Der Fürsorger

Im Film von Lutz Konermann, nach der wahren Geschichte über den Millionenbetrüger Hans-Peter Streit gedreht, spielt Roeland Wiesnekker die Hauptfigur jetzt als Hans-Peter Stalder. Schweizer Film über Menschliches und allzu Menschliches.

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Persönliche Vorbemerkung: Auch wenn ich als Schreiber dieser Zeilen fast gleich heisse wie der Hauptdarsteller im Film, so bin ich nicht er, und er ist nicht ich. Für Zweifelnde gibt es am Schluss einen Fotovergleich.

Der Fürsorger Hans-Peter Stalder kennt den Geheimcode zum Glück: eine Geldvermehrungsstrategie, die handverlesenen Anlegern schier unglaubliche Gewinne und ein sorgenfreies Leben in Saus und Braus verspricht. Seine Geschichte hat nur einen Haken: Sie ist erstunken und erlogen, und profitieren kann immer nur einer: Stalder. Dreizehn Jahre lang hält der notorische Hochstapler und sympathische Schürzenjäger seine naiven Opfer und Behörden zum Narren, erschwindelt sich Millionen und erobert Frauenherzen. Erst als eine Lappalie ihn zu Fall bringt, ist die Zeit für eine umfangreiche Lebensbeichte gekommen. Doch je intimer die preisgegebenen Details, umso schillernder die Figur. Hinter der Maske des ehrbaren Bürgers treten mehr und mehr Personen zutage: der skrupellose Betrüger, der liebeshungrige Weiberheld, der reuige Familienvater. Bei diesem netten Kern ist nichts, wie es scheint. Doch alles ist wahr. Fast alles.

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Lutz Konermann zu seinem Film

Was mich von vornherein an diesem Stoff fasziniert hat, ist seine Authentizität. Zum einen stützt er sich in allen wesentlichen Details auf die Knastbiografie einer realen Figur, jene des Millionenbetrügers Hans-Peter Streit, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren sein Unwesen getrieben hat. Sein komplexer, widersprüchlicher Charakter, seine Zerrissenheit zwischen Reue und dem Bedürfnis, Verständnis für sich und seine Tun zu wecken, haben mich angespornt, ihm in Buch und Bild gerecht zu werden und seine Geschichte so wahrhaftig wie möglich zu erzählen. Die Geschichte eines talentierten Gefallsüchtigen, der um jeden Preis mehr sein will, als er ist und dabei immer ein bisschen bleibt, was er war: ein grosses Kind auf der Suche nach Liebe und Anerkennung.

Zum anderen ist der Film eine Realsatire. Verrückt, aber wahr. Eine Posse aus der Schweizer Provinz über die Blindheit der Menschen angesichts des grossen Geldes, über Obrigkeitsgläubigkeit und den Zorn der Kleinen auf die Grossen. Eine rührende Liebesgeschichte auch, in der eine aufrichtige Frau sich in einen notorischen Betrüger verliebt, und dieser es wider Erwarten ehrlicher mit ihr meint als jeder Mann zuvor. Es sind die persönlichen, zeitlosen Aspekte, die für mich die Seele des Stoffs ausmachen.

Dass der Film durch die jüngsten Generation von Hasardeuren und Finanzjongleuren darüber hinaus an thematischer Aktualität gewonnen hat, scheint auf den ersten Blick zwar überraschend, ist aber nicht weiter verwunderlich: Die Madoffs, Ponzis, Behrings und wie sie auch alle heissen – es gab sie schon immer und es wird sie immer geben. Zumindest so lange, wie sich naive und geldgierige Anleger finden lassen. Mit andern Worten: ewig.

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Schmunzeln und in den Spiegel schauen

«Der Fürsorger» ist kein Film der Weltklasse, für die grossen Festivals bestimmt. Auch unter den neueren Schweizer Filmen steht er bei mir nicht an oberster Stelle. «Die Herbstzeitlosen», «Die Standesbeamtin» und «Giulias Verschwinden» würde ich etwas höher einstufen, weil sie kompakter gebaut sind, dichter in der Atmosphäre und perfekter in der formalen Ausgestaltung. Und dennoch dürfte der Film sein Publikum erhalten und gefallen – was mich sehr freut. Er löst immer wieder Schmunzeln und Lächeln aus. Denn der Hochstapler ist sympathisch und liebenswürdig. Alles was er macht, ist menschlich, vielleicht allzu menschlich. Der Film bringt Überraschungen, hat Witz, ist gutes Schweizer Handwerk und lebt vor allem von einem ausgezeichneten Schauspieler: Roeland Wiesnekker als Hans-Peter Stalder. Da und dort stimmt er auch nachdenklich und wir entdecken uns wie in einem Spiegel: Wie blind sind wir doch oft, wenn es ums Geld geht, wie leichtgläubig lassen wir uns für erhoffte Gewinne übers Ohr hauen.

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Die Lebenserinnerungen des «Fürsorgers» Hans-Peter Streit, die dem Film zugrunde liegen, wurden vom Journalisten Philipp Probst aufgezeichnet und sind 1994 unter dem Titel «Ich, der Millionenbetrüger Dr. Alder» im Zytglogge-Verlag schienen. Zum Filmstart wird das Buch unter dem Titel «Der Fürsorger» als Reprint (mit Bildstreifen) neu aufgelegt. www.zytglogge.ch.

Und hier die Gegenüberstellung

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Hans-Peter Stalder       Hanspeter Stalder