Das Ende ist mein Anfang

Berührender Dokumentarspielfilm von Jo Baier über die letzten drei Monate im Leben des Journalisten Tiziano Terzani, nachdem er die Diagnose Krebs erhalten hat. Ein Film, der wohl niemand, ob alt oder jung, kühl lässt, mit einem grossartigen Bruno Ganz in der Hauptrolle.

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Tiziano Terzani, bekannter Autor und langjähriger Südostasien-Korrespondent des «Spiegel», bittet am Ende seines ereignisreichen Lebens seinen Sohn Folco zu sich in sein Haus in der Toskana, um ihm die Geschichte seines Lebens zu erzählen, seine spirituellen Erfahrungen der letzten Jahre und wie er sich auf den Tod als «letztes grosses Abenteuer» vorbereitet. Die ganze Familie ist versammelt, als dieser seine letzte Reise antritt und sich für ihn im Juni 2004 der Kreis des Lebens schliesst. Nach dem Tod des Vaters gibt der Sohn anhand seiner Aufzeichnungen das Buch «Das Ende ist mein Anfang» heraus, das dem Film als Vorlage dient.

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Bruno Ganz macht mit einer schauspielerischen «tour de force» die filmische Adaption des Erfolgsbuchs zu einem eindrücklichen und zeitlosen Dokument der «conditio humana». An seiner Seite überzeugt der junge italienische Schauspieler Elio Germano als Sohn Folco, der zusammen mit Ganz eine überzeugende Vater-Sohn-Dynamik auf die Leinwand bringt. Ergänzt wird diese durch Erika Pluhar als seine Frau und Andrea Osvárt als Tochter Saskia. «Das Ende ist mein Anfang» handelt nicht nur von Fragen, die sich jeder und jedem stellen, wenn wir unser Leben bewusst leben, sondern auch davon, wie sich zwei Menschen näher kommen.

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Die Kamerafrau Judith Kaufmann fand dazu abwechslungsreiche und stimmungsvolle Bilder, die einen zum Hören einladen: «Man hört nicht automatisch zu, wenn man das entsprechende Gesicht sieht. Wir haben nach Bildern gesucht, die den Text nicht illustrieren, sondern ihm etwas hinzufügen. Bilder aus der Natur. Dämmerung und Lichtstimmung waren natürlich sehr wichtig beim Thema Vergänglichkeit.»

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Aus einem Interview mit dem Regisseur Jo Baier

Wie findet man Bilder, kann man diesen Prozess beschreiben?

Bilder finden ist eine Frage der Erfahrung. In der Regel stellen sich Bilder ein, wenn man den Text liest. (…) Wenn ich Bücher lese, übertrage ich sie in der Regel in Bilder. In diesem Fall war das viel einfacher, weil das Motiv schon vor uns existierte. Wir haben das, was Realität war, in den Film übernommen.

Welche Vorstellung haben Sie beim Lesen des Drehbuchs vom Menschen Tiziano Terzani entwickelt?

Das Bild von Tiziano Terzani ist in mir schon vor dem Drehbuch entstanden, auch aus Gesprächen mit der Familie, vor allem aber natürlich zunächst durch das Buch «Das Ende ist mein Anfang». Aber ich bin zu sehr Dokumentarfilmer, um nicht auch hinter die Fassade des Buches zu blicken, zu sehen, inwieweit ist das Buch Realität, inwieweit ist sie ausgespart. Das Buch ist sehr aufschlussreich, weckt aber die Lust darauf, mehr Privates zu erfahren. Das Buch ist sozusagen seine öffentliche Seite. Um einen Menschen greifbar und sichtbar zu machen, braucht man Elemente, die nicht im Buch enthalten sind. Dieser Prozess von Form, Dramaturgie oder Nicht-Dramaturgie, das ist eine längerfristige Angelegenheit. Sehr aufschlussreich war für mich die Begegnung mit Angela Terzani, weil sie in dem Buch nicht sichtbar geworden ist. Folco dagegen habe ich auch in einer frühen Phase kennen gelernt, wir haben viele Gespräche geführt. Mit diesem Puzzle-Spiel aus lauter Einzelstücken ergänzt man den Stoff und rundet auch das Bild von Tiziano ab. Erst einmal ist er mein Held, er sagt vieles, was mir aus der Seele spricht, dann aber gibt es Momente, die mich irritieren. Es ist auch wichtig, dass man sich an Dingen reiben kann. Er war sicher eine sehr komplexe Person. Und mehrdimensionale, vielschichtige Figuren interessieren mich nun mal mehr.

Wie war die Arbeit mit Bruno Ganz?

Erst einmal muss ich sagen, Bruno Ganz war für mich die Idealbesetzung. Ich hätte mir keinen anderen Schauspieler für Tiziano vorstellen können. Wir waren alle glücklich, als er uns zugesagt hat. In der Zusammenarbeit ist Bruno eher ein scheuer, sehr zurückhaltender Mensch, der eine Weile braucht – oder sich auch einfach Zeit lässt, um sich zu öffnen. Das muss man akzeptieren. Er hat sich wirklich intensiv mit dem umfangreichen Text auseinandergesetzt, mit der Person des Tiziano, wir hatten immer wieder wichtige und anregende Diskussionen darüber. Ich mochte das sehr. Es ist schön, mit einem so intensiven, nachdenklichen Schauspieler arbeiten zu dürfen, keine Frage. Letzten Endes haben wir versucht, bei der Filmfigur eine Mischung aus dem wirklichen Tiziano (von dem es ja viele Filmaufnahmen gibt) und dem wirklichen Bruno Ganz zu finden. Das ist natürlich eine Gratwanderung. Aber ich finde, Bruno hat das wunderbar gemacht.

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Aus einem Interview mit Bruno Ganz

Wie war Ihre erste Annäherung an Tiziano Terzani?

Ich habe zuerst das Buch gelesen, ehe das Drehbuch fertig war, und dann noch ein anderes, über die Geschichte mit den Wahrsagern. Ich habe mich bei vielen erkundigt und war erstaunt, wie viele Menschen seine Bücher gelesen haben. Leute, die sich für Spirituelles interessieren, Leute auf Sinnsuche. Nicht nur die, die sich an seine «Spiegel»-Artikel erinnern, sondern auch Jüngere.

Was hat Sie an dem Weltmann Tiziano Terzani interessiert?

Die Mischung. Er hatte eine empfindsame Offenheit für den asiatischen Raum, gemischt mit hoch entwickelter italienischer Vernunft, dem Bewusstsein, Europäer zu sein, und er hat sich geöffnet. Dann ist er jemand, der in indischer Weise den Tod bewältigt. Das interessiert mich auch, aber mindestens ebenso sehr, dass er ein Zeuge ist des Jahrhunderts, Vietnam, Pol Pot, Mao erlebt hat bis zum bitteren Ende. Für mich als Schauspieler war interessant, wie erzählt man diese Ereignisse eines Jahrhunderts, die bis auf den heutigen Tag Folgen nicht nur für Amerika haben. Und dann die Himalaya-Reise, das hatte mit seiner Krebsdiagnose zu tun. Er wollte das nicht nur als Opfer erleiden, sondern etwas aufbauen, um mit dem Finalen, was uns allen bevorsteht, umzugehen. Diese Reise spricht für seinen Kampfeswillen und seine Kraft.

Können Sie beschreiben, wie Sie als Schauspieler in eine solch starke Persönlichkeit hineinschlüpfen?

Ich habe sieben Wochen lang Tag für Tag Text gelernt, manchmal bis zu acht Stunden täglich. Das Lernen ist nicht nur Mechanik, es setzt auch die Fantasie in Bewegung. So nähert man sich der Person. So zu tun, als sei man dieser Mann, ist Unsinn. Aber ich musste aus meiner Privatheit entlassen werden – der Bart hat dabei geholfen, aber ich war froh, als er wieder abkam. Es ging in diesem Fall nicht so sehr darum «ein realistisches» Portrait zu machen wie ich es z.B. bei Hitler versucht habe. Das ist eine andere Sache. Hier hat die Annäherung im Wesentlichen beim Textlernen stattgefunden.

Gibt es eine Szene, in der sich alles konzentriert?

Die Quintessenz ist die Zurückeroberung des Paradieses, das nicht mehr Entzwei-Sein mit der Welt. Im Himalaya auf etwa 6000 Meter Höhe sieht er eines Tages einen kleinen Marienkäfer, der über einen tiefen Abgrund Richtung Berge fliegt und stellt sich vor, er sei dieser Marienkäfer. Dieses Wiederfinden der Einheit, dieses kosmische Gefühl, dass man nur ein Teil ist von Allem in Zusammenhang mit dem Warten auf den Tod, das wird in dieser Szene ausgedrückt und vollständig nachempfunden. Das wird mir in Erinnerung bleiben, mehr als die Reiseberichte.

Welche Rolle spielt das Sterben oder der Tod in Ihrem Leben?

Mir fällt auf, dass es der dritte Film in Folge ist, in dem ich sterbe. Ich dachte, vielleicht wäre das eine spielerische Möglichkeit, sich dem Tod anzunähern, in dem man ihn als Schauspieler vorwegnimmt. Aber ich bin schon so oft auf Bühnen gestorben, und als junger Mensch weiss man einfach nicht, was das bedeutet. Da ist es toll, wenn man schön stirbt als Shakespeare-Figur, aber man ist zu blöd, man kapiert nicht, in welchen Räumen man sich da bewegt – es ist Kunst, Schauspielerei. Jetzt ist das natürlich ein bisschen anders. Aber ich denke, letztlich kann man sich nicht darauf vorbereiten. Ich denke schon darüber nach, weiss, dass ich mich mit solchen Filmen in der Nähe aufhalte. Aber ich sehe nicht, dass ich davon etwas mitnähme, das es mir erleichterte, meinem eigenen Tod zu begegnen. Daran glaube ich nicht.

Was interessiert Sie an der Schauspielerei?

Dass ich Sachen vorspielen kann, die uns alle gemeinsam berühren, weil wir Menschen sind. Das ist der Vorgang. Man spielt etwas, indem die Leute nicht unbedingt sich selbst, aber die Gattung Mensch wieder erkennen, gereinigt von den allerbanalsten Schlacken, die die Realität oft so doof machen – ein Konzentrat. Ich habe als Schauspieler oft erlebt, dass man auf der Bühne Sachen tut, die wahrer sind als jede Wahrheit des Lebens. Das hat dann grosse Kraft, das berührt die Menschen wirklich.

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