Crowrã – The Buriti Flower
Kinder beobachten die Tiere des Waldes
Im Herzen der brasilianischen Dornbuschsavanne namens Cerrado lebt das Volk der Krahô (mehr darüber im Anhang). Gemeinsam mit der indigenen Gemeinschaft haben João Salaviza und Renée Nader Messora (Biofilmografien im Anhang) einen Film geschaffen, in dem die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion fliessen und der uns den Alltag, die Geschichte und den Kampf um die Rechte im Land zeigt. Zentraler Schauplatz ist eines der typischen kreisförmig angeordneten Dörfer der Krahô, in dem die junge Patpro mit ihrer Tochter lebt. Sie beteiligt sich an den Tätigkeiten des Alltags und plant eine Reise in die Hauptstadt Brasilia, um an einer Grossdemonstration für die Rechte der Indigenen teilzunehmen. Ihr Onkel Hyjnõ nimmt Wilderer an der Grenze fest, während ihre Tochter Jotàt im Schlaf in historische Traumata eintaucht.
Was die beiden Filmschaffenden mit «Crowrã – The Buriti Flower» geleistet haben, ist einmalig, überzeugend, überragend und erinnert an die «Divina Commedia» von Dante Alighieri, die mit den drei Kapiteln «Paradiso», «Purgatorio» und «Inferno» die Welt umspannt.
Aus «Directors Note»
Wir sind der tiefen Überzeugung, dass der Akt des Filmemachens es uns ermöglicht, gemeinsam zu denken und Geschichten zu erschaffen. Dieser Film entstand aus dem Wunsch heraus, über die Beziehung zwischen dem Volk der Krahô und ihrem Land nachzudenken, und darüber, wie die Gemeinschaft diese Beziehung im Laufe der Zeit gestaltet hat. Die verschiedenen Formen der Gewalt, denen die Krahô in den vergangenen Jahrhunderten ausgesetzt waren, haben auch eine Bewegung zum Schutz des Lands ausgelöst, was sie, neben der primären Notwendigkeit für ihre Gemeinschaft und Kultur in Würde leben zu können, als höchstes Gut betrachten.
Die Herausforderungen, mit denen die Krahô heute konfrontiert sind, spiegeln sich auf dem gesamten Kontinent wider. Was wir hier in einem sehr spezifischen und besonderen Kontext erzählen, ist auch die Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas seit ihrer Eroberung. Während die Formen der Gewalt vielfältig sind und ganze Völker auslöschen können, sind die Formen des Widerstands noch viel dynamischer und werden täglich neu erfunden. (Integral steht der Text im Anhang.)
In der Gemeinschaft des Dorfes
Eindrückliche Erfahrung der Achtsamkeit
In unserer Wahrnehmung dieses Filmes entsteht ein Erzählfluss, in dem die Zeit keine Rolle spielt. Er ist wie eine Momentaufnahme von hundert Jahren Gemeinsamkeit, als sprudle es aus dem Inneren der Erde heraus, auf der die Krahô leben. Wie sich ihr Leben gestaltet, sehen wir genauso wie wir von dem hören, was sie umtreibt. Es hat etwas Halluzinierendes, diesen Film anzuschauen und einzutauchen in seine Welt. Sie in ihrem Wesen zu spüren und ihre Bedrohungen in voller Stärke zu erfahren. Auch wenn wir die Bedeutung einzelner Szenen nicht verstehen, erhalten wir Einblick in eine das ganze Leben umfassende Geschichte.
Mit einem langen, eindringlichen Gesang laden uns in der Einleitung Männer ein, die Buriti-Blüten zu pflücken. Später sind wir dabei, wenn eine schwangere Frau mit den ersten Wehen auf die Geburt wartet. Dann sehen wir, wie ein wildes Rind Jugendliche bedroht und diese sich beraten, wie sie es fernhalten können. Aus der nötigen Distanz, und dennoch aus berührender Nähe, sind wir dabei, wenn eine Mutter sich um ihr Kind, das unerklärliche Angst hat, kümmert und ihm helfend beisteht. In eindrücklichen Bildern erleben wir die Stille der Nacht, das Erwachen des Morgens und schliesslich den helllichten Tag in einem Dorf voll schönen Lebens. Eine Mutter badet mit ihrer Tochter im Fluss. Kinder tummeln sich In der Wildnis, Frauen arbeiten, Männer sprechen miteinander. In vielen Szenen herrscht eine Stimmung wie in Dantes «Paradiso».
Das junge Paar, das ein Kind erwartet
Vom Reden und Schweigen
Eindrücklich berühren uns der Respekt, die Disziplin und Anteilnahme ihrer Kommunikation. Allmählich erfasst eine unruhige Aufbruchstimmung die Menschen. Die Fahrt zur grossen Demonstration in Brasilia steht bevor. Schon auf der Brücke des Lastwagens, der zum Ziel fährt, lauschen die Reisenden aufmerksam der Protestrede einer indigenen Frau auf dem Handy. Bald schon sind sie mitten in der engagierten Auseinandersetzung und im besinnlichen Nachdenken über die gehörten Worte und gezeigten Ereignisse. Unerwartet taucht ein Trupp Grossgrundbesitzen auf, hoch zu Ross und Angst verbreitend. Bei einem Zwischenhalt lauschen wir den alltäglichen, ruhigen, sich gegenseitig ernst nehmenden Alltagsgesprächen.
Die Gefahr kommt bedrohlich nah. Über die Demonstrierenden schleicht die Angst. Sie werden still, bereiten sich, aufgrund früherer Erfahrungen, auf das Schlimmste vor. Die jungen und alten Männer und Frauen haben nur ein Ziel: die Hauptstadt. Am Strassenrand ein Plakat für Jair Bolsonaro. Vielleicht ist das hier Dantes «Purgatorio». Zu Hause wird im Garten gearbeitet und geerntet. Die Demonstrationszüge werden zahlreicher, die Reden lauter, eine emotionale Bewegung erfasst alle. Auf den Handys schauen sich Einzelne Filme vergangener Überfälle und Massaker an. Rituelle Tänze werden lauter. Demonstrierende sind konfrontiert mit den Grossgrundbesitzern.
Der Anführer, der nach Brasilia reisen wird
Die Hoffnung der Hoffnungslosen
Die Ureinwohner erzählen sich alte Geschichten: Während eines Festes der Indigenen kamen vor Jahren im Morgengrauen die Eindringlinge ins Dorf, trieben deren Tiere weg und erschossen zahlreiche Menschen. Von einem brutalen Abschlachten erzählen frühere Filmaufnahmen. Niemand darf überleben, hiess es. Wer fliehen konnte, machte es. Zurück blieben die Toten. Die Hütten wurden angezündet. Von nah sehen wir in die Gesichter, die anfangs Schrecken, dann Trauer widerspiegeln. Der grosse Aufmarsch der sich vereinenden Gruppen führt in die Hauptstadt. Eine Stimmung von grosser Wut und leiser Hoffnung verbreitet sich.
Das Wissen über die aktuelle Politik lässt kaum Raum für Hoffnung. Auch wenn Bolsonaro weg ist, der Bolsonarismus bleibt und breitet sich aus, unterstützt von der katholischen und den evangelikalen Kirchen. Damit sind wir wohl, von den verfolgten Menschen erlebt, im «Inferno» angekommen, um es mit Dante zu beschreiben. Die Grossgrundbesitzer haben die Indigenen nicht respektiert, werden sie nie respektieren. Das beweisen die aktuellen Ereignisse beim Volk der Krahô und in andern Ländern, wo die Indigenen ausgerottet werden. Der Film endet mit zwei extrem gegensätzlichen, symbolstarken Szenen: Beim riesigen Demonstrationszug werden Brandreden der Indigenen gehalten, wird getanzt und gesungen; parallel dazu schenkt die Frau des Anführers, die im Dorf geblieben ist, der Welt ein Kind und damit neues Leben.