Des hommes et des dieux

Mir ist kein politischer Film bekannt, der in solchem Masse religiös ist, und kein religiöser Film, der in solchem Masse politisch ist wie «Des hommes et des dieux» von Xavier Beauvois. Warum?

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Weil die acht christlichen Mönche, deren Leben geschildert wird, ein zutiefst, das heisst seine Tiefen auslotendes menschliches Leben führten – das der Filmemacher, die Darsteller und die ganze Crew in künstlerisch perfekter und wunderbarer Weise «rübergebracht» und damit ein grossartiges Dokument der Humanität geschaffen haben.

In einem Kloster in den Bergen Algeriens leben acht französische Mönche ein friedliches, asketisches Leben, ihrem Glauben und der Nächstenliebe verpflichtet. Aus den unwegsamen Berghängen vor den Klostermauern haben sie blühende Gärten geschaffen, die Menschen aus den umliegenden Dörfern finden bei ihnen bei medizinischen Fragen oder andern Nöten stets Unterstützung. Als in der Nähe des Klosters Gastarbeitern von islamistischen Rebellen getötet werden, wird den Mönchen klar, dass der seit Langem schwelende Konflikt zwischen algerischen Regierungstruppen und den Rebellen immer näher an sie herankommt. Er wird auch vor den Toren ihres Klosters nicht anhalten, und ihre christliche Gewaltlosigkeit kann sie in Gefahr bringen. Man empfiehlt ihnen, das Kloster zu verlassen; doch sie zögern.

Die gemeinsamen Jahre haben sie zu mehr als einer Glaubensgemeinschaft gemacht, sie sind Freunde, eine Familie geworden, die in der Abgeschiedenheit der Berge ihre Heimat gefunden hat. Die Mönche diskutieren, zweifeln, kämpfen mit sich und entscheiden schliesslich, dass sie gerade in dieser Situation bleiben wollen. Gerade jetzt werden sie an diesem Ort gebraucht, ungeachtet der Gefahr, der sie sich aussetzen.

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Der Lauf der Dinge einer brüderlichen Gemeinschaft

Das Klosterleben der Mönche im algerischen Tibhirine ist geprägt durch ruhige, ritualisierte Handlungen: Ob im Gebet, beim gemeinsamen Singen, auf dem Feld und während der täglichen Schweigestunden, in den verschiedenen Tätigkeiten zeigt sich, wie die kleine Glaubensgemeinschaft um Prior Christian in Einklang mit Gott, sich selbst und ihren Nachbarn lebt. Die Dorfbewohner werden im Kloster von Bruder Luc medizinisch versorgt, die Analphabeten unter ihnen holen sich Hilfe, wenn es amtliche Formulare auszufüllen gilt. Selbst in Liebesdingen schätzt man bisweilen den Rat der Mönche. Im Gegenzug werden sie gerne zu Familienfesten eingeladen.

Doch das harmonische Zusammenleben spiegelt nicht die politische Realität des Landes wider. Vom Religionsvorsteher des Dorfes wird Christian, der neben der Bibel auch den Koran studiert, über den zunehmenden Terror islamischer Fundamentalisten auf dem Laufenden gehalten: Gerade erst wurde die 18-jährige Samira ermordet, weil sie keinen Schleier trug. Und sogar ein Imam ist unlängst von den Rebellen getötet worden. Diese Gewaltakte sind neu, keiner versteht, wer hier wen verfolgt und warum.

Als eine Baustelle in der Nähe des Klosters überfallen und vierzehn kroatische Bauarbeiter ermordet werden, geraten auch die Mönche neben aller Betroffenheit unter Druck. Das Militär und der Bezirksvorsteher drängen sie, Tibhirine zu verlassen, da sie das nächste Ziel der Rebellen sein könnten. Die Dorfbewohner hingegen wollen, dass sie bleiben, weil ihre Anwesenheit ihnen Schutz verspricht. Das Angebot der Armee, sie vorerst unter militärische Protektion zu stellen, lehnt Christian ab. Doch zunächst geht es darum, dass jeder Einzelne von ihnen seine Gründe findet, die ihn in dieser Situation zum Gehen oder Bleiben veranlassen. Niemand kann den Mönchen diese Entscheidung abnehmen.

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Wie nah die Gefahr schon gerückt ist, erfahren sie am eigenen Leibe, als das Kloster am Weihnachtsabend tatsächlich von einer Rebellengruppe unter Führung von Ali Fayattia heimgesucht wird, die mit Waffengewalt die Versorgung ihrer Verletzten durch einen Arzt oder zumindest die Herausgabe von Medikamenten erzwingen möchte. Standhaft verweigert Christian als Ordensvorsteher jegliche Forderungen. Doch der Schock sitzt tief und löst bei seinen Brüdern grundsätzliche Fragen aus. Jeder Mönch versucht nun, in intensiver Selbstbefragung zu einer Entscheidung zu gelangen, im Bewusstsein, dass diese mit Konsequenzen für die Gemeinschaft und ihr muslimisches Umfeld verbunden ist. Im Gegensatz zu den Dorfbewohnern haben sie eine Wahl: Sie könnten mit Hilfe der Regierung die gefährliche Region verlassen. Eine dramatische Spannung begleitet von nun an den praktischen wie spirituellen Alltag der Gemeinschaft. – Und dieser Prozess bis zum einstimmigen Entscheid ist etwas vom eindrücklichsten und spannendsten, was ich im Kino bisher gesehen habe: vom Drehbuch, also der Dramaturgie, und von der Menschlichkeit, also der Moral. Diese Sorgfalt, Klugheit, Differenziertheit, wie allzu menschliche und tief menschliche Argumente vorgetragen und diskutiert werden!

Christophe, der Jüngste von ihnen, gerät darüber in eine tiefe Glaubenskrise. Welchen Nutzen sollte es haben, wenn er jetzt als Märtyrer sterben würde? Ihn plagen Zweifel, er hört Gottes Stimme nicht mehr, glaubt sogar verrückt zu werden. Christian erinnert ihn daran, dass er sein Leben schon einmal gegeben habe, um im Glauben an die Berufung durch Christus, als Mönch zu leben. Das Militär hat einen toten Rebellen gefunden und geht davon aus, dass es sich dabei möglicherweise um den gesuchten Rebellenführer handeln könnte. Christian wird zur Identifizierung der Leiche geholt, beim Anblick des geschundenen Körpers betet er für ihn, eine Geste, die beim Militär auf Unverständnis stösst.

Besorgte Briefe erreichen das Kloster, eine französische Journalistin möchte die Ordensbrüder interviewen. Die Frage stellt sich, ob sich die Mönche nicht besser der Öffentlichkeit entziehen oder ob sie versuchen sollten, den Menschen ihre Wahl verständlich zu machen? Um zu verdeutlichen, dass es selbst in dieser aussichtslosen Situation noch Hoffnung gibt. Am Schluss gelingt es den Mönchen, aus den unterschiedlichsten Beweggründen heraus, zu einem gemeinsamen Entschluss zu finden: Sie werden bleiben, um ihre Mission zu erfüllen. Jetzt und an diesem Ort werden sie gebraucht, ungeachtet der Gefahr, der sie sich persönlich aussetzen. Eine folgenschwere Entscheidung…

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Verdiente Auszeichnungen

Am diesjährigen Filmfestival von Cannes erhielt der Film den «Grand Prix» und zusätzlich den «Prix de l’éducation nationale». Ebenso prämierte die «Jury Oecuménique» den Film mit der folgenden Begründung: «D’une grande beauté plastique, servi par une interprétation collective remarquable et rythmé par l’alternance des travaux et de la liturgie, ce film dépeint le sacrifice des moines de Tibhirine (Algérie 1996), choisissant de poursuivre leur oeuvre de paix malgré la violence déchaînée. La profonde humanité des moines, leur respect pour l’Islam et leur générosité pour leurs voisins villageois motivent notre choix.»

Mehr über das Klosterleben der Trappisten und mehr über die politischen Hintergründe ist auf der offiziellen Website zu erfahren.