiner Eltern erzählen könne und versuchte, das Geheimnis ihrer Beziehung zu ergründen: «Ich habe lange gelebt und viel gesehen, aber die Geschichte meiner Eltern hat alles andere in den Schatten gestellt. Sie waren die interessantesten dramatischen Figuren, die mir je begegnet sind.»
Ob der Kommunismus das Leben der Protagonisten erweiterte oder beschränkte? Er übte Druck aus, da er als Gefühl der Bedrohung stets hinter ihnen stand. Wenn Zula zugab, Wiktor verraten zu haben, war es für sie notwendig, um zu überleben. Als der Minister das Ensemble aufforderte, Lieder über die Agrarreform und den Weltfrieden ins Repertoire aufzunehmen, widersetzte sich Zula, doch eine Ode auf Stalin und den Frieden wurde schliesslich doch gesungen. Wiktor verhielt sich anders, er schwieg, was jedoch zum Ende seiner Karriere zur Anpassung und Selbstauflösung führte. Im Kern geht es dem Film jedoch nicht um Politik, sondern um etwas Universelleres; die Politik dient bloss als Folie.
Kultusminister Kaczmarek
Ungewohnte Bild- und Tongestaltung
Nachdem Pawlikowski die Liebenden für seinen Film entworfen hatte, benötigte er ein Medium, um sie immer wieder zusammenzubringen. Dafür fand er die Musik; ausgehend vom Mazurek-Ensemble, das für Volksmusik und -tanz warb, real eine Gruppe, die nach dem Krieg gegründet wurde und noch heute existiert. Im Weiteren baute er die Musik der Sechzigerjahre in Berlin, Paris und Split als verbindendes und motivierendes Element in die Geschichte ein.
Wer «Ida», seinen letzten Film, kennt, wird die poetischen Schwarz-Weiss-Bilder wiedererkennen und vermuten, dass dies zu seiner Handschrift gehört. Doch eigentlich wollte er den neuen Film in Farbe drehen: «Als ich die Möglichkeiten für einen Dreh in Farbe untersuchte, stellte ich fest, dass dies unmöglich ist, weil ich schlichtweg nicht wusste, in welchen Farben es sein soll. In Polen waren die Farben unscheinbar, grau, braun, grün, schwarz. Es war also keine Sache der Ästhetik, sondern des realen Lebens. Polen war zerstört, die Menschen trugen nur dunkle Farben. Schwarz-Weiss war die einzig ehrliche Lösung.»
Das fast quadratische 1:1.33-Bildformat, das Pawlikowski bei «Ida» verwendet hatte, war für ihn auch bei «Cold War – Der Breitengrad der Liebe» naheliegend. «Dieses Format hilft, wenn man nur wenig Geld zur Verfügung hat, dass man nicht so viel von der Welt zeigen muss.» Wenn er zusammen mit seinem Kameramann Łukasz Żal innerhalb der beschränkten Bildbreite dennoch mehr zeigen wollte, haben sie die Kamera höher platziert und so mehr Tiefe erhalten.