Der Verdingbub

Ein trauriges Kapitel Schweizer Sozialgeschichte

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Die Lehrerin unterstützt Max in seinem Traum

Der Spielfilm «Der Verdingbub» von Markus Imboden erzählt die Geschichte des Waisenkindes Max, dessen grösster Traum es ist, Teil einer «richtigen Familie» zu werden. Dieser scheint sich zu erfüllen, er wird an eine Bauernfamilie verdingt. Doch seine Pflegeeltern behandeln ihn wie ein Arbeitstier. Das Handorgelspiel ist das Einzige, was ihm niemand nehmen kann. Daraus schöpft er Mut und bekommt das zum Leben notwendige Quäntchen Selbstachtung.

Als die neue Lehrerin sein musikalisches Talent erkennt, darf er sogar am lokalen Schwingfest vor der Gemeinde spielen. Doch das Glück dauert nicht lange, Eifersucht und Missgunst obsiegen. Und als die Lehrerin sich für ihn einsetzt, wird sein Leben noch schlimmer. Willen zum Überleben gibt ihm die Freundschaft mit dem gleichaltrigen Berteli. Weil dessen verwitwete Mutter die Familie nicht ernähren konnte, wurden ihre Kinder an Bauern verdingt. Mit diesem Mädchen träumt Max sich eine Zukunft in Argentinien, wo in seiner Fantasie nur Fleisch gegessen wird und die Heugabeln aus Silber sind. Doch da schlägt die Brutalität erneut zu. Erst dank eines unerwarteten Verbündeten schafft er die Flucht und macht sich auf, den Traum «Argentinien» Wirklichkeit werden zu lassen, mit der Gewissheit, draussen in der Welt kann es nur besser werden.

Ein Spielfilm, der auf Tausenden von wahren Geschichten beruht

Der Film zeigt, dass es auch in der so genannten guten alten Zeit, die bei uns bis 1950 gedauert hat, massive Gewalt gab: strukturelle, installiert von Kirche und Staat, körperliche, angewandt in Familie und Arbeit, sexuelle, vertuscht wie überall, und psychische, die erniedrigt und entmenschlicht. Was tief beeindruckt und dem Werk Allgemeingültigkeit verleiht, nachdem die Story auf Tausenden von Geschichten beruht, ist der übermenschliche Wille des Verdingbuben zum Überleben. Dieser «Élan vital» durchdringt Max, ist konkretisiert in der Handorgel, auf der er am Anfang Ländlermusik, am Schluss Tango spielt.

Schnörkellos und unverkrampft ist die Geschichte erzählt, eindrücklich sind die Schauspieler und Schauspielerinnen. «Der Verdingbub» rüttelt auf, empört sich gegen die Ungerechtigkeit und stellt sich gegen eine «Viehhaltung» von Menschen, denunziert die Verlogenheit, die sich unter dem Mantel des Althergebrachten verbirgt. Er folgt den Spuren des Glückes und des Unglücks. Eine Schweiz wird uns vorgeführt, die Angst hat vor Neuem. Dieses Neue verkörpert die junge Lehrerin, eine Frau und erst noch eine unverheiratete. Sie steht ein für das Recht auf Bildung, auch für Verdingkinder. 1950 gehörte sie zu den Fortschrittlichen im Lande und musste für ihre Zivilcourage teuer bezahlen.

Der Film handelt von einem jungen Menschen, der sich wehrt, beflügelt von einer Leidenschaft, dem Handorgelspiel. «Dunkelmatt» heisst zwar der Ort, wo Max lebt, doch dunkel heisst nicht schwarz und meint nur, dass hier die Schatten länger sind als anderswo. «Der Verdingbub» ist ein Drama, in dem irgendwann die Dinge ihren unerbittlichen Lauf nehmen wie bei einer griechischen Tragödie.